Zwei Hildesheimer Debüts auf der Frankfurter Buchmesse 2023

Montag, 16. Oktober 2023 um 17:05 Uhr

Nora Haddada und Jenifer Becker, beide Alumni des Studiengangs Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim, werden auf der Frankfurter Buchmesse aus ihren Debütromanen lesen. Im Gespräch gewähren beide Einblicke in ihre Schreibprozesse und verraten, wie ihre Alma Mater sie geprägt hat. Nora Haddada liest am 19. Oktober um 10 Uhr (Stand 3.1/E72) und Jenifer Becker am 20. Oktober um 15 Uhr (Stand 3.1/D99).

Jenifer Becker

Jenifer Becker befasst sich nicht nur auf literarischen Pfaden mit der fortschreitenden Digitalisierung unserer Gegenwart. Als Wissenschaftlerin untersucht sie unter anderem, welche Auswirkungen Tools wie Chat GPT auf literarische Schaffensprozesse haben. Als Autorin versetzt sie sich in ihre Protagonistin Mila hinein, die in Zeiten der Langeweile (2023 bei Hanser Berlin erschienen) versucht, sich aus dem Internet zurückzuziehen.

1988 geboren, lebt sie heute als Autorin, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin in Berlin. Seit 2015 ist sie an der Universität Hildesheim am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft als wissenschaftliche Mitarbeiterin – und seit 2021 als Postdoc – tätig.

Drei Fragen an Jenifer Becker

Sie sind auch Wissenschaftlerin an der Universität Hildesheim: Was hat Ihr Debütroman Zeiten der Langeweile damit zu tun und auf welche Weise hat Ihre Tätigkeit als Wissenschaftlerin dieses Debüt inhaltlich und hinsichtlich seiner Entstehungsgeschichte beeinflusst?

Die größte Überschneidung besteht darin, dass die Protagonistin eine ähnliche akademische Biografie hat, wie ich selbst. Die Figur erkundet die digitale Welt auf eine ähnliche Weise wie ich als Autorin. Als Wissenschaftlerin befasse ich mich auch viel mit Pop- und Gegenwartsliteratur; in meiner Dissertation habe ich mich kritisch mit Heldinnenreisen auseinandergesetzt. Ich wollte dann einen Roman schreiben, in dem es um eine Heldin geht, die ihre Krise nicht spielend überwindet, so wie die Heldinnen in meinem Untersuchungsmaterial, sondern sozusagen daran scheitert – eine Anti-Heldin.

In Zeiten der Langeweile geht es um einen digitalen Ausstieg. Sie und Ihre Protagonistin Mila setzen sich mit der Frage auseinander, wie der persönliche Zugang zur digitalen Welt uns die Freiheit nimmt: Wie entwickelt sich Milas Perspektive darauf im Laufe der Handlung?

Mila wird im Laufe des Romans immer obsessiver und isoliert sich von ihrem Umfeld. Irgendwann weiß sie nicht mehr so recht, wie sie eigentlich noch leben soll. Die romantische Idee, aus der digitalen Welt auszusteigen, um sich selbst näher zu kommen, ist nicht so simpel, wie sie klingt. Stattdessen wollte ich mit dem Roman Ambivalenzen darstellen. Ein holistischer Ausstieg ist auf diese individualisierte Weise, wie ihn Mila vollzieht, in unserer gegenwärtigen, westlichen Gesellschaft nahezu unmöglich.

Welchen Herausforderungen stehen Autor*innen gegenüber, wenn sie Protagonist*innen entwerfen möchten, die ganz anders sind als sie selbst?

Ich habe Mila stark an mir selbst angelehnt, aber sie hat sich weiterentwickelt und ist eine eigenständige Figur geworden. Im Rezeptionsprozess ist die Trennung aufgrund angelegter Clous nicht immer eindeutig, das ist beabsichtigt. Mila setzt das Ausstiegsszenario jedoch viel radikaler um als ich es je machen würde.

Nora Haddada

Nora Haddada schreibt gerade an ihrer Masterarbeit und hält sich in Paris auf. Für sie befinden sich mehrere Projekte in der Pipeline, ihr französischer Aufenthalt ist „halb-langfristig“. Ergänzend zum Kreatives Schreiben Studium an der Universität Hildesheim hat sie in Berlin und Paris Literaturwissenschaften studiert. In die Hauptfigur ihres 2023 im Ecco-Verlag erschienenen Debütromans Nichts in den Pflanzen Leila kann Nora Haddada sich hineinversetzen, schließlich ist der Kampf um Aufmerksamkeit in der Kulturindustrie auch ihr gut bekannt.

Geboren wurde Nora Haddada 1998. Im Laufe ihrer bisherigen Karriere arbeitete sie als Agentin in der Agentur Petra Eggers und übernahm eine Tätigkeit in der Deutschen Botschaft in Paris; zudem ist sie nach wie vor als Autorin aktiv.

Drei Fragen an Nora Haddada

Mit 24 Jahren sind Sie eine noch relativ junge Autorin. Welche Mechanismen an der Universität Hildesheim haben zu Ihrem frühen Debüt beigetragen?

Zunächst hatte ich viel Zeit, mich mit den Techniken und dem Handwerk des Schreibens auseinanderzusetzen. Außerdem hat das Studium dazu beigetragen, dass es selbstverständlich wirkt, Texte zu schreiben und zu veröffentlichen, weil viele es tun: Das Selbstverständnis als schreibende Person macht das Publizieren legitimer.

Ihr Roman handelt von den ersten Schritten der jungen Drehbuchautorin Leila. Was macht die Tätigkeit als Drehbuchautorin besonders und grenzt sie vom Alltag ab?

Das Besondere am Schreiben von Drehbüchern ist, dass es wesentlich kooperativer ist als das Schreiben von Romanen. Viele Personen sind involviert, das Netzwerk ist viel wichtiger als in der Literatur und das Private und Berufliche vermischen sich schnell.

Im Klappentext Ihres Debüts steht: „Witz, Verzweiflungstaten, Glamour, Selbstüberschätzung und Sinnsuche in einer scheinbar oberflächlichen Welt, deren Abgründe sich Stück für Stück beim Lesen auftun.“ Ist die Welt der Drehbuchautor*innen wirklich oberflächlich?

Das lässt sich nicht pauschalisieren. Immer, wenn es um viel Geld geht, wird ein Feld hart umkämpft. Und man braucht viel Geld, um Filme zu machen, wesentlich mehr als für das Schreiben eines Buches etwa. Aber letztlich ging es mir beim Schreiben des Buches nicht nur darum, das Filmmilieu zu dokumentieren, sondern darum, zu untersuchen, inwiefern dieses exemplarisch für größere gesellschaftliche Entwicklungen ist.

Die Frankfurter Buchmesse findet vom 18. bis 22. Oktober 2023 zum 75. Mal statt; Veranstaltungsort ist das Kongresszentrum in Frankfurt am Main.


Jenifer Becker; Foto: privat

Nora Haddada; Foto: David-Simon Groß