Ohne Leidenschaft geht gar nichts: Kulturpolitikprofessor Wolfgang Schneider

Freitag, 12. Juli 2019 um 11:41 Uhr

Professor Wolfgang Schneider, Gründungsdirektor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und seit 1997 Deutschlands erster und bisher einziger ordentlicher Universitätsprofessor für Kulturpolitik, hat die kulturpolitische Forschung in der Bundesrepublik geprägt. Nun wurde der Wissenschaftler feierlich verabschiedet. Zur Verabschiedung sprachen auf dem Kulturcampus Forschungskolleginnen und Forschungskollegen unter anderem aus Beirut, Sōka, Maiduguri, Cape Coast und Casablanca. Hier lesen Sie ein ausführliches Interview mit dem Professor.

Lesen Sie hier die Rede des Präsidenten Prof. Dr. Wolfgang-Uwe Friedrich
anlässlich der Verabschiedung von Prof. Dr. Wolfgang Schneider (PDF)

Lesetipp: Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 12.07.2019, Interview von Martina Prante, „Ohne Leidenschaft geht gar nichts / Deutschlands Mann für die Kulturpolitik: Wolfgang Schneider verlässt nach 22 Jahren die Domäne Marienburg / Ein Sensibelchen mit Durchsetzungsvermögen“

Lesetipp: Wochenzeitung Kehrwieder, 13.07.2019, Interview von Björn Stöckemann, „Die Kultur lebt auch auf dem Lande“ (Artikel online lesen, Seite 5, www.e-pages.dk/kehrwieder/195/)

 

„Wolfgang Schneider verbindet theoretisches Wissen mit kultureller Praxis, wissenschaftliche Kompetenz mit Politikberatung und kulturpolitischem Kommentar. Zu den 22 außerordentlich ertragreichen Jahren in Forschung und Lehre, Transfer und Kooperation und nicht zuletzt im Bereich der Internationalisierung zählte auch eine sehr erfolgreiche Teambildung. Die Schaffung der Professur für Kulturpolitik und die Einrichtung des Instituts für Kulturpolitik zählt zu den wichtigen Strukturentscheidungen der Universität Hildesheim. Beides gilt es auch in Zukunft zu bewahren.“

Prof. Dr. Wolfgang-Uwe Friedrich, Präsident der Stiftung Universität Hildesheim

„It is beautiful to see so many colleagues from around the world today in Hildesheim. Wolfgang Schneider is a travelling salesman in culture, er ist ein Handelsreisender in Sachen Kultur. Er bringt etwas mit – seine Neugier und Menschenfreundlichkeit und den Willen, zusammenzuarbeiten und ist ein leidenschaftlicher Forscher.“ 

Prof. Dr. Stefan Krankenhagen, Dekan des Fachbereichs „Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation“

„Professor Wolfgang Schneider is opening invisible doors. I remember the moment I received a letter from Germany, he accepted me as a research candidate. Since then, many doors opened for me. I learned from him to encourage my students: Think how you can make your plans possible!“ 

Dr. Yuki Akino, Dokkyo University, Sōka, Japan

„Wir danken Ihnen für Ihre Zugewandtheit, den Respekt und die Wertschätzung.“ 

Dr. Katharina Schröck, Doktorandin

„We have worked together since 2008. The list of projects is long. We started with an exchange on theatre and media, then we designed a master program in Casablanca. We want to continue working together!“ 

Prof. Dr. Abdelkader Gonegai, Université Hassan II, Casablanca, Marokko

„He is moving forward – never standing still! Wolfgang Schneider is active in the academic sphere, but he has always tried to build bridges between theory and practice. He has always rolled up his sleeves and got actively involved.“

Prof. Dr. Susanne Keuchel, Präsidentin des Deutschen Kulturrats

„I witnessed him bringing people together – he is always home, wherever he is in the world. “

Dr. Helena Nassif, Al Mawred al Thaqafy, Beirut, Libanon

 

