Ihre Antrittsvorlesung an der Universität Hildesheim trägt den Titel „Aufhören, Anfangen, The Sopranos" – dreht sich Ihr Vortrag um Anfang und Ende von Fernsehserien, etwa jener, die von einer Mafiafamilie in New Jersey handelt?
Diekmann: Tatsächlich befasse ich mich in meiner Antrittsvorlesung mit der HBO-Serie „The Sopranos", die von 1999 bis 2007 ausgestrahlt wurde. Thema ist vor allem das Serienende als dramaturgische, strukturelle, affektive Herausforderung am Ende einer extrem ausgedehnten Narration. Mich interessiert dabei, wie sich die Serienmacher mit der Aufgabe, 'ein Ende zu machen', arrangiert haben und welche Perspektiven das so genannte „Official Ending" den Zuschauerinnen und Zuschauern eröffnet.
Sie haben auf einer Konferenz (Making of) debattiert, unter welchen Bedingungen Künste entstehen. An der Universität Hildesheim entsteht seit einigen Jahren institutsübergreifend ein Forschungsschwerpunkt über das „Davor" eines künstlerischen Produkts. Ihre Professorenkollegen Annemarie Matzke und Jens Roselt beobachten Probenprozesse im Theater, Bettina Uhlig untersucht im neu aufgebauten Bilddidaktischen Forschungsstudio, wie Kinder über Bilder sprechen und Bilder produzieren. Volker Wortmann nimmt Film-Trailer und Out-Takes unter die Lupe. Sie forderten damals „mehr Aufmerksamkeit für die Entstehungsbedingungen von Kunst"; an wen richtet sich diese Aussage?
An dem Aufbau des Forschungsschwerpunkts bin ich seit einer Weile beteiligt, da mich Dokumentarfilme über künstlerische Produktion und Kunstinstitutionen schon lange interessieren. Das Statement richtet sich sowohl an diejenigen, die den Fokus primär auf Kunst als Werk richten – also allgemein wenig Interesse am Prozess und work-in-progress zeigen –, als auch an Forscher und Filmemacher, die allzu sehr mit der produktionsästhetischen Dimension der künstlerischen Arbeit befasst sind. Mindestens ebenso interessant sind die organisatorischen, die soziologischen, die institutionellen und nicht zuletzt die materialen Aspekte der Produktion.
Zu Ihren Forschungsschwerpunkten gehören „intermediale Konstellationen", also etwa Comics, das Zusammenspiel von Film und Fotografie, von Kino und Theater, Schauspiel, Oper. Worum geht es da und was untersuchen Sie? Ich habe in einer Rezension über Ihre Habilitation „Backstage" gelesen: Den Film interessiert am Theater vor allem das, was das Publikum normalerweise nicht zu sehen bekommt, die Hinterbühne zwischen Bühneneingängen und Garderobentüren.
Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt seit relativ langer Zeit auf der Reflexion und Repräsentation von Medien in anderen Medien, also darauf, welches Bild Medien (indirekt) von sich selbst zeichnen, indem sie ältere, neuere oder allgemein konkurrierende Medien auf je spezifische Weise in Szene setzen. Film ist da ein exemplarischer Schauplatz, weil die Mise en scène als Strategie hier besonders gut zu beschreiben und zu beobachten ist.
Wenn Sie beobachten, welche Filme von Ihren Studierenden entstehen, welche Entwicklungen Einfluss nehmen auf ihr Schaffen und mit welchen Fragen sie sich während der Produktion befassen: Was fällt Ihnen dabei auf?
Bei den Studierenden ganz allgemein beeindruckt mich das große Engagement, mit dem sie ihre Projekte planen und durchführen und, gerade an unserem Institut, die sehr kooperative Orientierung. Außerdem: eine extrem gut ausgebildete Fähigkeit, auf Input zu reagieren, Material zu erfassen und zu beschreiben und für die eigene Arbeit produktiv zu machen. In zwei Lehrveranstaltungen aus dem letzten Jahr, „Filmvermittelnder Film" und „Bildproduktionen im Blick der Kamera", die ich beide in Kooperation mit Kollegen unterrichtet habe, sind ziemlich tolle Kurzfilme entstanden, teils auch von Studierenden, die bis dahin wenig praktische Filmerfahrung hatten. Und dann gab es zwei Diplom-Filmprojekte, „birds are looking for a cage" und „funfreedomfear", beide zum Thema Arbeits- und Lebensentwürfe, bei denen mich die Realisierung und die schriftliche Reflexion sehr beineindruckt haben.
Ein Ausblick, woran arbeiten Sie derzeit mit Ihren Studierenden, was ist geplant?
Im Projektsemester „Verschwendung" arbeite ich mit einer Kollegin, einem Kollegen und 15 Studierenden an dem Projekt „Ellipsen zubauen", das darauf ausgerichtet ist, viel Zeit, Energie und Kreativität darauf zu verwenden / zu verschwenden, filmische Leerstellen auszufüllen, um deren Auffüllung eigentlich niemand gebeten hat. Wir haben dazu einen Klassiker der Filmgeschichte ausgewählt: Alfred Hitchcocks „Psycho" (USA 1960), ein Film, der für seine Schnitte und Auslassungen sehr bekannt ist. Im Moment interessieren wir uns für Interieurs, Hände, eine allzu lange Autofahrt und ein paar besonders seltsame Einstellungen. Die Bearbeitungsvorschläge werden diese Woche diskutiert, und ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt.
Vielen Dank.
Das Gespräch führte Isa Lange.
Zur Person
Stefanie Diekmann ist seit 2012 Professorin für Medienkulturwissenschaft und seit 2013 Geschäftsführende Direktorin am Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur der Universität Hildesheim. In ihrer Forschung befasst sie sich mit Theorie und Geschichte des Films und der Fotografie, mit Medienästhetik und Medienreflexion im Film. Zuvor hatte sie eine Professur für Medien und Theater an der LMU München sowie Gastprofessuren unter anderem an der FU Berlin, der EMW Potsdam und Europa-Universität Viadrina inne. Ihre Habilitation trägt den Titel „Backstage – Konstellationen von Theater und Kino" (2008), dafür hat sie in vier Jahren ungefähr 120 Filme aus 100 Jahren zum Theater gesichtet, darunter zahlreiche Hollywood-Streifen aus den 1940er und 50er Jahren. Sie promovierte 1999 mit der Arbeit „Mythologien der Fotografie", war anschließend Wissenschaftliche Assistentin an der Europa-Universität Viadrina und Koordinatorin des DFG-Graduiertenkollegs „Repräsentation-Rhetorik-Wissen". Gastdozenturen und Gastprofessuren führten Stefanie Diekmann seit 2005 an die Universität Bern, an die University of Texas/Austin und an das University College Cork. Die in den USA geborene Deutsche studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen.
Antrittsvorlesung
Professorin Stefanie Diekmann befasst sich am Mittwoch, 14. Mai 2014, mit der Frage, wie Serienmacher zu einem Ende kommen. Die öffentliche Antrittsvorlesung mit dem Titel „Aufhören, Anfangen, The Sopranos" beginnt um 18:15 Uhr in der Aula im Hohen Haus des Kulturcampus Domäne Marienburg (Domänenstraße Hildesheim). Interessierte Bürger sind herzlich eingeladen.