Eva Reuter

Das Begehren ist politisch - Eine kritische Analyse der Konstitution und Reproduktion von Geschlechtlichkeit in identitätsstiftenden Bildungsdiskursen

Email: reutere@uni-hildesheim.de

Abstract

»Wenn mit dem Subjekt die gesamte kulturelle Form gemeint ist, in welcher der Einzelne als körperlich-geistig-affektive Instanz in bestimmen Praktiken und Diskursen zu einem gesellschaftlichen Wesen wird, dann bezeichnet die "Identität" einen spezifischen Aspekt dieser Subjektform: die Art und Weise, in der in diese kulturelle Form ein bestimmtes Selbstverstehen, eine Selbstinterpretation eingebaut ist, wobei diese Identität immer direkt oder indirekt auf mit einer Markierung von Differenzen zu einem [...] Anderen verknüpft ist.« (Reckwitz 2008:17 )

Welche Art von Behauptung stelle ich eigentlich auf, wenn ich sage: „Ich bin homosexuell.“[1]

Was für eine Form der Aussage wird damit getroffen? Worauf referieren diese drei scheinbar harmlosen Worte, die auf den ersten Blick eine reine Selbstbeschreibung sind?

Mein Dissertationsprojekt wird sich genau mit dieser Frage beschäftigen, und untersuchen, welche Rolle »queere« Bildungs- und Aufklärungsprojekte dabei spielen, die aufgrund repressiver Bürger- und Bürgerinnenbewegungen und politischen Prozessen mittlerweile eine nicht zu  unterschätzende Rolle  bei der (Re-)Produktion von Wissen über „Sexualität“ und dem, was als „sexuelle Identität“ verhandelt wird, spielen. Ihre Ziele sind Anti-Diskriminierungsarbeit und die Auflösung von Vorurteilen und stereotypen Denkmustern, primär in Form von Workshops in Schulen und öffentlichen Veranstaltungen. Allen Projekten gemein ist die Überzeugung, dass der Kontakt mit „Experten und Expertinnen“ dabei besonders hilfreich ist, so dass neben pädagogischen Material  auch die (nicht heteronormative) Biographie der Projektmitglieder als Ressource genutzt wird. Entstanden sind jene Projekte primär aus der Emanzipationsbewegungen von nicht heteronormativ lebenden und liebenden Menschen in den 90er Jahren. Oft nur ehrenamtlich organisiert und mit sehr geringen Mitteln ausgestattet, wird sich um eine pädagogische Professionalität bemüht, die allerdings aufgrund mangelnder Ausbildung und zu wenig Personal nur schwer zu erreichen oder zu halten ist. Neben der pädagogischen Tätigkeit in Form von Schulbesuchen, fungieren die Projekte auch als Plattform der Repräsentation(en) von und Politik(en) für nicht heteronormative Identitätskonstruktionen und Lebenskonzepte. Bildung und Politik sind hier eng miteinander verknüpft. Allerdings, so meine These, werden dabei auch normative und obsolete Wissensordnungen (re)produziert, die nur wenig oder gar nicht kritisch reflektiert werden. Heteronormativität als essenzielles Strukturmerkmal wird kaum thematisiert, viel mehr wird sexuelles Begehren durch die Institutionalisierung und eher unzureichende Professionalisierung zu einem kontroversen, exotischen Politikum gemacht, das es in eine gesellschaftliche „Mitte“ zu holen gelte - dem Motto folgend: Anders aber trotzdem normal.

Diese Strategie läßt sich im besten Fall als eine Art Symptombekämpfung bezeichnen, die jedoch hinsichtlich der Auflösung von Diskriminierung(en) von nicht heteronormativen Geschlechtlichkeiten und Begehrensformen eher weniger zielführend ist sondern viel mehr normative Denkmuster und Wissensordnungen verfestigt.

Mir geht es weniger darum, zu schauen, was in Aufklärungsprojekten geschieht, sondern mehr um eine Analyse, wie in diesen Bildungspraxen Identitätskonstruktionen und Wissensordnungen erzeugt und reproduziert werden. Allerdings, und das möchte ich explizit betonen, soll die Dissertation nicht gelesen werden als Manifest gegen eine Gruppe von Menschen, die sich unter den Terminus »Nicht-Heteronormativ« zusammen addieren (lassen) oder als wissenschaftliche Schrift, die heteronormativer Diskriminierung einen Vorschub geben oder eine Legitimation dessen liefern möchte.

Ergänzend dazu, und das erscheint mir angesichts aktueller politischer Debatten besonders wichtig, möchte ich ebenso wenig eine Art »Alle-sind-gleich"-Postulat formulieren, denn dies würde die Wirkung  von konstruierten Differenzen als machtvolle, diskursive Effekte verkennen und somit an realpolitischen Verhältnissen vorbei gehen.