„Es braucht Leute, die mit Kenntnis immer wieder darauf beharren, dass Kultur nicht ‚nice to have‘ ist. Professor Wolfgang Schneider gelingt in Hildesheim eine anwendungsbezogene Betrachtung von Kultur, er bringt sein Wissen ein in die Stadt. In Hildesheim erkennen wir die positiven Effekte von kultureller Teilhabe und Bildung für unsere Gesellschaft an. Seine Erkenntnisse hat der regional und international geschätzte Wissenschaftler kontinuierlich in die Gesellschaft eingebracht. Hildesheim ist eine Stadt der Bildung und Kultur. Wolfgang Schneider macht darauf aufmerksam: Unsere Stadt möge das kreative Potential der Studierenden stärker nutzen. Im Namen der Stadt Hildesheim möchte ich ganz herzlich danken.“

Dr. Ingo Meyer, Oberbürgermeister der Stadt Hildesheim

„Wir danken Ihnen für die grandiose Betreuung mit Herz.“ 

Dr. Aron Weigl, Doktorand

„Auf Wiedersehen. Hamba Kakuhle. Farewell. We wish you all the best in your journey. And remember, Wolfgang, you are loved.“

Doktorandinnen und Doktoranden der University of Maiduguri, Nigeria, und University of Cape Coast, Ghana, in einem Abschiedslied

Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Schneider

Ein Gespräch mit Professor Wolfgang Schneider, Gründungsdirektor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und seit 1997 Deutschlands erster und bisher einziger ordentlicher Universitätsprofessor für Kulturpolitik.

Herr Professor Schneider, ich erwische Sie gerade mitten bei der Arbeit.

Wir haben diese Woche unsere „Summer School“ des Masterstudiengangs „Cultural Policy and Cultural Management“ angesiedelt an der Université Hassan II in Casablanca in Marokko, da sind wir die Partneruniversität, zusammen mit der zivilgesellschaftlichen Organisation „Al Mawred Al Thaqafy“, die in Beirut sitzt und ein Netzwerk der Kulturpolitik in der arabischen Region ist. Professorin Birgit Mandel und ich sind Mitglieder des „steering committee“, das heißt wir haben uns um das Curriculum gekümmert und waren auch schon dort und haben unterrichtet. Die Studentinnen  und Studenten kommen aus verschiedenen arabischen Ländern.

Es ist der erste Masterstudiengang dieser Art in dieser Weltregion. Der Master in Casablanca ist eine Art Schwesterstudiengang der Hildesheimer Kulturwissenschaften?

Es geht darum, in der arabischen Region „capacity building“ im Bereich Kulturpolitik und Kulturmanagement zu entwickeln, damit wir nicht vom globalen Norden aus mit Workshops im globalen Süden aufschlagen, sondern dass hier das Feld der Kulturlandschaft von den Menschen vor Ort selbst organisiert wird und dass insbesondere in der Wissenschaft, also der Kulturpolitikforschung, eine neu Generation von Kulturpolitikakteuren heranwächst.

Herr Professor Schneider, Sie haben die kulturpolitische Forschung in der Bundesrepublik über Jahrzehnte geprägt. Am 12. Juli 2019 wurden Sie im Hohen Haus auf dem Kulturcampus feierlich verabschiedet. Mit welchem Gefühl verlassen Sie den Campus?

Naja, es ist nicht ganz leicht, loszulassen. Aber andererseits gehört es zur Verantwortung dazu, nicht nur das Wissen zu generieren, Erfahrungen auszutauschen und Diskurse zu führen, sondern es ist auch meine Verantwortung, zur richtigen Zeit Platz zu machen, damit auch in diesem Wissenschaftsbereich nicht nur ein Wechsel, sondern auch ein Wandel möglich ist.

Welche Bedeutung hat die kulturpolitische Forschung für die Gesellschaft?

Als ich 1997 anfing, gab es natürlich auch schon Kulturpolitik und das Wort wurde nicht in Hildesheim erfunden, aber erfunden haben wir tatsächlich ein Curriculum, erfunden haben wir tatsächlich Lehrmethoden, die in diesem Bereich einerseits die Theorie aus der Politikwissenschaft berücksichtigt und andererseits auf unserem Ansatz fußt, in den Künsten zu lernen, – das ist ja die Idee der Hildesheimer Kulturwissenschaften, die Theorie und Praxis miteinander zu kombinieren. Wir haben für die Kulturpolitikforschung in Deutschland dadurch einen Akzent gesetzt. Wir stellen fest, dass insbesondere in den letzten Jahren Literatur an vielen Stellen in diesem kleinen Fach veröffentlicht wurde und Thema im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist, das es die Kulturpolitikforschung braucht.

