Die Aufnahme der Diskussionsrunde ist im Reiter Wissenschaftskommunikation zu finden.
Welche Auswirkungen hat die Coronapandemie auf die Wissenschaftskommunikation, welche Rolle kommt den einzelnen Akteur:innen zu und inwiefern wird das Vertrauen in die Wissenschaft durch die Krise beeinflusst? Um diesen und weiteren spannenden Fragen zum Thema auf den Grund zu gehen, fand am Donnerstag, den 28.10.2021, im Rahmen unseres WInCO-Projektes eine offene Diskussionsrunde zur Wissenschaftskommunikation statt, zu der wir vier renommierte Gäste aus Praxis und Forschung der Wissenschaftskommunikation begrüßen durften.
Angefangen bei Korinna Hennig, die in ihrer Rolle als Redakteurin für Wissenschaft und Bildung bei NDR Info aktuell insbesondere im Podcast „Das Coronavirus-Update“ zu hören ist, für den sie gemeinsam mit ihrem Redaktionsteam u. a. zweifach mit dem Grimme Online Award sowie dem Georg von Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus ausgezeichnet wurde. Wir begrüßten auch die studierte Chemikerin, Wissenschaftsjournalistin und Social-Media-Expertin Beatrice Lugger, die lange Zeit als Wissenschaftsjournalistin tätig war, für das Portal wissenschaftskommunikation.de mitverantwortlich ist und zudem das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) als Geschäftsführerin und Direktorin leitet. Martin Schneider, der Dritte in der Runde, ist ebenfalls Praktiker der Wissenschaftskommunikation und seit 1988 im Wissenschaftsjournalismus tätig. Heute leitet er die Fernseh-Wissenschaftsredaktion beim SWR und ist zudem Vorstandsvorsitzender der Wissenschaftspressekonferenz (WPK). Aus Sicht der Forschenden bereicherte auch Dr. Anne Reif die Diskussion, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Braunschweig Vertrauensbeziehungen zwischen Wissenschaft und digitalisierten Öffentlichkeiten im Forschungsprojekt „The trust relationship between science and the digitized publics“ (TruSDi) untersucht.

Da das Thema Wissenschaftskommunikation nicht zuletzt auch durch die Coronapandemie verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist, ging es zur Einführung in die Thematik zunächst darum, welche Aspekte der Wissenschaftskommunikation während der Pandemie positiv und welche eher negativ wahrgenommen wurden. „Noch nie war Wissenschaft so hautnah erlebbar“: Beatrice Lugger empfindet vor allem den Veränderungsprozess in der Art zu kommunizieren als positive Auswirkung. Während vorher ein Bild von Wissenschaft als „fleißiger Problemlöser“ herrschte, sind in der Pandemie insbesondere die wissenschaftlichen Prozesse transparenter kommuniziert worden. Martin Schneider stimmt zu: Es ist nun vermehrt durchgedrungen, dass Wissenschaft nicht die Wahrheit findet, sondern die jeweils bestmögliche Annäherung. Korinna Hennig kann diesen Lernprozess anhand eigener Erfahrungen belegen: So bekommt ihr Podcast-Redaktionsteam seit Beginn an positive Rückmeldungen von Zuhörer:innen, die hervorheben, dass ihnen Ängste gerade durch die Aufklärung genommen werden – auch wenn Wissenschaft nicht immer Antworten und einfache Lösungen parat hat. Neben der erhöhten Transparenz wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnungsprozesse hebt Anne Reif die gestiegene Präsenz von Wissenschaftler:innen in den Medien hervor: „Ich weiß nicht, ob jemals so viele Stimmen aus der Wissenschaft zu Rate gezogen wurden“. Auch das erhöhte Informationsbedürfnis bzw. das Interesse an wissenschaftlichen Themen, das auch im Wissenschaftsbarometer 2020 erkennbar ist, bewertet sie positiv und verweist auf die Relevanz kontroverser Debatten.
