Der alle drei Jahre von der Hansestadt Lübeck verliehene Thomas-Mann-Preis 2002 geht an Hanns-Josef Ortheil. Der 1951 in Köln geborene und in Stuttgart lebende Schriftsteller wird damit für sein bisheriges erzählerisches und essayistisches Gesamtwerk geehrt. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wurde u.a. an Günter Grass verliehen.
Die Jury begründet ihre Entscheidung mit seinem "eigenständig-produktiven Werk, in dem sich Zeit- und Gesellschaftskritik mit Humor, hoher literarischer Sensibilität und anspielungsreicher Kritik paart." Weiter wird mit der Auszeichnung die überzeugende Verbindung von persönlichen Lebenserfahrungen mit den politisch-sozialen Veränderungen in Deutschland gewürdigt. Ortheil hat neben Essays, literarischen Tagebüchern, Drehbüchern und Opernlibretti beginnend mit "Fermer" (1979) über zehn Romane geschrieben, für die er bereits mehrere Preise erhalten hat. Seine Künstlerromane zeichnen ihn als subtilen Kenner der europäischen Kulturgeschichte aus.
Der renommierte Thomas-Mann-Preis wird auf Beschluss der Lübecker Bürgerschaft seit 1975 an Persönlichkeiten verliehen, "die sich durch ihr literarisches oder literaturwissenschaftliches Wirken ausgezeichnet haben im Geiste der Humanität, die das Werk von Thomas Mann prägte". Vor Ortheil erhielten den Preis Peter de Mendelssohn (1975), Uwe Johnson (1978), Joachim C. Fest (1981), Siegfried Lenz (1984), Marcel Reich-Ranicki (1987), Günter de Bruyn (1990), Hans Wysling (1993), Günter Grass (1996) und Ruth Klüger (1999).
Der Preis ist mit 10 000 Euro dotiert und wird Hanns-Josef Ortheil am 9. Juni im Rahmen einer Feierstunde im historischen Scharbausaal der Lübecker Stadtbibliothek verliehen. Die Laudatio hält der Augsburger Literaturwissenschaftler und Thomas-Mann-Experte Professor Dr. Helmut Koopmann.
Kurzbiographie des Autors:
Hanns-Josef Ortheil veröffentlichte bereits im Alter von acht Jahren seine ersten Erzählungen in Tageszeitungen. Er erhielt früh Klavierunterricht und setzte seine pianistische Ausbildung später als Schüler von Daniela Ballek und Claudio Arrau fort. In Wuppertal und dem Westerwald aufgewachsen, machte er sein Abitur 1970 in Mainz, von wo aus er für längere Zeit nach Rom ging. Dort finanzierte er sich sein pianistisches Studium als Organist an einer deutschen Kirche. Nach dem krankheitsbedingten plötzlichen Abbruch seiner pianistischen Laufbahn begann er ein Studium der Musikwissenschaften, Philosophie und Germanistik, das er 1976 in Mainz mit der Promotion abschloss. Von 1976 bis 1988 war er Assistent am Deutschen Institut der Mainzer Gutenberg-Universität. Danach wurde er immer wieder von Universitäten des In- und Auslandes eingeladen, um über Poetik und Literatur zu sprechen. So war er 1988 "writer in residence" an der Washington-University in St.Louis/USA und hielt 1993 und 1998 Poetik-Dozenturen an den Universitäten von Paderborn und Heidelberg. Insgesamt fünf Jahre seines Lebens verbrachte Hanns-Josef Ortheil in Rom, zweimal war er Stipendiat der Villa Massimo. Seit 1982 lebt er in Stuttgart als freier Schriftsteller. Seit 1990 ist Ortheil Dozent der Universität Hildesheim und leitet dort den von ihm konzipierten Diplomstudiengang "Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus". Dieser Studiengang ist in Deutschland einzigartig.
Mit seinem Roman "Fermer" debütierte er 1979, für den er mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet worden ist. Darin wird die Flucht eines desertierten Soldaten durch Nachkriegsdeutschland erzählt. Es folgten zahlreiche mit Preisen ausgezeichnete Romane und Erzählungen, unter anderem "Schwerenöter" (1987), "Agenten" (1989), "Abschied von den Kriegsteilnehmern" (1992), "Blauer Weg" (1996). Bei Luchterhand erschien die Roman-Trilogie "Faustinas Küsse" (1998), "Im Licht der Lagune" (1999) und "Die Nacht des Don Juan" (2000). Für diese Romane erhielt er den Brandenburger Literaturpreis. Weitere Veröffentlichungen (Auswahl): 1982 Mozart - im Innern seiner Sprachen; 1983 Hecke (Roman); 1994 Das Element des Elefanten. Wie mein Schreiben begann; 2001 Lo und Lu. Roman eines Vaters. Neben mehreren Essaybänden entstanden zwei Opern-Libretti und zwei Drehbücher für Fernsehfilme des ZDF. Auszeichnungen: 1979 Aspekte-Literaturpreis des ZDF für den Roman "Fermer"; 1982 Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen; 1982 Sonderpreis der Lektoren beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt; 1989 Literaturpreis der Landeshauptstadt Stuttgart; 1991 Villa-Massimo-Stipendium; 2000 Stadtschreiber-Literaturpreis der Stadt Mainz, des ZDF und 3sat.