Sie haben in den 22 Jahren an der Universität Hildesheim 50 Doktorandinnen und Doktoranden promoviert, Sie haben über 50 verschiedene Seminare gegeben, über 500 Diplomarbeiten, Bachelorarbeiten und Masterarbeiten betreut, 50 Bücher geschrieben und herausgegeben – all diese Arbeit, und das gehe ich auf das Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis ein, ist etwas, was nicht nur für den Bücherschrank gedacht ist, sondern wirksam wird. Was haben Sie mit Ihrem Team und den Studierenden und Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern angestoßen?

Eine der Referenzquellen für Kulturpolitik in Deutschland ist der Bericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages, wo hier in Hildesheim viele Texte, ich möchte fast behaupten ein Fünftel der 500 Seiten, entstanden ist. Ich war als sachverständiges Mitglied Berichterstatter für Theaterpolitik, Kulturelle Bildung und Soziokultur. Das ist eine Form von Politikberatung gewesen, die sehr konkret eingewirkt hat in die Diskurse. Wir haben dafür gesorgt, dass es diese kulturpolitische Referenzquelle gibt, die in Deutschland auch nach zehn Jahren noch Bestand hat. Wir bemühen uns am Institut für Kulturpolitik stets darum, Desiderate aufzuspüren, es ist kein Zufall, dass ich eine Studienreihe  zur Auswärtigen Kulturpolitik angeboten bekommen habe beim renommierten Springer-Verlag in Wiesbaden. Da gab es hier und da Selbstdarstellungen, aber eine kritische Reflexion dessen, was in dem Feld der Kulturdiplomatie und des Kulturaustausches geschieht, das fehlte bislang. Ein drittes Beispiel: Wir bemühen uns, nicht nur die klassische Kulturpolitik der Kulturinstitutionen im urbanen Raum zu beforschen, sondern untersuchen gleichberechtigt Kultur im ländlichen Raum, das „Weißbuch für Breitenkultur“ ist ein Standardwerk, das darauf hinweist, dass es eine Kultur gibt zwischen Rathaus, Schule und Kirche in den kleinen Dörfern und dort Tausende von Gruppierungen selbstorganisiert, meistens ehrenamtlich, ihr kulturelles Leben gestalten.

Ihr Interesse galt in all diesen Jahren auch der Umgebung, Sie blicken in die Welt, aber haben Hildesheim und den Landkreis stets im Blick.

Naja, mein Einstieg hier in der Stadt war das „Kulturhandbuch Hildesheim“, in dem ich mit Studentinnen und Studenten 228 Einrichtungen, Institutionen und Vereine identifiziert habe, die hier in der Region aktiv Kulturarbeit betreiben. Das war der Ausgangspunkt darüber nachzudenken, welche Kulturpolitik braucht die Region. Wir mischen uns ein mit öffentlichen Vorträgen in der Stadt, haben während des 1200jährigen Jubiläums der Stadt diskutiert und begleiten den Bewerbungsprozess für die Kulturhauptstadt Europas 2025 wissenschaftlich. Da sind wir natürlich einerseits Lokalpatrioten, aber andererseits den anderen sieben Mitbewerbern verpflichtet und das ist ein Format, welches generell die Frage aufwirft: Braucht es so etwas wie eine Kulturentwicklungsplanung und wie viel Perspektive ist in diesem Feld in der Kommunalpolitik vorhanden?

Im Mittelpunkt der Hildesheimer Kulturwissenschaften, ob in Musik, Theater, Medien oder Philosophie und Literatur, stehen seit 40 Jahren die Künste und die Vernetzung von theoretischer und praktischer Arbeit. Prägt diese Nähe, dieser wuchs der Forschung aus den Künsten heraus auch die kulturpolitische Forschung?

