UNESCO-Musikstadt: Schnittmengen suchen und in Musik investieren

Samstag, 06. Dezember 2014 um 06:54 Uhr

Eine Stadt findet ihren Rhythmus: Hannover wurde von der UNESCO als City of Music ausgezeichnet. Was steckt dahinter, ist das mehr als ein Stempel auf dem Briefkopf? Die Auszeichnung als Musikstadt kommt auch in Hildesheim an. Nachgefragt bei Kulturpolitikern und Musikethnologen.

Anfang Dezember 2014 wurde die niedersächsische Landeshauptstadt von der Kulturorganisation der Vereinten Nationen als City of Music ausgezeichnet. Die Stadt Hannover hat sich mit einer Kombination aus musikalischer Vielfalt, musikalischer Bildung und Musikwirtschaft beworben und reiht sich nun ein in das Netzwerk der „kreativen Städte", zwischen Bogota, Bologna und Sevilla. Hannover ist die Stadt, in der die Schallplatte erfunden – Emil Berliner hat vor 125 Jahren die Deutsche Grammophon gegründet –, die erste Musikkassette produziert und die erste CD gepresst wurde. Im digitalen Zeitalter nicht mehr wegdenkbar: Auch das MP3-Format wurde von einem Hannoveraner mitentwickelt.

Die Auszeichnung als Musikstadt kommt auch in der umliegenden Region an. Etwa in Hildesheim. Das sei eine große Ehre für die Stadt Hannover, vor allem aber eine Herausforderung, meint Professor Wolfgang Schneider. Den Titel könne man als Auftrag verstehen, Investitionen in Musikschulen und Musikunterricht auf den Weg zu bringen und Räume für die Kreativen zu finden (lesen Sie mehr im Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, 06.12.2014). Er beobachtet kulturpolitische Entwicklungen in ländlichen Regionen und Großstädten und wie Kultur zum Wirtschaftsfaktor wird. Schneider gehört seit zwei Jahren selbst zum UNESCO-Netzwerk, ist Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls „Cultural Policy for the Arts in Development“ (Kulturpolitik für die Künste innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse), angesiedelt am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Seine Arbeitsgruppe geht zum Beispiel der Frage nach, welche Rolle Künstler in politischen Umbrüchen in Nordafrika spielen und unter welchen Rahmenbedingungen sie arbeiten.

In der Kulturpolitik, so Schneider, bietet es sich an, konzeptbasiert vorzugehen: Für die Bewerbung bei der UNESCO hat Hannover eine Bestandsaufnahme gemacht. Der musikalische Herzschlag wurde also erfasst, der Klangkörper Hannover gescreent. Die Stadt sollte weiter herausarbeiten, wo Stärken und Desiderate liegen. „Es ist ein Abwägen zwischen Hochkultur und der Breite, zwischen Spitzenleistungen und kultureller Bildung. Man kann zweigleisig fahren. Es geht nicht allein um Geld, Spitzenleistungen können auch durch Veranstaltungsmanagement Anerkennung erfahren", so der Kulturpolitikprofessor. Indem man hört, was ist. „Es ist absolut notwendig, dass die City of Music zur City of People of Music wird, dass die Menschen eingebunden werden. Ein Weg kann sein, von Anfang an darauf zu setzen, dass Musik zum Alltag gehört. Das fängt im Kindergarten an."

Warum nicht diesen Weg einschlagen: Jede Erzieherin und jeder Erzieher, der in Hannover eingestellt wird, muss ein Instrument spielen können, so Wolfgang Schneiders Vorschlag. Chancen sieht er auch im Ganztagsschulbereich, die Musik im Schulalltag Hannovers zu stärken und gegenwärtiges Kindermusiktheater zu etablieren.

„Mit dem Label UNESCO City of Music sollte man nun Schnittmengen zwischen den vielen Einrichtungen und Kulturschaffenden stärker suchen, das Netz der Creative Cities beleben und gemeinsame Programme gestalten", schlägt Professor Raimund Vogels vom Center for World Music der Hildesheimer Universität vor. Die Möglichkeiten, sich nun mit den anderen Städten wie zum Beispiel Hamamatsu in Japan auszutauschen, seien äußerst wertvoll. Die musikalische Vielfalt müsse auch stärker in Schulen und Stadtteilen aufgegriffen werden, so Vogels. Die Hildesheimer Uni, die Musikhochschule in Hannover und die Stiftung Niedersachsen arbeiten in dem musikethnologischen Forschungszentrum seit fünf Jahren zusammen, das auch in der Bewerbung um den UNESCO-Titel mit aufgeführt wurde.

