Sprache im Wandel

Mittwoch, 30. Mai 2012 um 18:04 Uhr

Ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen wächst heute mit mehreren Sprachen auf. Prof. Dr. Elke Montanari ist seit März 2012 Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Hildesheim. Die vielfältigen sprachlichen Situationen können und müssen in der Schule aufgegriffen und Lehrkräfte darauf vorbereitet werden, unterstreicht sie. Ein neuer Masterstudiengang „Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache“ soll ab 2013 an der Universität Hildesheim angeboten werden. Isa Lange sprach mit Elke Montanari über Mehrsprachigkeit und Sprachwandel.

Wie entwickelt sich eine Sprache durch Migration weiter?

Dass sich Sprache verändert, ist in Europa seit der Antike bekannt; schon Platon setzt sich im Kratylos mit der Veränderlichkeit von Benennungen auseinander.

Migration und damit der Kontakt mit Menschen, die andere Sprachen einbringen, bereichert. Zum Beispiel durch neue Wörter, mit denen Dinge ausgedrückt werden können, die vorher anders oder gar nicht bezeichnet wurden (z.B. Sofa, Coiffeur, Döner), und dadurch neue Färbungen, Bedeutungen mitbringen. Genauso können Vereinfachungen entstehen, komplexe Formen überholt werden. Wer schreibt heute noch „ich buk einen Kuchen“? Der Kontakt mit anderen Sprachen – oder vielmehr: mit Gesprächspartnern – kann solche Entwicklungen beschleunigen oder beeinflussen.

Migration ist ja in Europa kein junges Phänomen: jüngere Beispiele sind die Hugenotteneinwanderung und die Einwanderung polnischer Arbeitskräfte; einige Namen erinnern noch heute daran. Mehrsprachigkeit gehört daher schon lange zu dieser Gesellschaft. Als Linguistin betrachte ich sprachlichen und gesellschaftlichen Wandel mit Interesse.

Wie reagiert die Lehrerbildung auf Sprachwandel?

In den Bildungsinstitutionen stellt sich die Aufgabe für die Lehrkräfte – die wir ja ausbilden – junge Menschen gesellschaftlich handlungsfähig zu machen. So müssen, bei aller Offenheit für Sprachwandel, Handlungsmuster vermittelt werden – wie ein Aufsatz, ein Bewerbungsschreiben zu verfassen ist, wie eine Diskussion in der Klasse geführt wird. Hier ist es also wichtig, etablierte Formen anwenden zu können. Das ist ein schwieriger Spagat – einerseits Schülerinnen und Schüler zu kreativem und neuartigem sprachlichen Handeln zu ermutigen, andererseits klassische Formen zur Verfügung zu stellen und einzufordern.

Sie forschen in den Bereichen Mehrsprachigkeit und Spracherwerb. Was ist denn am Zweitspracherwerb besonders – und was nicht?

Ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler wächst heute mit mehreren Sprachen auf. Einige sprechen eine andere Sprache als die Schulsprache zu Hause, andere hören von ihren Eltern z.B. Urdu oder Türkisch, sprechen aber selbst Deutsch in der Familie. Wieder andere wachsen mit einsprachig deutschen Elternteilen auf und kommen bei ihren Freunden mit Mehrsprachigkeit in Berührung. Diese vielfältigen sprachlichen Situationen können und müssen in der Schule aufgegriffen werden. Auf diese Weise können die einsprachigen Kinder profitieren, weil sie lernen, die deutsche Sprache als eine unter vielen zu begreifen und sie besser zu verstehen; die mehrsprachigen Kinder werden in ihrem Wissen gestärkt und bauen auf diesen Ressourcen auf.

Der geplante Masterstudiengang „Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache“ an der Universität Hildesheim wird diese Fragestellungen gezielt aufgreifen. In diesem Bereich wird auch das Forschungsprojekt zum bilingualen Wortschatzerwerb liegen, das am Institut für deutsche Sprache und Literatur von mir geleitet wird.

Welche Rolle nimmt „Deutsch als Zweitsprache“ in der Lehrerbildung an der Universität Hildesheim ein?

Viele Studierende haben eigene mehrsprachige Erfahrungen. Mehrsprachigkeit ist in allen Fächern ein Thema. So haben sich Naturwissenschaften immer wieder damit auseinander gesetzt, in welcher Form einzelne Sprachen überwunden werden können und dafür Lösungen gefunden, z.B. im Periodensystem oder in der Logik. Spannend ist auch die Rolle der Sprache in den Naturwissenschaften an: Eine Versuchsbeschreibung ist immerhin sprachlich genauso komplex wie ein Aufsatz.

Deutsch als Zweitsprache und Mehrsprachigkeit sind Querschnittsthemen, und ich hoffe, dass Studierende aller Fachrichtungen für diese Fragen offen sind. Gegenseitige Inspirationen kann ich mir gut vorstellen: Aus der Anschaulichkeit eines Experiments leichter in die sprachliche Darstellung finden, von der Sprache in die Literatur kommen, Fremdsprache und Zweitsprache in Bezug setzen – die Übergänge sind fließend. Jedenfalls freue ich mich auf viele Diskussionen an dieser Universität.

Vielen Dank für das Gespräch.

Lesen Sie das Interview über Mehrsprachigkeit im Uni-Journal, Ausgabe Mai 2012 (PDF)


Ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen wächst heute mit mehreren Sprachen auf. Prof. Dr. Elke Montanari ist seit März 2012 Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Hildesheim.

Ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen wächst heute mit mehreren Sprachen auf. Prof. Dr. Elke Montanari ist seit März 2012 Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Hildesheim.