Verwaltungstexte dürfen nicht allein stehen: Leichte Sprache in der Justiz

Mittwoch, 08. Oktober 2014 um 16:16 Uhr

Erbrecht, Zeugenvorladung, Vorsorgevollmacht – schwierige Verwaltungstexte sind schon so in Ordnung. Aber sie dürfen nicht allein stehen. Sie sollten für Nicht-Fachleute verständlich gemacht werden, fordert Christiane Maaß anlässlich einer Diskussion im Bundesjustizministerium. Die Professorin für Medienlinguistik leitet an der Universität Hildesheim die Forschungsstelle Leichte Sprache.

Christiane Maaß erläutert die „Leichte Sprache“ anhand eines Beispiels und zieht ein Formular mit dem Namen „Anregung zur Einrichtung einer Betreuung“ hervor. Solche Formulare kommen in einer brisanten Lage zum Einsatz, nämlich wenn eine Person nicht mehr für sich selbst sorgen kann. „Man beantragt damit, dass die Person in bestimmten Lebensbereichen nicht mehr selbst entscheiden darf. Das kann nötig werden, wenn die Person eine seelische, körperliche oder geistige Behinderung hat oder bekommt, zum Beispiel durch eine Demenz oder einen Unfall“, sagt Maaß. In dem Originaldokument tauchen Begriffe wie „Sorge für die Gesundheit“, „Aufenthaltsbestimmung“ und „Entscheidung über die Unterbringung“ auf. „Natürlich muss über die ‚Unterbringung‘ entschieden werden. Man braucht ja ein Dach über dem Kopf und muss irgendwo wohnen, denkt man sich dabei. Aber ‚Unterbringung‘ heißt im juristischen Kontext etwas ganz Konkretes: Setzt man hier ein Kreuzchen, dann darf der Betreuer entscheiden, ob der Betroffene in eine geschlossene Unterbringung soll oder nicht“, sagt die Professorin. In der Leichte-Sprache-Version tauchen daher Formulierungen auf wie „Der Betroffene braucht eine geschlossene Unterbringung. Zum Beispiel in einem Kranken•haus. Bei einer geschlossenen Unterbringung muss der Betroffene im Kranken•haus bleiben. Der Betroffene kann nicht weg.“ Das ist deutlich.

Die schwierige Verwaltungskommunikation hat auch ihre Berechtigung, sagt Maaß. „Sie ist Teil des juristischen Diskurses. Und das ist ein Fachdiskurs. Formulare sind justiziabel, es stehen Rechtsgrundlagen und Ansprüche dahinter. Ansprüche des Staats an die Bürger; Ansprüche der Bürger an staatliche oder kommunale Stellen. Diese Ansprüche sind einklagbar und in letzter Konsequenz wird über das, was in einem amtlichen Schreiben steht, vor Gericht gestritten. Schwierige Verwaltungskommunikation ist die Grundlage dafür, dass wir in unserer komplexen Gesellschaft zu unserem Recht kommen.“ Fachkommunikation lasse sich nur in einem bestimmten Umfang „herunterbrechen“, so die Medienlinguistin.

„Die Verwaltungstexte sind schon so in Ordnung. Aber sie dürfen nicht allein stehen. Sie bedürfen einer Verständlichmachung für die Nicht-Experten“, fordert Christiane Maaß. Von verständlichen Texten profitieren viele Leute. Besonders Menschen mit einer eingeschränkten Lesefähigkeit, funktionale Analphabeten und Gehörlose.

Die Forscherinnen der Hildesheimer Uni arbeiten gemeinsam mit dem Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte zusammen und binden Studierende aus dem Masterstudiengang „Medientext und Medienübersetzung“ in Praxisprojekte ein. Im Studium können angehende Medienübersetzer den Schwerpunkt „Barrierefreie Kommunikation“ wählen. Sie haben zum Beispiel Beschreibungen von Berufen sowie Ausstellungstexte für das Roemer- und Pelizaeus-Museum übersetzt. In Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Justizministerium und dem Amtsgericht Hildesheim wurden 2014 Informationsbroschüren zu Erbrecht und Vorsorgevollmacht, Teile des Internetauftritts des Ministeriums, eine Zeugenvorladung und vom Gericht verwendete Formulare in Leichte Sprache übersetzt. Die gedruckten Broschüren sind nun niedersachsenweit im Umlauf. Dabei erklären die Studierenden auch, was ein Richter macht und wie der Strafvollzug organisiert ist. Ziel des Projekts ist der leichtere Zugang zur Justiz durch Abbau sprachlicher Barrieren.