Dass es überhaupt einen Lehrstuhl für Kulturpolitik gibt hier in Hildesheim, war eine konzertierte Aktion der künstlerischen Fächer. Es war Konsens, dass es etwas zwischen diesen Instituten geben muss: Kulturpolitik, Kulturmanegement und Kulturelle Bildung wurden als Gegenstandsbereiche konstituiert. Wir hätten nie und nimmer diese erfolgreiche Arbeit machen können, wenn wir das nicht immer auch in der Auseinandersetzung mit den Künsten und in den Kulturwissenschaften betrieben hätten. Kulturpolitik ist zwar ein eigenes Fach, so kann ich doch nach 22 Jahren selbstbewusst behaupten, aber es ist integriert in einen Kontext und das sind die Gesellschaftspolitik und die Künste. Wir sind breit aufgestellt, mischen uns immer auch ein in die Debatten um die Theaterkunst, Museumspolitik oder in die Debatten über „Kultur für alle“.

Zur Verabschiedung sprechen in Hildesheim auch Forschungskolleginnen und Kollegen unter anderem aus Beirut, Libanon; Sōka, Japan; Casablanca, Marokko; Maiduguri, Nigeria and Cape Coast, Ghana. Sie haben stets die internationalen Kooperationen gepflegt und mit Ihrem Team am Institut für Kulturpolitik ausgebaut. Welche Bedeutung hat diese internationale Zusammenarbeit, gerade in der heutigen Zeit?

Naja, wir leben in einer Welt. Und das muss man in Deutschland hie und da noch lernen, wir sind nicht die Insel der Glückseligen sondern haben im globalen Kontext eine historische Rolle, die man nie vergessen darf. Das ist gerade jetzt wieder in der postkolonialen Debatte relevant – wem gehören die Artefakte, die in Museen ausgestellt werden, und die aus Zusammenhängen nach Deutschland gekommen sind, die keineswegs legal waren und aus Zeiten rühren, in denen der Ruf Deutschlands außerordentlich problematisch ist? Wir haben es in internationalen Kontexten immer damit zu tun, dass wir als sogenannte Exportnation wirtschaftliche Interessen haben, die begleitet werden müssen durch den kulturellen Austausch. Wir haben es als Vertreter einer Demokratie auch damit zu tun, uns um Menschenrechte zu kümmern, insbesondere um das Recht auf Kunst und Kultur, auf Teilnahme und Teilhabe. Das führt zwangsläufig dazu, dass wir das mit unseren Kolleginnen und Kollegen in der Welt diskutieren. Dass die UNESCO dies honoriert hat mit der zweimaligen Verleihung des UNESCO-Lehrstuhls „Cultural Policy for the Arts in Development“ ist eine große Ehre und war auch immer ein Auftrag – und den nehmen wir wahr an der Universität Hildesheim. Ich schätze die Weltgewandtheit des Präsidenten Professor Wolfgang-Uwe Friedrich sehr. Ich hinterlasse am Institut ein gut bestelltes Feld von internationalen Beziehungen und Austausch, da wünsche ich mir zukünftig mehr. Ich wünsche mir, dass wir auf dem Campus noch internationaler werden, dass wir auch mehrere Sprachen sprechen. Aber immerhin haben wir einen bilateralen Masterstudiengang in Kulturvermittlung mit Marseille, den Masterstudiengang mit Casablanca, die DAAD-Graduate School mit Maiduguri und Cape Coast in Westafrika und hundert Beziehungen über Erasmus. Ich hoffe, das zukünftig noch mehr Studentinnen und Studenten aus der Welt nach Hildesheim kommen. 

In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich zum Beispiel mit der Frage, wie Künstlerinnen und Künstler politische Umbrüche prägen. Sie sagten einmal, während des Weltkongresses der Kulturpolitikforschung in Hildesheim, als 450 Fachleute aus 70 Ländern auf dem Kulturcampus tagten: Künstlerinnen und Künstler können Seismografen von Krisen sein, andererseits auch Sprachrohr. Was meinen Sie damit, was zeigen Ihre Forschungsergebnisse zur Analyse von Kunst und Kultur in Krisenzeiten?

