Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Andreas Mojzisch, Professor für Sozialpsychologie am Institut für Psychologie der Universität Hildesheim, hat in einer experimentellen Studie untersucht, wie Menschen ihr eigenes Verhalten während der COVID-19-Pandemie im Vergleich zum Verhalten anderer Menschen einschätzen.
Online-Studie mit 1.102 Personen aus Großbritannien, USA, Schweden und Deutschland
Professor Mojzisch und die wissenschaftlichen Mitarbeiter Christian Elster and Markus Germar haben in einer Stichprobe 1.102 Personen aus vier verschiedenen Ländern (Großbritannien, USA, Schweden, Deutschland) befragt. Die Studie wurde kürzlich in der Zeitschrift „Psychology, Health & Medicine" (People perceive themselves to adhere more strictly to COVID-19 guidelines than others) publiziert.
Die vier verschiedenen Länder wurden ausgewählt, weil die Regierungen in diesen Ländern sehr unterschiedlich auf die Pandemie reagierten und somit untersucht werden konnte, wie robust die Befunde hinsichtlich unterschiedlicher Kontextfaktoren sind.
Das Forschungsteam hat die Studienteilnehmer*innen in einer Online-Studie befragt, wie streng sie sich an neun verschiedene COVID-19-Regeln halten (von „überhaupt nicht streng“ bis „sehr streng“). So gaben die Teilnehmer*innen an, wie streng sie regelmäßig und gründlich ihre Hände für mindestens 20-30 Sekunden reinigen; wie strikt sie selbst einen Mindestabstands von ein bis zwei Metern zu anderen Personen einhalten; wie strikt sie sich so oft wie möglich zu Hause aufhielten; ob sie das Berühren von Nase, Mund und Augen vermeiden, ob sie „soziale Distanzierung“ (social distancing) betreiben und hierzu überfüllte Bereiche vermeiden und anderes mehr.
Die eine Hälfte der Studienteilnehmer*innen sollte zudem das Verhalten ihrer engen Freunde in Bezug auf die COVID-19-Regeln einschätzen, während die andere Hälfte der Studienteilnehmer*innen das Verhalten der durchschnittlicher Bürger*innen einschätzen sollte.
Um Reihenfolge-Effekte statistisch zu kontrollieren, sollte die eine Hälfte der Studienteilnehmer*innen zuerst ihr eigenes Verhalten und erst danach das Verhalten der anderen einschätzen, während bei der anderen Hälfte der Studienteilnehmer*innen die Reihenfolge genau anders herum war.
Studienteilnehmer*innen schätzen sich in ihrem Verhalten während der COVID-19-Pandemie als „besser als der Durchschnitt“ ein
Die Studienergebnisse zeigen, dass die befragten Studienteilnehmer*innen sich selbst in ihrem Verhalten während der COVID-19-Pandemie als „besser als der Durchschnitt“ („better-than-average“) einschätzen. Dabei waren sie nicht nur der Meinung, dass sie die COVID-19-Regeln stärker befolgten als andere Bürger*innen ihres Landes, sondern auch, dass sie die Regeln stärker befolgten als ihre Freunde. Es spielte dabei keine Rolle, ob die Studienteilnehmer*innen zuerst ihr eigenes Verhalten und erst danach das Verhalten der anderen Menschen einschätzen sollten oder umgekehrt. Die Ergebnisse waren außerdem in allen vier Ländern nahezu identisch. Dies spricht dafür, dass es sich um einen sehr stabilen Befund handelt, der nicht von Kontextfaktoren abhängig ist, erläutert Professor Mojzisch.
Die Forschung wurde durch eine Anschubfinanzierung des Präsidiums der Universität Hildesheim unterstützt.
Die Arbeitsgruppe Sozialpsychologie der Universität Hildesheim befasst sich in der Forschung unter anderem mit sozialer Konformität, Gruppenentscheidungen und Gruppenurteilen, Arbeit und Gesundheit sowie sozialer Identität.
Arbeitsgruppe Sozialpsychologie
Weitere Informationen:
Nachgefragt bei Prof. Dr. Andreas Mojzisch, Professor für Sozialpsychologie
Herr Professor Mojzisch, was ist das Besondere an Ihrer Untersuchung? Knüpfen Sie an ähnliche Studien an?
Mojzisch: Die Studie knüpft an den klassischen „better than average“-Effekt an. Die meisten Menschen (natürlich nicht alle) halten sich in vielen Bereichen des täglichen Lebens für besser als der Durchschnitt – obwohl dies rein mathematisch unmöglich ist. Wir haben untersucht, ob sich dieses Phänomen auch auf das Verhalten in der gegenwärtigen Pandemie übertragen lässt. Denken Menschen, dass sie sich selbst strikter an die COVID-19-Regeln halten als andere Menschen?
Sie schreiben in Ihrer Studie: “In conclusion, our study provides a robust demonstration of how a long-standing psychological effect perseveres, even during a once-in-a-lifetime health crisis." Was ist damit genau gemeint?
Mojzisch: Viele psychologische Effekte sind nicht sonderlich stabil. Kaum ändert sich ein Kontextfaktor und schon schaut das Ergebnis der Studie ganz anders aus. Die Ergebnisse unserer Studie weisen dagegen darauf hin, dass der „better than average“-Effekt extrem robust ist. Menschen denken nicht nur, dass sie sich strenger an die COVID-19-Regeln halten als der Durchschnitt der Mitbürger*innen, sondern auch strenger als ihre Freunde. Und dieses Befundmuster zeigt sich nahezu identisch in allen vier Ländern.
Sie haben sich in Ihrer Untersuchung mit der Frage befasst, wie Bürger*innen ihr Verhalten mit jenem anderer in dieser Gesundheitskrise vergleichen. Warum befassen Sie sich mit dieser Fragestellung? Welche Impulse gibt Ihre Untersuchung?
Mojzisch: Wir Menschen sind Herdentiere. Das bedeutet, dass unser Verhalten stark davon beeinflusst wird, wie wir das Verhalten anderer Menschen wahrnehmen. Wenn ich nun aber dem „better than average“-Effekt unterliege und der Meinung bin, dass sich die anderen Menschen weniger strikt an die COVID-19-Regeln halten als ich selbst, dann kann das die gefährliche Konsequenz haben, dass langfristig meine Motivation sinkt, mich ebenfalls an die Regeln zu halten.
Die Fragen stellte Isa Lange.