Promotionskolleg Bildungsintegration: Erste Ergebnisse aus der Forschung

Freitag, 17. März 2017 um 17:06 Uhr

Doktorandinnen und Doktoranden berichten Ende März 2017 während einer Konferenz des Zentrums für Bildungsintegration aus der empirischen Forschung. Sie untersuchen zum Beispiel, wie Bildungsbiographien zwischen zwei Ländern und Bildungssystemen verlaufen, welche Kriterien Eltern mit und ohne Migrationshintergrund bei der Schulwahl für ihre Kinder anlegen, welche Inhalte in Integrationskursen vermittelt werden und welche Motivation hinter dem Engagement für Geflüchtete steckt.

Während der Konferenz „Bildungsteilhabe im Zeichen von Diversität: Diskurse, empirische Zugänge und Handlungsfelder“ geben 13 Doktorandinnen und Doktoranden des „Promotionskollegs Bildungsintegration“ Einblicke in ihre empirische Forschung. Seit 2014 untersuchen sie in ihren Dissertationen wichtige bildungspolitische Fragestellungen der Migrationsgesellschaft.

„Wir leben in einer Zeit, in der die Themen Migration und Integration die Gesellschaft stark polarisieren und spalten. Forschung kann hier einen Beitrag zur empirischen Aufklärung politischer Herausforderungen in der Migrationsgesellschaft leisten“, sagt Professorin Viola Georgi. Die Erziehungswissenschaftlerin ist Expertin für Fragen der Bildung in der Einwanderungsgesellschaft und leitet an der Universität Hildesheim das „Zentrum für Bildungsintegration – Diversity und Demokratie in Migrationsgesellschaften“.

Die Konferenz ist öffentlich und findet am Freitag, 31. März 2017, ab 10:30 Uhr im Forum am Universitätsplatz 1 in Hildesheim statt. Etwa 100 Fachleute aus Wissenschaft, Bildungspolitik und pädagogischer Praxis werden erwartet. Wer Fragen zur Konferenz hat, kann sich bei Filiz Keküllüoğlu melden (E-Mail: filiz.kekuellueoglu@uni-hildesheim.de, Tel. 05121.883-10120). Eine Anmeldung zur Konferenz ist bis zum 15. März möglich, die Teilnahmegebühr beträgt 20 Euro.

Programm der Konferenz

Promotionskolleg Bildungsintegration

Nachgefragt bei Doktorandinnen und Doktoranden

Was untersuchen Sie? Erste Ergebnisse aus der Forschung

Eintauchen in den Alltag: Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befassen sich in empirischen Studien mit Teilhabe und Benachteiligung in Bildungssystemen. Hier geben fünf Doktorandinnen und Doktoranden der Universität Hildesheim Einblicke in ihre Forschung.

Wie Eltern über Schulwege entscheiden

Dilek İkiz, 29, Doktorarbeit „Strategien bildungsprivilegierter Eltern in Berlin-Kreuzberg beim Übergang ihres Kindes auf die weiterführende Schule“ bei Prof. Dr. Viola Georgi (Hildesheim) und Prof. Dr. Naika Foroutan (HU Berlin).

Wie verlaufen Bildungswege? Dilek İkiz untersucht, wie Eltern nach der Grundschulzeit eine Schule für ihr Kind auswählen. Die Sozialwissenschaftlerin spricht mit Eltern in Berlin-Kreuzberg, die das Abitur und einen akademischen Abschluss erworben haben. Nach welchen Kriterien orientieren sie sich bei der Schulwahl für ihr Kind? So sind zum Beispiel pädagogische Spezialprofile, Nachmittagsangebote oder schlicht die Wohnortnähe mitentscheidend.