Wir haben es erlebt im „Arabischen Frühling“ , dass Künstlerinnen und Künstler das Wort ergriffen haben für die Gesellschaft, dass sie Musik gemacht, getanzt, und Theater gespielt haben, dass Filme produziert und Graffitis gesprayt wurden, die dazu beigetragen haben, zu thematisieren, was in der Gesellschaft nicht richtig läuft. Wir wissen, das „freedom of expression“ ein großes Gut ist, bei uns Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes: Die Kunst ist frei. Das heißt diesen Freiraum muss Politik gewähren, damit nicht nur in Krisenzeiten Künstlerinnen und Künstler ihren Beitrag leisten, um in die Gesellschaft zu wirken und aufmerksam zu machen auf das, was schief läuft, und durchaus Visionen eines friedlichen Zusammenlebens zu entwickeln. Künstlerinnen und Künstler sind ein wesentlicher Bestandteil von gesellschaftlicher Entwicklung. 

Sie haben mit Ihrem Team um Dr. Daniel Gad das Netzwerk „Arts Rights Justice“ etabliert, arbeiten mit Künstlern, Kulturmanagerinnen, Menschenrechtlerinnen und Rechtsanwälten unter anderem aus Tadschikistan, Nigeria, Argentinien, Libyen, Simbabwe, Iran, Türkei, Ägypten, Indien, Japan, Schweden, Syrien, Brasilien, Afghanistan, Jemen und Bangladesch zusammen, und haben eine umfassende online zugängliche auf Kunstfreiheit und Künstlerschutz ausgerichtete Bibliothek (www.arj-library.de).  

Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass es Länder gibt, in denen keineswegs diese Freiheit gewährt wird. Im Gegenteil: Wir wissen von Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Künstlerinnen und Künstlern, dass sie verfolgt und inhaftiert werden, dass es Zensur gibt, dass man ihnen mit dem Tode droht, dass sie flüchten müssen. Es ist zunächst eine humanitäre Notsituation, aber auch eine Frage an die Kulturpolitik: Was kann zum Beispiel eine Künstlerresidenz leisten, als Schutzraum? Und was braucht es an nationalen und internationalen Instrumenten, um da einzugreifen, zu helfen und dies zukünftig zu vermeiden und Mechanismen zu entwickeln, die tatsächlich so etwas sind wie seismografische Erkenntnisse, die zum Handeln führen müssen. Wissenschaft hat eine Verantwortung, die Gefährdung der Freiheitsrechte zu beforschen und ihre Außerkraftsetzung anzuprangern.

Sie sind in Mainz geboren. Verraten Sie uns, warum haben Sie sich vor 22 Jahren für Hildesheim als Ort Ihrer Forschung und Lehre entschieden? Und waren Sie hier, in Hildesheim, zufrieden?

Also, ich sage immer: Ich war beruflicher Niedersachse und bin bekennender Hesse, tatsächlich in Mainz geboren. Das macht es mir hier nicht so einfach, weil der dortige Humor doch schon auch gewöhnungsbedürftig ist für die Mitmenschen rund um Hildesheim. Ich wurde berufen und ich bin nach wie vor dankbar denen, die mich hier hergeholt haben, besonders Hajo Kurzenberger. Ich muss zugeben, ich hatte vorher noch nicht viel von Hildesheim gehört. Ich werde Hildesheim als einfacher Professor für Kulturpolitik auch in Zukunft als wesentlichen Ort meiner Biografie sehen, weil ich hier mit Menschen zusammen kommen durfte, die mich immer wieder angeregt haben und die permanente Beschäftigung mit jungen Menschen hat mich glaube ich auch dahingehend geprägt, dass ich immer wieder versuche, neu zu denken und mit einer kritischen Distanz in unserer Welt Fragen zu stellen, statt nur einfache Antworten zu geben. 

Und wie geht es nun weiter? Was wünschen Sie den Kolleginnen und Kollegen in Hildesheim? Werden Sie den Kontakt nach Hildesheim halten?

