Die bunte Vielfalt der praktischen Wissenschaftskommunikation, Teil 1

Am 13.05.2022 war es endlich soweit: Diskussionen und Austausch rund um Wissenschaftskommunikation standen auf dem Programm und zwar live und in Farbe vor Ort bei uns in Hildesheim. Die öffentliche Veranstaltung zur Wissenschaftskommunikation in der Coronapandemie, die im Rahmen unseres WInCO-Projektes stattfand, unterschied sich dabei auch inhaltlich von den vorangegangenen Veranstaltungen zu diesem Thema: So stand dieses Mal nicht die Forschung, sondern die Praxis der Wissenschaftskommunikation im Fokus.

 

In unserem vielseitigen Programm durften wir WissKomm-Praktiker:innen aus der bunten Welt der Kommunikation und Medien begrüßen; vertreten waren das Fernsehen, der (Wissenschafts-)Journalismus, die öffentliche Hochschulkommunikation, WissKomm-Institutionen und -formate wie Science Slams, Blogs und Podcasts sowie die sozialen Medien YouTube, Instagram und TikTok.

 

Nach der Begrüßung durch unseren Dekan und einer kurzen Vorstellung unseres Projektteams durften wir zunächst in die Welt der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung eintauchen. Jennifer Müller berichtet von den Herausforderungen der Coronaberichterstattung in der Redaktion von 3sat nano und dem Spannungsfeld zwischen Information und Beratung, das sich im Zuge des neuartigen Virus und der zunehmenden Mediennutzung auftat. Besonders die gezielte Recherche in der Masse an Informationen, die angemessene (sprachliche) Vermittlung und der Erhalt der Glaubwürdigkeit bei diesem polarisierenden Thema stellten die Redaktion – die sich personell während der Krise nicht verändert hat – vor schwierige Fragen, die regelmäßig kontrovers im Team diskutiert wurden. Hilfe bot vor allem das Science Media Center, eine unabhängige Institution, die Medienschaffende bei der Berichterstattung von Themen mit Wissenschaftsbezug unterstützt. Für die nächste Krise wünscht Müller sich verschiedene Dinge: Mehr Bildmaterial, um wissenschaftliche Erkenntnisse verständlicher aufbereiten und an die Bevölkerung kommunizieren zu können; Forschende, die aktiv auf die Redaktion(en) zukommen, um ihre Erkenntnisse vorzustellen sowie Medienkompetenztrainings für Expert:innen, um diese in den Mittelpunkt der Informationsverbreitung stellen zu können.

Graphic Recording Jennifer Müller

Auch die Molekularbiologin Julia Offe, die sich der Wissenschaftskommunikation verschrieben hat, ist überzeugt, dass Wissenschaftler:innen eine Bühne geboten werden sollte – sie organisiert daher Science Slams in ganz Deutschland, ein Format, bei dem Wissenschaftler:innen ihre Forschungsprojekte dem Publikum auf anschauliche, mitreißende und lustige Weise vorstellen können. Im Interview mit Sylvia Jaki erzählt Offe, wie die Coronapandemie dem interaktiven Format zu schaffen gemacht hat, das von dem Zuspruch und Applaus der (möglichst präsenten) Zuschauer:innen lebt. Gerade diese unterhaltungsorientierte Art der Wissenschaftskommunikation, bei der das Publikum begeistert werden soll, empfindet Offe als großen Mehrwert, da die Wissenschaft der Bevölkerung so auf Augenhöhe begegnet. Wichtig ist dabei nicht ausschließlich eine gute Vorbereitung, sondern vor allem die Lust, sich auf das Format und das Publikum einzulassen und sich auch menschlich zu zeigen. Alterstechnisch ist die Zielgruppe von Science Slams bunt gemischt; über den Bildungshintergrund kann Offe allerdings nur spekulieren. Sie geht aber davon aus, dass eher Menschen mit Abitur erreicht werden. Bezüglich weiterer spannender Formate für die Wissenschaftskommunikation plädiert sie für all jene, bei denen ein persönlicher Austausch stattfindet.

Graphic Recording Julia Offe

Ein weiteres, immer beliebter werdendes WissKomm-Format sind Podcasts, von denen Julius Wesche, Energiesystemforscher an der Norwegian University of Science and Technology (NTNU), gleich drei hostet: Zwei davon zur Energiewende und einen Science Communication Accelerator Podcast. Podcasts sind zwar zeitintensiv, aber zum einen relativ einfach und mit wenig Kosten umzusetzen und zum anderen durch die (akzeptierte) Länge ideal für tiefergehende Informationen. Wesche, der Wissenschaftler:innen ans Herz legt, es einfach mal zu probieren, gibt mehrere Tipps für die Kommunikation von Wissenschaft in Podcasts: Zunächst sollten Interessierte sich eine Strategie überlegen, bei der Fragen zur Art des Podcasts (z. B. Interview), zu Themen und zur Zielgruppe geklärt werden sollten. Weiterhin spielt die Verlässlichkeit des Contents eine Rolle; der Podcast sollte also regelmäßig und zu wiederkehrenden Zeiten erscheinen, damit die Zielgruppe am Ball bleibt. Auch die crossmediale Bewerbung über Social-Media-Kanäle und damit die Verlinkung zwischen verschiedenen Medien kann die Sichtbarkeit von Podcasts deutlich erhöhen und das Networking vorantreiben. Ein letzter Tipp: „Es ist ein Marathon“, aber wenn man lange genug durchhält, kann jedes Thema erfolgreich sein, so Wesche.