Dilek İkiz rückt Eltern in den Fokus der Forschung und spricht mit ihnen über ihre „Schulpräferenzen“. Welche Schule ist die beste für mein Kind? „Eines der spannenden Ergebnisse meiner Analysen sind die widersprüchlichen Ausführungen der Eltern“, sagt İkiz, die derzeit ihre Doktorarbeit im Promotionskolleg Bildungsintegration der Universität Hildesheim abschließt. Die in Einzelinterviews befragten Eltern verknüpfen mit dem Wohnort Kreuzberg äußerst positive Assoziationen und beschreiben ihn als „multi-kulturell“ und „weltoffen“, als „nicht bieder“. „Die Familien leben aus Überzeugung in Kreuzberg. Wenn es um die Kreuzberger Schulen geht, wird es widersprüchlich. Die zuvor als besonders und positiv für Kreuzberg hervorgehobene migrantisch geprägte Struktur der Einwohnerinnen und Einwohner wird in der Schulwahlentscheidung zum Problem. Mit der Vielfalt werden negative Bilder verknüpft, die es zu vermeiden gelte, sowohl für ein gutes Lernumfeld als auch für ein angenehmes ‚Schulklima‘“, sagt die Wissenschaftlerin. Das Zauberwort sei eine „gesunde und gute Mischung“, die befragten Eltern wünschen sich eine Zusammensetzung, die den „gesellschaftlichen Verhältnissen“ entspricht. „Die Eltern sind sich über diese Ambivalenz im Klaren“, sagt İkiz.

Ihre Forschung sei keine Zeitverschwendung: „Das Bildungssystem ist eines der wenigen Bereiche, welches das Ziel verfolgt, herkunftsbedingten Ungleichheiten entgegenzuwirken und Bildungsgerechtigkeit zu gewährleisten.“ Die Sozialwissenschaftlerin möchte mit ihrer Forschung herausarbeiten, wie Bildungsungleichheit entsteht. „Wenn Eltern Schulen mit einem hohen Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund meiden und somit ,ethnisch’ basierte schulische Segregationsprozesse mitverursachen, weisen sie im Grunde genommen auf wahrgenommene Defizite im Bildungssystem hin, denen versucht wird aus dem Weg zu gehen.“

Das Promotionskolleg „Bildungsintegration“ beschreibt Dilek İkiz als „ersten Testraum“ für neue Ideen. „Außerdem ist das Kolleg ein Schutzraum, in dem man seine Frustrationserlebnisse und Verwerfungen, die im mühseligen Promotionsprozess nicht selten auf der Tagesordnung stehen, besprechen kann.“ Manchmal gehe man „ganz verwirrt“ aus den Kollegtreffen heraus und realisiert später, dass man „einen Schritt weiter“ gekommen sei.

Biografische Erzählungen: Warum sich Menschen engagieren

Sabine Hoffmann, 30, Doktorarbeit „Refugees Welcome? Selbstdeutungen freiwillig Engagierter in der Unterstützung von Geflüchteten in Deutschland“ bei Prof. Dr. Viola B. Georgi (Hildesheim) und Prof. Dr. Iman Attia (Berlin).

Sabine Hoffmann spricht mit Frauen und Männern, die sich für Menschen engagieren, die nach der Flucht in Deutschland ankommen. Wie reflektieren sie ihr eigenes Handeln und welche Ereignisse spielen eine Rolle für ihr Engagement? Unter den 18 biographischen Erzählungen sind auch Frauen und Männer, deren Leben selbst von den Erfahrungen der Flucht geprägt ist.

Die Erziehungswissenschaftlerin hat Interviews in deutschen Großstädten und kleinen Gemeinden geführt. „Mich interessieren die Erzählungen von Menschen, , die sich seit längerer Zeit oder erst seit den medial sehr präsenten Fluchtbewegungen im Sommer 2015 engagieren“, sagt Hoffmann. Die Motive, sich zu engagieren, seien sehr unterschiedlich und reichen „von Erfahrungen der eigenen Migration bis zu humanistisch geprägten Ideen einer gerechten Gesellschaft aus einer weißen, privilegierten Perspektive“. Da ist etwa eine Frau, die sich engagiert, da sie sich schon seit ihrer Schulzeit für Bildungsgerechtigkeit einsetzt. In ihrer Doktorarbeit möchte Sabine Hoffmann auch herausfinden, ob die Hilfsangebote zu den Bedürfnissen der geflüchteten Menschen passen.

