„Eine Anorexia nervosa geht mit einem selbst herbeigeführten Gewichtsverlust einher, verbunden mit einer ausgeprägten Angst, zu dick zu werden“, erläutert Prof. Dr. Charlotte Jaite das Krankheitsbild. Dabei komme es zu einer gestörten Körperwahrnehmung, die dazu führt, dass sich die betroffene Person – in der ganz überwiegenden Zahl junge Mädchen und Frauen – als zu dick erlebt, während sie in Wirklichkeit stark untergewichtig ist und häufig bereits an körperlichen Folgeerscheinungen der Unterernährung leidet.
Die ersten Berührungspunkte mit der Erkrankung hatte Jaite als Jugendliche. „Ich habe damals an anderen gesehen, was Magersucht mit einer Person macht, nicht nur auf der körperlichen, sondern auch auf der psychischen Ebene. Dabei habe ich mich in der Rolle als Beobachterin als hilflos erlebt.“ Diese prägende Erfahrung gab den Ausschlag für Jaites späteres Psychologiestudium an der Philipps-Universität Marburg, wo sie ihre Diplomarbeit dem Thema „Traumatische Kindheitserlebnisse bei Jugendlichen mit Anorexia nervosa“ widmete.
Ab dem Jahr 2010 war Jaite als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Charité-Universitätsmedizin Berlin tätig, wo sie seit 2018 die Forschungssektion für Essstörungen im Kindes- und Jugendalter leitete. Parallel absolvierte sie die Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2016 folgte die Promotion an der Freien Universität Berlin, ebenfalls zum Thema Essstörungen. Anschließend absolvierte Jaite eine Zusatzausbildung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie.
An der Charité Berlin leitet Jaite aktuell an eine Pilotstudie, welche anhand von 15 stationär behandelten Patientinnen im Alter von 13 bis 18 Jahren untersucht, ob eine an einem Avatar der jeweiligen Person simulierte, über mehrere Sitzungen behutsam gesteigerte Gewichtszunahme helfen kann, die Wahrnehmung des eigenen Körperbildes zu verbessern. „Wir haben festgestellt, dass die angestrebte Gewichtszunahme in Therapien häufig recht gut gelingt, die Störung des Körperbildes aber deutlich länger anhält, was einen Rückfall nach der Therapie zur Folge haben kann“, berichtet Jaite. „Bis heute sind gängige Therapieformen daher nicht so erfolgreich, wie wir es uns wünschen würden.“
Sollte die Pilotstudie zeigen, dass der Einsatz von Virtueller Realität einen nachhaltigeren Erfolg verspricht, kann Jaite sich vorstellen, Anschlussprojekte auch in Hildesheim umzusetzen. Hier wird sie in der etablierten Hochschulambulanz KiM - Kind im Mittelpunkt – die Kinder- und Jugendpsychotherapie als neuen Schwerpunkt aufbauen.