Graphic Recording Julius Wesche

Auch Marcel Moreno und Timo Billerbeck wissen, dass Durchziehen das A und O ist, wenn man neben seinem Beruf in der Freizeit Wissenschaftskommunikation betreiben möchte. Die beiden Oberärzte haben neben ihrem YouTube-Kanal Medizin im Alltag auch einen Instagramaccount sowie einen kürzlich gestarteten Podcast. Im Interview mit mir erzählen sie von ihrer Motivation dahinter: In ihrer beruflichen Laufbahn erleben sie immer wieder misslungene Kommunikation zwischen medizinischem Personal (Expert:innen) und Patient:innen (Laien) – sie haben sich daher zum Ziel gesetzt, medizinische und alltagsrelevante Themen verständlich zu vermitteln. YouTube bot sich besonders deshalb als Kanal für sie an, weil die Videos, die meist nicht länger als 10 Minuten dauern, Zeit für einige tiefergehende Ausführungen bieten, ohne die Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer:innen zu sehr zu strapazieren. Obwohl der Videodreh und insbesondere die Ausarbeitung des Skripts je nach Thema und vorhandenem Hintergrundwissen viel Zeit kosten können, legen die beiden Vollzeit-Ärzte Wert auf verlässlichen Content zu festen Zeiten. Interessant ist, dass sie ihre Inhalte nicht nur verständlich, sondern auch unterhaltsam gestalten, denn sie möchten authentisch und nahbar sein. Dies ist auch der Grund, warum sie bewusst nicht ihre Berufsbezeichnung einblenden und auch nicht in Arztkittel, sondern in Freizeitklamotten zu sehen sind – „damit wären wir verkleidet“ und der Arztkittel sollte kein Argument für Glaubwürdigkeit sein. Mit dem Thema Corona haben sie sich nur vereinzelt auseinandergesetzt, weil es zum einen nicht ihr Fachgebiet ist und zum anderen genug Informationen von seriösen Institutionen wie dem RKI oder der STIKO im Umlauf waren. Die Wissenschaftskommunikation sehen sie auch nicht als Wettbewerb, sondern als erfüllendes Hobby, das sie definitiv trotz zeitlicher Herausforderungen auch in Zukunft weiter realisieren werden.

Graphic Recording Marcel Moreno und Timo Billerbeck

Der Zeitfaktor von Wissenschaftskommunikation nimmt auch im Vortrag von Falko Apel eine wichtige Rolle ein. Der Infektionsbiologe und Projektmanager, der mit seinem Team den Instagramaccount immunstagram ins Leben gerufen hat, berichtet zunächst von seiner Begeisterung für die Infektionsbiologie und „Tante Erna“, die stellvertretend für die Diskussionen mit Familienangehörigen über COVID-19 und das Immunsystem im Allgemeinen steht und als Motivation für den Kanal gedient hat. Trotz eines gut durchdachten Contentplans sowie klar definierten Zielen (gut recherchiertes Infotainment zu Themen rund um die Biologie) hat das interdisziplinäre Team den Zeitfaktor als ultimatives Problem für ihr Projekt identifiziert, bei dem auch die Plattformlogik eine Rolle spielt: Posts sollen möglichst kurz und anschaulich sein, weil sie im Feed nur wenige Sekunden angeschaut werden. Gleichzeitig erfordern wissenschaftliche Themen eine gewisse Tiefe und es ist nicht immer klar, wie viel Wissen vorausgesetzt werden kann. Auch der plattformspezifische Algorithmus stellt ein Problem dar – vor allem, wenn man mit wenigen Followern beginnt und nicht jeden Tag etwas posten kann. Apel berichtet daher ehrlich von einer eher frustrierenden WissKomm-Erfahrung, bei der sich auch die Interaktion und der Austausch als sehr schwierig gestaltet. Obwohl das Team selbst Verbesserungspotenzial, z. B. durch die Realisierung von Reels, erkennt, hat es das Projekt inzwischen auf Eis gelegt, da der Zeitaufwand neben dem Vollzeitjob aktuell nicht zu bewältigen ist.

Graphic Recording Falko Apel

To be continued: Wie es nach der Mittagspause weiterging, gibt es in Teil 2 zu lesen.

Schreibe einen Kommentar