„Es tut gut, sich mit den anderen im Kolleg über das tägliche wissenschaftliche Arbeiten auszutauschen“, sagt Hoffmann. „Wir werten alle gerade unsere Daten aus und schreiben.“ Die Universität sei „ein Bildungsraum, an dem Emanzipation und persönliche Entwicklung für viele möglich wird“. „Ohne ein Umfeld, das sich füreinander einsetzt und sich gegenseitig unterstützt ist dies jedoch unmöglich.“ Sie wünscht sich „mehr Mut für strukturelle Veränderungen, um sozialen Ungleichheiten entgegen zu wirken und jungen Erwachsenen den Weg zu ihren Zielen zu erleichtern“.

Qualität im Bildungssystem: Was ist eine gute Schule?

Anne Piezunka, 30, Doktorarbeit „Entwicklung von Bewertungskriterien in Bezug auf Inklusion durch die Schulinspektionen“ bei Prof. Dr. Vera Moser (HU Berlin) und Prof. Dr. Melanie Fabel-Lamla (Universität Hildesheim).

Anne Piezunka untersucht, was Schulinspektionen unter einer guten Schule verstehen. Fast jedes Bundesland hat eine Schulinspektion, die dafür zuständig ist die Qualität einzelner Schulen zu bewerten – sie setzt Standards und überprüft diese. Dafür besuchen Inspektorinnen und Inspektoren den Unterricht, werten Dokumente aus, führen Interviews. „Aber man weiß wenig über die Bewertungskriterien der Schulinspektion. Mich interessiert, inwiefern die Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler sowie Nicht-Diskriminierung in den Kriterien berücksichtigt werden. Verstehen Schulinspektionen unter einer guten Schule eine inklusive Schule?“ Piezunka hat Gespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Schulinspektionen aus ganz Deutschland geführt, um zu erfahren, wie und was sie messen.

Die Sozialwissenschaftlerin befindet sich derzeit mitten in der Datenanalyse. Ein erstes Ergebnis: „Die Bundesländer unterscheiden sich darin, wie sie Inklusion definieren und in den Bewertungskriterien berücksichtigen.“ Warum diese Forschung keine Zeitverschwendung ist? „Oft entsteht der Eindruck, dass es Konsens darüber gibt, was man unter einer guten Schule versteht: Eine Schule ist gut, wenn Kinder dort viel lernen, sich entfalten und wohlfühlen. Wenn man sich jedoch überlegt, wie man diese Ziele erreichen möchte, werden unterschiedliche Vorstellungen sichtbar“, sagt Piezunka. Manche machen etwa die Qualität von Schulen an Schulleistungstests fest und andere halten es für wichtig, dass die Eltern zufrieden sind.

Im Promotionskolleg erfahre sie nicht nur Einblicke in andere Forschungsthemen und methodische Zugänge. „Auch die emotionale Seite ist wichtig. Wir unterstützen uns gegenseitig bei Herausforderungen.“

Ankommen in Deutschland: Der erste Kontakt

Nicholas Paul Stone, 32, Doktorarbeit „Teaching tolerance, gender equality and religious freedom in German civic orientation courses“ bei Prof. Dr. Viola B. Georgi (Hildesheim) und Prof. Dr. Audrey Osler (Leeds).

Nicholas Paul Stone untersucht, welche Inhalte in Orientierungskursen vermittelt werden. „In Integrationskursen lernen newcomers etwas über die Geschichte, das politische System, die Rechtsordnung und die Kultur der deutschen Gesellschaft“, sagt der Politikwissenschaftler. Er selbst hat vor drei Jahren, als er für die Forschung von Canada nach Deutschland gezogen ist, einen Orientierungskurs in Bremen besucht. „Das war ein wichtiger Moment auf meinem Bildungsweg und tatsächlich der erste Schritt meiner Forschung. Ich habe dadurch die deutsche Sprache gelernt und zugleich ein Verständnis für den Orientierungskurs aufbauen können“, sagt Stone. „Das Bundesamt BAMF und das Bundesinnenministerium unterstreichen, dass Gleichberechtigung, Religionsfreiheit und Toleranz Grundwerte der deutschen Gesellschaft sind. Es ist deswegen unbedingt erforderlich, kritisch zu analysieren, wie diese Themen in den Texten dargestellt werden.“ Die Kurse seien „oftmals der erste Kontakt zur deutschen Gesellschaft“.