„Leichte Sprache entfaltet in ihrer Geradlinigkeit manchmal eine ganze eigene Poesie und Eindringlichkeit“, sagt Christiane Maaß. So habe die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz eine Passage aus einer Übersetzung des Hildesheimer Teams auf der Berufungszeremonie zur Berufung der neuen Richter verwendet, „weil sie das Wesentliche so schön auf den Punkt bringt“. Die Passage lautet: „So muss ein Richter sein: Ein Richter muss sehr genau sein. Und ein Richter muss seine Entscheidungen gut überlegen. Und ein Richter muss mitfühlen können. Die Bürger müssen wissen: Der Richter ist so. Nur so können die Bürger dem Richter vertrauen.“

In Zusammenarbeit mit der Sprachwissenschaftlerin Prof. Ursula Bredel entsteht derzeit ein Handbuch zur Leichten Sprache, in dem das Sprachsystem wissenschaftlich beschrieben wird. Die bisherigen Regelwerke sind aus der Praxis heraus und ohne wissenschaftliche Fundierung entstanden.

Bundesjustizministerium hat Sprache im Blick

Gesetze und die sogenannten Schreiben vom Amt stehen in dem Ruf, oftmals schwer verständlich zu sein. Sind diese Texte wirklich besonders schwer zu verstehen? Mehrere Initiativen wollen Gesetzestexte, die für den Einzelnen oder für die gesamte Gesellschaft so wichtig sein können, verständlicher machen. Wer nicht versteht, fühlt sich ausgeschlossen und kann – oft wider Willen – an vielem nicht teilhaben. Im Oktober 2014 geht es in einer Diskussionsveranstaltung im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz um „Macht Politik Sprache …verständlich? Kann man Gesetze und Amtsschreiben ‚leichter‘ machen?“. Dabei gibt Prof. Dr. Christiane Maaß, Leiterin der Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim, einen Einblick in das Thema „Lesen und Verstehen: Leichte Sprache in der Verwaltungskommunikation“. Sandra Grohmann, Richterin am Kammergericht Berlin, spricht über „Wenn Sie sich scheiden lassen wollen, müssen Sie das Gericht anrufen. Brauchen wir Dolmetscher für Amts- und Gerichtsdeutsch?“. Stephanie Thieme, Leiterin des Redaktionsstabs Rechtssprache beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz erläutert, wie die „Gesetzesredaktion für die Bundesregierung“ funktioniert.

Was ist Leichte Sprache?

In Leichter Sprache gibt es keine Nebensätze. Jede Aussage beginnt mit einem neuen Satz. Lange Wörter werden, wo sie nicht durch kürzere Entsprechungen oder Umschreibungen ersetzt werden, mit einem Mediopunkt in lesbare Abschnitte unterteilt. Seltene Wörter werden vermieden, in Texten steht das Wichtigste oben. Die fertigen Texte werden von Lesern der Zielgruppe geprüft. Kontovollmacht, Inhalt eines Testaments und Ausschlagung der Erbschaft: dieses Dokument (PDF) enthält Vorher-Nachher-Beispiele.

Studieren im Medientextlabor

Im Medientextlabor der Universität Hildesheim lernen Studierende an 40 Computerarbeitsplätzen, die mit moderner Software ausgestattet sind, Filme zu untertiteln und Medien zu übersetzen. Sie üben das Synchronisieren und bereiten Internetseiten für Menschen mit Behinderungen auf. Für Sehgeschädigte erstellen die Studierenden etwa in Zusammenarbeit mit dem Bayrischen Rundfunk Audioeinführungen für Hörfilme, für Hörgeschädigte bereiten sie Texte in Leichter Sprache auf. Die angehenden Medienübersetzer bringen komplexe Sachverhalte – etwa Gesetzestexte – verständlich zum Ausdruck.

Medienkontakt: Christiane Maaß baut an der Universität Hildesheim die Forschungsstelle Leichte Sprache auf. Bei Interesse stellt die Pressestelle Kontakt her (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100). Übrigens: Auch Märchen, Wahlprogramme und Physik- und Geschichtsbücher können in Leichte Sprache übersetzt werden. Wie das geht, lernen die Hildesheimer Studierenden. Dazu entstehen mehrere Forschungsarbeiten.


Das Bundesjustizministerium nimmt die eigene Sprache unter die Lupe. Professorin Christiane Maaß von der Universität Hildesheim bindet angehende Medienübersetzerinnen in Praxisprojekte ein: Sie übersetzen Märchen, Gesetze, Behörden- und Museumstexte in Leichte Sprache. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim (2), BMJV/Habig

Das Bundesjustizministerium nimmt die eigene Sprache unter die Lupe. Professorin Christiane Maaß von der Universität Hildesheim bindet angehende Medienübersetzerinnen in Praxisprojekte ein: Sie übersetzen Märchen, Gesetze, Behörden- und Museumstexte in Leichte Sprache. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim (2), BMJV/Habig

Das Bundesjustizministerium nimmt die eigene Sprache unter die Lupe. Professorin Christiane Maaß von der Universität Hildesheim bindet angehende Medienübersetzerinnen in Praxisprojekte ein: Sie übersetzen Märchen, Gesetze, Behörden- und Museumstexte in Leichte Sprache. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim (2), BMJV/Habig