Werden Kontroversen zu wissenschaftlichen Themen medial inszeniert, wie es im Politikjournalismus üblich ist, sind diese jedoch nicht mehr zielführend. Martin Schneider empfindet sowohl die Vermischung der Methoden im Politik- und Wissenschaftsjournalismus als auch die Überschneidung von Kommunikation und Marketing, wie sie zum Teil bei Pressestellen von Wissenschaftsinstitutionen auftritt, als Negativbeispiele von Wissenschaftskommunikation während der Pandemie. Auch Korinna Hennig bedauert, dass die produktive wissenschaftliche Kontroverse durch starke Emotionalisierungen und Zuspitzungen von Themen in den Hintergrund geraten ist, da gerade diese Form der Diskussion zum konstruktiven Austausch, zur Aufklärung sowie Entscheidungsfindung hätte beitragen können. „Die Schnittstelle zwischen Wissenschafts- und Politikredaktion ist noch eine große Baustelle und die müssen wir bearbeiten“ – so plädiert Korinna Hennig für einen Diskurs über die Verantwortung von Journalist:innen und deren Befähigung zum Umgang mit wissenschaftlichen Studien u. Ä., denn – wie Martin Schneider es formuliert – „Wissenschaftsjournalismus ist wie Wissenschaft selbst und nähert sich der Wahrheit an“. In diesem Zusammenhang nennt Beatrice Lugger auch die politisch polarisierte Zuordnung von Wissenschaftler:innen, die eine kritische Einstellung der Wissenschaft gegenüber befördert hat.
Was können Wissenschaftler:innen tun, um ihre Kommunikation zielführender zu gestalten? Während Korinna Hennig auf die Relevanz verweist, sein Gegenüber zu kennen, ergänzt Beatrice Lugger die Aspekte der Kommunikationskompetenz und des Auseinandersetzens mit der Kommunikationssituation: „Welches Medium liegt mir eigentlich, wo will ich kommunizieren, wo erreiche ich die Menschen, die mir persönlich am Herzen liegen?“. Wissenschaftler:innen dürfen sich trauen, ihre Forschung zu kommunizieren – dem stimmt auch Amelie Reigl zu, die als dieWissenschaftlerin auf TikTok und Instagram über ihren wissenschaftlichen Alltag informiert und sich wünscht, dass Wissenschaft generell, aber auch in den sozialen Medien, sichtbarer wird. Dies auch insbesondere deshalb, so Anne Reif, um das typische Bild von Wissenschaft im Labor durch eines zu ersetzen, das die wissenschaftliche Diversität der Disziplinen in den Fokus rückt. Korinna Hennig ergänzt, dass Wissenschaft Spaß machen darf und sollte: „Es gibt so viel Begeisterung, die sich übertragen kann“ und den Lernprozess vereinfacht – gerade, wenn es kompliziert wird. Wichtig ist, dass kein Zwang zum individuellen Kommunizieren besteht und die unterschiedlichen Rollen in der Wissenschaftskommunikation sinnvoll genutzt werden.

Konkret lassen sich diese Rollen auf Institutionen, verschiedene (mediale) Intermediäre sowie einzelne Wissenschaftler:innen verteilen. Letztere sollten „ihre Ergebnisse in die Bevölkerung tragen“ (Anne Reif), können dabei aber durchaus Unterstützung gebrauchen – zum Beispiel von Wissenschaftsjournalist:innen oder den Kommunikationsabteilungen von Institutionen, die einem stärker wachsenden Anspruch gerecht werden müssen, wie Beatrice Lugger berichtet. Wie können also Wissenschaftler:innen Kanäle sinnvoll für ihre Kommunikation nutzen, ohne sich dabei permanent selbst zu vermarkten? Korinna Hennig hält es durchaus für möglich, Meldungen und Ergebnisse transparent zu kommunizieren, ohne dabei den „Aufmerksamkeitseffekt“ zu verlieren – denn trennen kann man es nicht, „jeder Wissenschaftler ist interessengeleitet“ (Martin Schneider). Jedoch sollte dieser Balanceakt beim Kompetenzaufbau berücksichtigt werden, so Beatrice Lugger, die auf die Leitlinien für gute Wissenschafts-PR verweist und die Relevanz der Interaktion hervorhebt: „Kommunikation im Sinne von Zuhören“. Während Wissenschaftler:innen natürlich Vertreter:innen ihrer Institutionen bleiben, übernimmt der Wissenschaftsjournalismus die Rolle der unabhängigen Einordnung von außen, so Martin Schneider.
