Zehn Jahre Litradio: Querverbindungen zwischen digitalen und analogen Formen

Montag, 04. Februar 2019 um 12:29 Uhr

Seit zehn Jahren verbindet der Literaturwissenschaftler Guido Graf gemeinsam mit einer studentischen Redaktion Radio und Literatur. Das Online-Portal Litradio sendet nicht linear, der Nutzer kann sich sein eigenes „Radio“ zusammenstellen. Ab dem 5. Februar gibt es jede Woche zwei neue Folgen aus mehreren Podcast-Reihen, außerdem arbeitet die Redaktion an einem Hörspiel.

Guido Graf baut seit zehn Jahren mit Studierenden das Online-Portal „Litradio“ aus. Im Gespräch äußert sich der Literaturwissenschaftler über Chancen der Literaturvermittlung im digitalen Raum und Zugänge zu Literatur.

Interview mit Kulturjournalist Dr. Guido Graf

Seit zehn Jahren verbinden Sie gemeinsam mit einer studentischen Redaktion Radio und Literatur. Entstanden ist das Portal Litradio. Sie senden nicht linear, der Nutzer kann sich sein eigenes „Radio" zusammenstellen. Was fasziniert Sie an diesem Literaturprojekt, worin liegt Ihre Motivation, weiterzumachen?

Als wir 2009 zuerst online gegangen sind, war vom Medium Radio angesichts des digitalen Wandels nicht viel zu erwarten. Daraus wuchs die Motivation, etwas anderes auszuprobieren: in ganz kleinem Rahmen, auf einem begrenzten, dem kulturellen, dem literarischen Feld. Hanns-Josef Ortheil hat Litradio mal ein kulturjournalistisches Labor genannt. Das und noch viel mehr gilt nach wie vor. Mittlerweile hat sich viel getan, Podcasts etwa sind inzwischen ein großes Thema, also etwas, das wir von Anfang an schon anbieten. Die Dynamik der medialen Entwicklung ist nach wie vor groß und entsprechend sind permanent mehr als genug Herausforderungen gegeben, mit denen Litradio sich auseinandersetzen kann und wird. Nicht zuletzt sind es unsere Studierenden, die für Motivation sorgen. Wenn 2020 das nächste Mal das Literaturfestival Prosanova stattfindet, wird Litradio daran auch wieder Anteil nehmen, kann dafür auf reichlich Erfahrungen zurückgreifen, aber muss und wird sich mit den neuen Studierenden, die dann dabei sind, auch wieder neu erfinden müssen.

Wie hat sich die Arbeit bei Litradio in den letzten zehn Jahren verändert?

Litradio ist professioneller geworden, organisierter. Wir haben mehr Mittel zur Verfügung, um  – zwar in kleinem Maßstab, aber immerhin – zu produzieren und einen guten Auftritt im Web zu haben. Vor allem aber: wir haben sehr viel mehr Hörer dazu gewonnen.

Welchen Platz hat Literatur im digitalen Raum? Welche Chancen sehen Sie?

Sie hat einen Platz und das ist einer neben anderen. Wenn wir lernen, die Kreuz- und Querverbindungen zwischen digitalen und analogen Formen und Praktiken besser zu erkennen und zu nutzen, werden wir in der Rezeption und Vermittlung von Literatur mehr Raum erobern, neue Zugänge zu Literatur schaffen, wo sie zuvor mit Hürden versehen waren  – etwa für Menschen mit Beeinträchtigungen –, und wir werden auch in der Produktion von Literatur mehr Neues sehen, ohne dass dadurch anderes verschwindet oder verdrängt wird.

Machen Sie sich Sorgen?

Nein, ganz und gar nicht. Ich könnte mir natürlich noch eine ganz anders geartete Finanzierung von Litradio vorstellen, die zum Beispiel auch Reisen erlaubt, ein vollausgestattetes Studio, bessere Serverkapazitäten. Aber die Relation von Budget und dem, was wir daraus machen, kann sich sehr sehen lassen.

Und wie geht es weiter? Was haben Sie und die Studentinnen und Studenten vor?

Wir starten jetzt nach mehrmonatiger Vorbereitung eine ganze Reihe von neuen Podcasts zu vielen verschiedenen Themen. Ab dem 5. Februar 2019 gibt es jede Woche zwei neue Folgen aus mehreren Podcast-Reihen. Die Litradio-Redaktion arbeitet derzeit auch einem Hörspiel und plant überdies eine kleine Tournee.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Zur Person

Seit 2008 forscht und lehrt Dr. Guido Graf als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft der Universität Hildesheim, seit 2018 ist er Senior Researcher auf dem Kulturcampus.

Er hat Germanistik, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft in Braunschweig studiert und seine Dissertation über den Briefwechsel zwischen den Schriftstellern Arno Schmidt und Hans Wollschläger (Lehrer-/Schülerverhältnis) geschrieben. Bevor er nach Hildesheim kam, arbeitete er als freier Journalist für Zeitungen und den Rundfunk.

Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Literaturvermittlung, Sound-Poetik, Social Reading, Radio, Medientheorie, Gegenwartslyrik und Übersetzung. Guido Graf baut seit zehn Jahren mit Studierenden das Online-Portal „Litradio.net“ aus. Für seine hervorragenden Leistungen in der Lehre wurde Guido Graf mit dem Lehr-Preis der Universität Hildesheim ausgezeichnet.

In einem Forschungsverbund im Bereich der digitalen Geisteswissenschaften untersucht Graf derzeit, wie sich das Lesen im digitalen Raum verändert. Das Bundesforschungsministerium fördert das Projekt „Rez@Kultur“ über drei Jahre. Acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Computerlinguistik, Kulturjournalismus, Wirtschaftsinformatik und Kulturpolitik analysieren Lesevorgänge und Online-Gespräche über Werke der Kunst und Literatur.


In einem Forschungsverbund im Bereich der digitalen Geisteswissenschaften untersucht Guido Graf aktuell, wie sich das Lesen im digitalen Raum verändert. In Hildesheim hat der Literaturwissenschaftler 2009 Litradio gestartet. Fotos: Literaturinstitut Hildesheim

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