Mein Ziel - sofern solch ein fixer Punkt überhaupt existiert - ist primär das Auslösen von Verunsicherung(en) und (hoffentlich) das Erzeugen einer Aufmerksamkeit für intelligible Leerstellen[2] : auch im Rahmen von Bildungspraxen, die sich als Aufklärungsprojekt begreifen. Obwohl mit den gender und queer studies die theoretischen Diskussionen bereits weiter und kritischer voran getrieben und verbreitet wurden, bedienen sich jene Projekte und_oder Konzepte meist immer noch an Kategorien und Wissen, die einer streng heteronormativen Logik folgt. In dem Sinne würde ich - überspitzt und ironisch formuliert - aktuelle Aufklärungprojekte als optimale Inszenierung von diskursiv erzeugten Differenzen bezeichnen, dessen Aufführung ich mir im Rahmen meiner Dissertation aufmerksam ansehen werde.

Ich bin misstrauisch gegenüber der Überzeugung, dass nur genügend Aufklärungsarbeit geleistet werden müsse, um eine wertfreie Gleichstellung aller Lebensentwürfe und Identitätskonstruktionen zu erreichen (obgleich ich mir das natürlich ebenso wünsche, wie die Partizipierenden in den Projekte). Viel mehr bin ich davon überzeugt, dass angebliche Un_Möglichkeiten in den dekonstruktivistischen Kritiken an bestehenden Ungleichverhältnissen mitgedacht und mitdiskutiert werden müssen. Mit Un_Möglichkeiten meine ich zweierlei: Einerseits richtete sich das Postulat gegen die stetige Argumentation, ein Loslösen von diskursiv erzeugten Differenzen bei der realpolitischen_pädagogischen Arbeit sei unmöglich, und andererseits gegen die Überzeugung, es sei unmöglich, ohne in sich kohärenten, und identitätsstiftende Kategorien zu einem les- und anrufbaren Subjekt zu werden respektive ein stabiles Selbstverhältnis zu entwickeln.

Mein Fokus liegt primär auf der kritischen Analyse der Relation zwischen Politik und Identitätskonstruktionen im Zusammenhang mit der Wissensproduktion in pädagogischen Kontexten, die ich im Rahmen einer theoretischen Auseinandersetzung und einer Reihe an Gesprächen mit Partizipierenden bearbeiten möchte.

Kritische Stimmen mögen nun behaupten, dass die Dissertation mit ihrem Ton einen Bruch mit historisch gewachsenen Errungenschaften und Theorien darstellt und identitätspolitischen Programmen ihre Legitimation streitig machen will. Dem kann ich allerdings abschließend nur folgendes Zitat von Judith Butler entgegensetzen:

»Dekonstruieren meint nicht verneinen oder abtun, sondern in Frage stellen und – vielleicht ist dies der wichtigste Aspekt – einen Begriff […] für eine Wider-Verwendung oder einen Wieder-Einsatz öffnen, die bislang noch nicht autorisiert waren.« (Butler 1993: 48)


[1]    „homosexuell“ kann hier auch durch sämtliche andere Begehrenskategorie ersetzt werden

[2]    Jene Leerstellen decken sich stellenweise auch mit Ergebnissen einer Evaluationsstudie aus dem Jahr 2003 von Stefan Timmermanns (2003): Keine Angst, die beißen nicht. Evaluation schwul-lesbischer Aufklärungsprojekte in Schulen. Books on Demand GmbH, Norderstedt

Forschungs- und Interessensschwerpunkte

  • gender studies
  • Identitätstheorien
  • Subjekttheorien
  • soziale Ungleichheit(en) (Schwerpunkt: soziale Diskriminierung, Rassismen )

Werdegang

seit 05/2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft, Stiftung Universität Hildesheim

06/2015 - 04/2017 Stipendiatin des Interdisziplinären Graduiertenkollegs Gender und Bildung (seit Mai 2017 assoziiertes Mitglied des Kollegs)

10/2012 - 05/2015 Studium Erziehungswissenschaft (Master of Arts), Universität Hildesheim mit dem Schwerpunkt Diversity Education (Titel der Abschlussarbeit: "gesellschaft_macht_identität: doing identity als performative praxis des seins.")

10/2014 - 05/2015 Studentische Hilfskraft bei Professorin Dr. Kathrin Audehm

10/2008 - 09/2012 Studium der Erziehungswissenschaft (Bachelor of Arts), Universität Hildesheim mit dem Nebenfach Politik (Titel der Abschlussarbeit: "Ich Tarzan - Du Jane!" - Die Repräsentation von Geschlecht in Disney-Zeichentrickfilmen.")

Vorträge und Veröffentlichungen

Ehrenamtliches Engagement und Mitgliedschaften

seit 02/2016 - Mitglied der Fachgesellschaft Gender

08/2013 - 04/2015 Mitglied der Kommission für Gleichstellung, Universität Hildesheim

seit 10/2012 Mitglied der hochschulpolitischen Initiative "hi_queer", Universität Hildesheim 

07/2011 - 12/2013 Mitglied des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA), Universität Hildesheim

04/2009 - 03/2010 Mitglied des Studierendenparlaments (StuPa), Universität Hildesheim