Verborgene Machtstrukturen im digitalen Raum – Prof. Dr. Lena Ulbricht erforscht die Regulierung digitaler Technologien

Freitag, 07. März 2025 um 11:42 Uhr

Soziale Ordnungsprozesse und Machtstrukturen sind in der Gesellschaft immer umkämpft. Als Sozialwissenschaftlerin beschäftigt sich Prof. Dr. Lena Ulbricht mit Machtungleichgewichten und den politischen Prozessen, in denen Machtverhältnisse ausgehandelt werden. Seit Oktober 2024 ist sie Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Hildesheim mit dem Schwerpunkt Politik und Digitalisierung. In ihrer Forschung untersucht sie, die Auswirkungen digitaler Transformationen auf politische Prozesse und Institutionen. Dabei analysiert sie unter anderem, auf welche Art und Weise Regierungen digitale Plattformen einsetzen, etwa für Polizeiarbeit. Seit etlichen Jahren fokussiert sich Ulbricht auch verstärkt auf die Gestaltung und Regulierung von digitalen Technologien.

Ulbricht analysiert, wie politische und gesellschaftliche Akteure, darunter Behörden, Parlamente, Gerichte, Gewerkschaften und Verbände, digitale Technologien gestalten und welche Rolle diese bei der Sicherung demokratischer Werte spielen. Dazu gehören unter anderem Gesetze zu Datenschutz, Meinungsfreiheit und Maßnahmen gegen digitale Desinformation. In den letzten Jahren hat sich dieses Feld durch zahlreiche neue Rechtsakte erweitert, etwa in den Bereichen Verbraucherschutz, Antidiskriminierung und Wettbewerbsregulierung: „Es ist faszinierend zu beobachten, wie sich die Regulierung von einem Bereich der weitgehenden Selbstregulierung hin zu einem komplexen System ineinandergreifender gesetzlicher Maßnahmen entwickelt hat. Diese Dynamik sichtbar zu machen hilft uns, politische Prozesse besser zu verstehen“, betont die Wissenschaftlerin.

Von der Bildungspolitik zur digitalen Transformation

Schon während ihres Studiums interessierte sich die Professorin für Machtstrukturen. Sie promovierte 2014 an der Humboldt Universität zu Berlin mit dem Fokus auf Bildungspolitik: „Die Bildungspolitik fand ich schon immer spannend, da sich hier soziale Ungleichheit stark niederschlägt. Zudem ist es auch ein politikwissenschaftlich interessantes Thema, da Bildung in Deutschland föderal organisiert ist. Das bedeutet, dass es wirklich komplexe politische Prozesse sind, die dahinter stecken und es keineswegs einfach ist, Bildungsreformen durchzuführen,“ erläutert sie. Während ihrer Promotion arbeitete Ulbricht im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Im Anschluss hat sie die Wissenschaft kurz verlassen und ist während ihrer Arbeit in einem Beratungsunternehmen auf das Thema digitale Technologien gestoßen: „Ich fand das Thema spannend, wollte es aber lieber sozialwissenschaftlich betrachten und aktiv daran forschen. Das war der Zeitpunkt, ab dem ich begonnen habe, die digitale Transformation zu untersuchen.“ Diese Forschung erfolgte 2017 anhand eines großen Forschungsprojekts, das Ulbricht leitete – erst am WZB, dann am Weizenbaum-Institut. Innerhalb dieses Forschungsprojekts hat sie sich mit Fragen auseinandergesetzt, wie digitale Technologien eingesetzt werden, um Bevölkerungen zu analysieren und zu steuern.

Sicherheit für Nutzer*innen und Technik-Regulierung

Aktuell befasst sich Ulbricht mit den Herausforderungen der Verwaltungsdigitalisierung und der Frage, wie Bürger*innen digitale Dienstleistungen sicher nutzen können: „Nutzerinnen und Nutzer sind im digitalen Raum sehr verletzlich unterwegs und dass sich dies in den letzten zehn Jahren nicht verändert hat, liegt auch an Machtverhältnissen, beispielsweise an der Macht großer Tech-Konzerne die sich gegen Regulierung schützen“, erläutert sie. In Anbetracht der Regulation von digitalen Technologien untersucht Ulbricht zudem verschiedene Länder. Innerhalb der EU gibt es Bestrebungen, Siegel und Labels für Apps einzuführen, auf die sich Nutzer*innen sicher verlassen können, ähnlich wie Fairtrade- oder Umweltzertifikate. Andere Beispiele für Regulierung findet man in Lateinamerika: „In Brasilien wird bereits seit Jahren intensiv über den Schutz bürgerlicher Freiheitsrechte im digitalen Zeitalter diskutiert, insbesondere in Bezug auf Desinformation in Wahlkämpfen. Die Justiz greift dort stärker ein, um falsche Informationen zu stoppen; in Chile setzt man auf wissenschaftliche Kommissionen, in Kolumbien ist die Zivilgesellschaft sehr aktiv in der Sensibilisierung der Bevölkerung gegen Desinformation“, sagt Ulbricht.

Die Lehre und Forschung in Hildesheim

An der Universität Hildesheim widmet sich Ulbricht insbesondere der Nutzung digitaler Daten für die sozialwissenschaftliche Forschung. Sie setzt sich dafür ein, digitale Daten und Methoden (Digital Methods, Data Science) in der Politikwissenschaft zugänglich zu machen und entsprechende Analyseverfahren in die Lehre zu integrieren. Studierende und Promovierende sollen ein grundlegendes Verständnis für digitale Bevölkerungsanalysen entwickeln, das für spätere Berufe in Ministerien, Kanzleien, Meinungs- und Marktforschung von Bedeutung ist. Ein weiteres Anliegen ist Ulbricht die interdisziplinäre Vernetzung. Sie arbeitet daran, das Institut für Sozialwissenschaften stärker mit dem Institut für Informatik zu vernetzen, um gemeinsame Projekte im Bereich Künstliche Intelligenz und digitale Technologien zu planen.

Zukunftsvision: Mehr Partizipation in der digitalen Regulierung

In Zukunft möchte die Professorin untersuchen, wie technologische Regulierungen pluraler und partizipativer gestaltet werden können, um eine breitere gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen: „Politische Partizipation sollte für mehr Menschen Teil des Alltags sein. Nutzerinnen und Nutzer sollten häufiger selbst mitentscheiden oder sich zumindest über kollektive Entscheidungen informieren können. Derzeit werden diese Prozesse jedoch meist in kleinen, exklusiven Kreisen gesteuert, etwa technischen Standardisierungsgremien. Viele innovative Ideen für eine gerechtere Regulierung digitaler Räume existieren bereits, doch oft fehlen ihnen Aufmerksamkeit, Finanzierung oder politische Unterstützung." Ulbricht sieht die Rolle der Wissenschaft darin, diese Ideen sichtbar zu machen und zu beforschen: „In der Regel haben die guten Ideen und Vorschläge nicht wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber wir erkennen die Daten, analysieren Trends und können durch unsere Forschung dazu beitragen, dass vielversprechende Ansätze mehr Aufmerksamkeit erhalten."


Prof.Dr.Ulbricht. Foto: Clo Catalan.