Gerade bei kontroversen Debatten sind die Grenzen der einzelnen Rollen nicht immer klar definierbar. Sylvia Jaki wirft daher die Frage auf, inwiefern sich Wissenschaftler:innen in politische Kontroversen einbringen sollten. Für die Kommunikation in der Pandemie wäre es wichtig gewesen, den Blick auf verschiedene Disziplinen und wissenschaftliche Perspektiven mit allen Beteiligten zu öffnen, denn „dass Wissenschaft komplett unpolitisch wäre, ist eine Illusion“ (Korinna Hennig). Eine klare Trennung ist auch aus Martin Schneiders Sicht nicht möglich, jedoch entscheiden sich Handlungsempfehlungen nicht aus der Wissenschaft heraus: „Wissenschaft sagt, was ist, aber nicht, was sein soll“ (Zitat in Anlehnung an Vorträge des ehemaligen DFG-Präsidenten Peter Strohschneider). Wissenschaftler:innen sollten sich dessen bewusst sein und an den entscheidenden Punkten darauf hinweisen – auch auf die Kommunikation eventueller Unsicherheiten, damit deren Relevanz für die Richtigkeit der Aussage auch dem medialen Umfeld deutlich wird, so Korinna Hennig. Zudem kann Wissenschaft emotionalen Debatten mit Sachlichkeit entgegenwirken und so zu einem produktiveren (politischen) Diskurs beitragen. Wichtig ist dabei ein gemeinsames Verständnis von Kommunikation als Team, um dem „Haifischbecken“ (Beatrice Lugger) aus Anfeindungen zu entkommen oder zumindest entgegenstehen zu können.

Angriffe auf Wissenschaftler:innen und Kommunikator:innen sprechen dafür, dass kein gesamtgesellschaftliches Vertrauen in Wissenschaft besteht. Zwar konnte im Wissenschaftsbarometer 2020 zu Beginn der Pandemie ein erhöhter Vertrauensanstieg nachgewiesen werden, jedoch fiel dieser im Anschluss wieder auf etwa die Werte, die vor der Pandemie beobachtet wurden. Anne Reif vermutet, dass die zunächst starke Verunsicherung und erhöhte Risikowahrnehmung innerhalb der Bevölkerung Gründe für die verstärkte Zuwendung zur Wissenschaft gewesen sein könnten. Zu beachten ist aber, dass die Frage nach dem Vertrauen in die Wissenschaft keine einfache ist, weil sie weder die Vielschichtigkeit von Wissenschaft noch die Komplexität des Konstruktes „Vertrauen“ abbildet. Für Korinna Hennig war die politische Kommunikation in der Pandemie ein Problem für das Vertrauen, da sie für eine Schieflage in der Risikowahrnehmung gesorgt hat: „Alle reden über vermeintliche Langzeitwirkungen des Impfstoffs, aber die Langzeitwirkungen des Virus werden im Vergleich viel weniger kommuniziert“. Auch das Abhängigkeitsverhältnis zu Fördergeldern wirkt sich negativ auf das Vertrauen aus, wie Beatrice Lugger berichtet. Sie versteht den Erhalt und die Stärkung des Vertrauens als gesellschaftspolitische Herausforderung, die es gemeinsam zu stemmen gilt. Als positiven Einfluss auf das Vertrauen nennt sie wissenschaftliche Expertise, Integrität sowie Transparenz und verweist sowohl auf die Orientierung am Gemeinwohl als auch die Relevanz partizipativer Formate. Letztere sollten auch jene Menschen fokussieren, die der Wissenschaft skeptisch gegenüberstehen, und damit zielgruppenspezifisch ausgerichtet sein, so Anne Reif.
Fakt ist: Die Coronapandemie hat die Aufmerksamkeit auf den Diskurs um Wissenschaftskommunikation verstärkt und sowohl positive als auch negative Tendenzen zum Vorschein gebracht. Wie auch eine kritische Stimme zum Ende der Diskussion belegt, gibt es noch einiges zu tun – und wir freuen uns darauf, diese Herausforderungen gemeinsam mit den verschiedenen Akteur:innen anzugehen und dafür zu nutzen, die wissenschaftskommunikative Forschung und Praxis voranzutreiben.