Stone hat eine Fragebogen-Matrix entwickelt, mit der er die Bücher systematisch durchgegangen ist. „Momentan bin ich dabei, die Daten auszuwerten und meine Dissertation zu schreiben.“ Eine interessante Erkenntnis: „Die Bücher sagen wenig darüber aus, was typisch Deutsch ist. Die Texte über Normen und Werte bleiben vage. Es gibt kaum Informationen, außer, dass die Deutschen sehr pünktlich sind“, sagt Stone. Der Austausch im Promotionskolleg sei „außerordentlich wertvoll“. „Dass sich unsere Themen unterscheiden, ist ein Vorteil. Unsere Diskussionen auf Deutsch und Englisch sind geprägt von neuen und kritischen Perspektiven. Ich erlebe, wie meine Kollegen mich fördern und fordern.“

Nachwuchstalente: Wie Jugendliche den Zugang zum Leistungssport erleben

Lena Tessmer, 32, Doktorarbeit „Selektion und Teilhabe im institutionalisierten Leistungssport“ bei Prof. Dr. Peter Frei und Prof. Dr. Vera Volkmann (beide Sportinstitut der Universität Hildesheim).

Höher, schneller, weiter – der Leistungssport ist „ein exklusives System, das nicht vielen Nachwuchsathletinnen und Nachwuchsathleten Zugang gewährt“, sagt Lena Tessmer. Die Sportwissenschaftlerin schließt derzeit ihre Doktorarbeit im Promotionskolleg Bildungsintegration an der Universität Hildesheim ab. Sie befragt seit drei Jahren junge Sportlerinnen und Sportler mit körperlicher Behinderung oder Migrationshintergrund zu ihren Erfahrungen im Leistungssport, etwa in den Disziplinen Kunstturnen, Tischtennis, Judo, Basketball, Leichtathletik und Schwimmen.

Wie gelingt es den Jugendlichen, Zugang zum Leistungssport zu erhalten? Tessmer hat acht Jugendliche mehrfach befragt, wie sie selbst den Übergang und erfolgreichen Verbleib im Sportinternat erleben. So hat etwa eine Sportlerin auf Empfehlung ihrer Trainerin den Standort und somit den Wohnort gewechselt, um an einem Internat optimale Trainingsbedingungen vorzufinden. Hierfür hat sie mit zwölf Jahren das Elternhaus verlassen. Eine Erkenntnis aus der qualitativen Längsschnittstudie: „Die jungen Talente sind – unabhängig von Migrationshintergrund oder Behinderung – mit den gleichen Themen in ihrem Sportlerleben konfrontiert. Alle jonglieren zwischen dem Wunsch nach Unabhängigkeit und dem selbstgewählten Abhängigkeitsverhältnis im System des Leistungssports, das durchaus geschätzt wird.“

Warum diese Forschung wichtig ist? Lena Tessmer sagt: „In der Sportpsychologie und Sportpädagogik wird viel zum Belastungserleben von jungen Sportlern und Sportlerinnen geforscht. Hier geht es dann immer um den Zeitpunkt, in dem sie sich bereits im Fördersystem befinden. Selten kommen die Jugendlichen dabei selbst zu Wort.“ Ihr Interviewmaterial habe sie im Kolleg in kleinen Arbeitsgruppen interpretiert, „um den eigenen Blick auf die Daten zu schärfen und gleichzeitig aus anderen Perspektiven zu erweitern“.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100 und presse@uni-hildesheim.de)


Sie promovieren am Zentrum für Bildungsintegration: Dilek ?kiz, Sabine Hoffmann, Anne Piezunka, Nicholas Paul Stone und Lena Tessmer. Professorin Viola Georgi ist Expertin für Fragen der Bildung in der Einwanderungsgesellschaft und leitet das Promotionskolleg an der Universität Hildesheim. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Sie promovieren am Zentrum für Bildungsintegration: Dilek ?kiz, Sabine Hoffmann, Anne Piezunka, Nicholas Paul Stone und Lena Tessmer. Professorin Viola Georgi ist Expertin für Fragen der Bildung in der Einwanderungsgesellschaft und leitet das Promotionskolleg an der Universität Hildesheim. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

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