Entstanden ist zum Beispiel ein berufsbegleitender Studiengang. Berufstätige, darunter Lehrer, Erzieher, Sozialpädagogen, Musiker, Tontechniker und Polizisten, lernen, wie sie die musikalische Vielfalt in ihrer Arbeit in Schulen, Kitas, Stadtteilen und Jugendzentren aufgreifen können. Einige der 20- bis 60-jährigen Studentinnen und Studenten haben türkische, iranische, marokkanische und russische Wurzeln. In den zwei Studienjahren lernt jeder Student ein Instrument aus einem anderen Kulturkreis als dem eigenen und setzt ein Praxisprojekt in der Region um. „Es freut uns, das die Kulturelle Vielfalt eine wichtige Kernaussage der Bewerbung Hannovers ist. Denn die Vielzahl der Kulturen, die in unserer Gesellschaft leben werden hier als Bereicherung erkannt. Anerkennung und Wertschätzung der Musik ist ein wichtiger Beitrag für die Integration. Wir arbeiten bereits stark an der Umsetzung der UNESCO-Konvention zur Förderung und zum Erhalt der Kulturellen Vielfalt in der Region", berichtet Morena Piro, die den Studiengang mit aufgebaut hat.

Daran knüpft Kulturpolitikprofessor Schneider an: Hannover ist eine multikulturelle Stadt mit vielen musikalischen Sprachen. Über die Städtepartnerschaften, etwa nach Blantyre in Malawi, kann die Stadt Beziehungen zu anderen musikalischen Sprachen ausbauen und pflegen.

Wo endet eine Musikstadt eigentlich – dazu Schneider: Eine Großstadt wie Hannover hat immer auch Verpflichtung für die Region. In Kultureinrichtungen gehen auch Bürger, die nicht aus Hannover kommen.

Info: Musikalische Vielfalt – Was ist das Center for World Music?

Das 2009 gegründete Center for World Music versteht sich als Kompetenzzentrum der Musikethnologie an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit. In Kooperation von Universität Hildesheim und Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover widmet es sich in Forschung, Lehre und öffentlichen Veranstaltungen den Musikkulturen der Welt. Das Center for World Music beheimatet umfangreiche Tonträger und Instrumenten- Sammlungen. Dazu zählt das „Music of Man Archive" des Musikethnologen Professor Wolfgang Laade, eine Leihgabe der Stiftung Niedersachsen mit etwa 45.000 Tonträgern, 10.000 Büchern und 1.000 Musikinstrumenten. Eine der größten privaten Sammlungen außereuropäischer Instrumente kommt in der Lehrer- und Erzieherausbildung in Hildesheim zum Einsatz. Die Sammlung Rolf Irle umfasst über 3000 Musikinstrumente. Im Saal des Center for World Music werden etwa 1.000 Objekte als Dauerausstellung gezeigt. In Forschungs- und Digitalisierungsprojekten ist das Center for World Music international ausgerichtet und verfügt über enge Kooperationsbeziehungen mit Musiksammlungen unter anderem in Kairo, Teheran, Accra und Maiduguri. „Das Center for World Music steht für die musikalische Vielfalt und wir freuen uns mit Botschafter für die UNESCO City of Music zu sein. Wir wünschen uns künftig, gerade im Bereich der Vermittlung, mit unseren Angeboten noch mehr wirken zu können und die Kooperationen mit den Partnern Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Pavillion, Musikzentrum und vielen anderen zu stärken", sagt Raimund Vogels.

Lesetipp – Mehr zum Thema in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung:

„Was wird hier gespielt? Aufmerksamkeit als Währung: Warum ist Hannover City of Music geworden? Weil die Stadt es will / Nachgefragt bei Wolfgang Schneider, Professor für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim", Interview, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 06.12.2014 (print)


Sinne schärfen für Klänge aus anderen Ländern: Vor 100 Jahren wurde die erste iranische Schallplatte in Hannover gepresst. Ein Jahrhundert später digitalisiert ein Forscherteam aus Teheran und Hildesheim diese und weitere Platten aus 100 Jahren iranischer Musiktradition. Wie man mit der musikalischen Vielfalt in unseren Städten umgeht, damit befassen sich Kulturpolitikprofessor Wolfgang Schneider und Musikethnologe Raimund Vogels, im Bild mit Professorin Viola Georgi vom Zentrum für Bildungsintegration der Universität Hildesheim. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Sinne schärfen für Klänge aus anderen Ländern: Vor 100 Jahren wurde die erste iranische Schallplatte in Hannover gepresst. Ein Jahrhundert später digitalisiert ein Forscherteam aus Teheran und Hildesheim diese und weitere Platten aus 100 Jahren iranischer Musiktradition. Wie man mit der musikalischen Vielfalt in unseren Städten umgeht, damit befassen sich Kulturpolitikprofessor Wolfgang Schneider und Musikethnologe Raimund Vogels, im Bild mit Professorin Viola Georgi vom Zentrum für Bildungsintegration der Universität Hildesheim. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Sinne schärfen für Klänge aus anderen Ländern: Vor 100 Jahren wurde die erste iranische Schallplatte in Hannover gepresst. Ein Jahrhundert später digitalisiert ein Forscherteam aus Teheran und Hildesheim diese und weitere Platten aus 100 Jahren iranischer Musiktradition. Wie man mit der musikalischen Vielfalt in unseren Städten umgeht, damit befassen sich Kulturpolitikprofessor Wolfgang Schneider und Musikethnologe Raimund Vogels, im Bild mit Professorin Viola Georgi vom Zentrum für Bildungsintegration der Universität Hildesheim. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim