„Um Arten zu schützen, müssen wir sie erforschen“

Mittwoch, 29. Januar 2025 um 11:50 Uhr

Dr. Anja Günther ist seit Januar 2025 Professorin für Zoologie und Tierökologie am Institut für Biologie der Universität Hildesheim. Sie erforscht die Ökologie von Nagetieren in freier Wildbahn und untersucht, wie sich die Tiere an ein menschlich geprägtes Umfeld anpassen.

Dass in der tunnelartigen kleinen Kiste, die da auf der Wiese steht, manchmal Futter liegt, weiß die Rötelmaus schon. Aber diesmal befindet sich das Futter in einer Petrischale und auf der Petrischale ist ein Deckel. Die Maus macht eine schnelle Hebelbewegung mit der Schnauze und der Deckel ist ab. Problem gelöst, das Futter liegt frei. Zu sehen ist diese Szene in einer kurzen Videosequenz, die Prof. Dr. Anja Günther in ihrem Büro abspielt, um zu veranschaulichen, wie sie und ihr Forschungsteam verschiedene experimentelle Settings mit frei lebenden Nagetieren umsetzen.

„Was wir mit solchen Experimenten untersuchen ist, wie Tiere auf Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren.“ Während andere Forschungen stärker die langfristigen Veränderungen innerhalb einer ganzen Tierart oder zumindest einer größeren Population in den Blick nehmen, liegt Anja Günthers Schwerpunkt auf kurzfristigen Anpassungsmechanismen einzelner Tiere. Mit ihrem Forschungsteam platziert sie dafür neue Stimuli in einer bekannten Umgebung und beobachtet dann durch eine Wildkamera, welche Tiere wie darauf reagieren. „Uns interessiert zum Beispiel, welche Maus innerhalb einer Gruppe den Impuls zu einem veränderten Verhalten gibt. Und welche Restriktionen andere Tiere in der Gruppe davon abhalten, das zu tun.“

Schon während ihres Biologiestudiums in Osnabrück – auf Diplom und auf Lehramt zugleich– interessierte sich Anja Günther besonders für die Verhaltensökologie von Säugetieren. Über die Ausschreibung einer Doktorarbeit an der Universität Bielefeld kam sie zum Forschungsobjekt Wildmeerschweinchen. In diesem Projekt untersuchte sie, wie sich die dort heimischen Nagetiere in Verhalten und Physiologie an die unterschiedlichen Jahreszeiten anpassen. „Die saisonale Veränderung betrifft zum Beispiel die Stoffwechselaktivität, die Reproduktion und viele Verhaltensweisen“, erläutert Günther. Nach der Promotion führte sie ihre Arbeit als Post-Doc an der Universität Bielefeld und später an der Reichsuniversität Groningen unter Leitung des renommierten Verhaltensforschers Prof. Antonius Groothuis fort und spezialisierte sich weiter in den Bereichen Physiologie und Sozialverhalten.

Seit 2020 leitet Anja Günther am Max-Plank-Institut für Evolutionsbiologie die Forschungsgruppe „Verhaltensökologie individueller Variation“ und erforscht in ihrer wissenschaftlichen Arbeit verschiedene heimische Nagetierarten von Hausmaus über Rötelmaus, Waldmaus, Gelbhalsmaus bis zur Ratte. „Dabei unterscheidet sich das Anpassungsverhalten nicht nur von Tier zu Tier, sondern auch von Art zu Art“, berichtet die Biologin. „Anders als es oft angenommen wird, gehören Ratten zum Beispiel zu den Tierarten, die in einem durch Menschen geprägten Umfeld eher vorsichtiger und misstrauischer agieren.“ Manche Mäusearten dagegen würden mit zunehmender Gewöhnung eher mutiger und unvorsichtiger.

Die Professur an der Universität Hildesheim mit den Schwerpunkten Zoologie und Tierökologie sei wie für sie gemacht, sagt Anja Günther. „Ich habe hier die Möglichkeit, weiter mit Wildnagern in ihren natürlichen Lebensräumen zu arbeiten, dafür ist nicht zuletzt auch die Nähe zu mehreren Naturschutzgebieten auch dem Nationalpark Harz sehr attraktiv.“ Für bestimmte Studienreihen sollen die untersuchten Tiere auch für einige Wochen in einem auf die jeweilige Art angepassten Gehege untergebracht und anschließend wieder freigelassen werden. Neben der Fortführung ihrer Forschung ist es Anja Günther mindestens genauso wichtig, über die Lehre direkt (und im Bereich Lehramtsausbildung auch indirekt) dazu beizutragen, nachfolgende Generationen für den Umgang mit Wildtieren und die Auswirkungen von Landwirtschaft und Städtebau auf deren natürliche Lebensräume zu sensibilisieren. „Um heimische Tierarten schützen zu können, müssen wir sie erforschen“, betont Günther. Es brauche verlässliche Daten, um herauszufinden, wie Wildtiere in einer vom Menschen geprägten Umwelt leben – erst daraus lässt sich ableiten, wie sie in dieser Umwelt gut leben können.

Erstellt von Stabsstelle Kommunikation und Medien

 


Dr. Anja Günther ist seit Januar 2025 Professorin für Zoologie und Tierökologie am Institut für Biologie der Universität Hildesheim.

Anja Günthers Schwerpunkt liegt auf kurzfristigen Anpassungsmechanismen einzelner Tiere. Fotos: privat