Naja sicher! Ich habe den UNESCO-Lehrstuhl noch bis zum Jahr 2020, ich werde noch drei Forschungsprojekte zu Ende bringen und habe bis Ende des Jahres noch zwölf Masterarbeiten zu betreuen und ich nehme 20 Doktorandinnen und Doktoranden mit, die alle in den nächsten Jahren erfolgreich promoviert werden wollen. Das ist doch völlig klar! Ich wünsche mir, dass der Präsident und das Präsidiums und der kulturwissenschaftliche Fachbereich, so wie sie bisher mich unterstützt haben, auch meinen Nachfolger oder meine Nachfolgerin und die Zukunft des Instituts für Kulturpolitik auf dem Weg zur Internationalisierung unterstützen, aber auch die Arbeitsbedingungen, die nicht immer nur durch Befristungen sich ausdrücken – da darf gerne mehr investiert werden. Ich werde mich weiterhin mit der internationalen Kulturpolitik beschäftigen und mit dem anderen Pendant, der Kulturarbeit auf dem Lande, insbesondere mit den Transformationsprozessen von Heimatmuseen, mit der Rolle von Büchereien in kleineren Kommunen in Zeiten der Digitalisierung und mit der Rolle der Akteure, die vor Ort Kultur gestalten jenseits der institutionalisierten Hochkultur.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Zur Person:

Fortwährender Einsatz für den Erhalt der kulturellen Vielfalt und für kulturelle Bildung: Prof. Dr. Wolfgang Schneider

Mit seiner Arbeit leistet der Hildesheimer Professor Wolfgang Schneider seit 1997 einen fortwährenden Beitrag zum Erhalt der kulturellen Vielfalt, für kulturelle Bildung sowie für die Wertschätzung von Künstlerinnen und Künstlern. Schneider forscht und lehrt seit über 20 Jahren als Direktor des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim unter anderem in den Bereichen Kulturpolitik, Kulturförderung, Kulturelle Bildung, Kommunale Kulturpolitik, Auswärtige Kulturpolitik sowie Kulturpolitik für Kinder und Theaterpolitik. Er wird am 12. Juli 2019 in einer Feierstunde am Kulturcampus in Hildesheim verabschiedet. 

Für seine besonderen Verdienste wurde der Kulturwissenschaftler Professor Wolfgang Schneider mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse geehrt. Mit der Ehrung wurden die besonderen Verdienste des Hildesheimer Kulturpolitikforschers für die Gesellschaft gewürdigt, hierzu zählen sein herausragender Einsatz für kulturelle Bildung und kulturelle Vielfalt, für das Kinderrecht auf Teilhabe an Kunst und Kultur, für die Wertschätzung und Förderung der Künstlerinnen und Künstler in Deutschland und für den internationalen Austausch. 

Wolfgang Schneider wurde am 12. Juli 1954 in Mainz geboren. Nach dem Studium und der Promotion am Institut für Jugendbuchforschung in Frankfurt gründete er 1989 das Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland, entwickelte den Deutschen Kindertheaterpreis und den Deutschen Jugendtheaterpreis. 1997 gründete er das Institut für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim. In Hildesheim setzte sich Schneider für die Schaffung der deutschlandweit einzigen Professur für Ästhetik des Kinder- und Jugendtheaters (seit 2011) ein. Seit zwei Jahrzehnten ist Wolfgang Schneider Vorsitzender des Netzwerks der Kinder- und Jugendtheater. Von 2003 bis 2007 wirkte er in der Enquete Kommission „Kultur in Deutschland“ mit. Seit 2012 ist er Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls „Cultural Policy for the Arts in Development“. In seiner Forschung befasst sich der Wissenschaftler unter anderem mit der Frage, wie Künstlerinnen und Künstler politische Umbrüche prägen und analysiert Kunst und Kultur in Krisenzeiten.

Mit der Universität in Aix und Marseille wurde 2003 das Doppeldiplom in „Kulturvermittlung/Médiation Culturelle de l’Art“ eingerichtet. Der internationale Studiengang wird seit 2011 als Doppelmaster angeboten. Parallel dazu erfolgte der Aufbau einer internationalen Bachelor-Studienvariante „Kulturpolitik im internationalen Vergleich“. Zusammen mit Daniel Gad und Birgit Mandel beriet Schneider die marokkanische Universität Hassan II in Casablanca beim Aufbau des ersten panarabischen Masterstudiengangs „Cultural Policy and Management“.

Als  Dekan des kulturwissenschaftlichen Fachbereichs war Wolfgang Schneider unter anderem verantwortlich für die Gestaltung des Kulturcampus und die Gestaltung des Bologna-Prozesses – von Diplom auf Bachelor und Master. Der Kern ist, dass im Mittelpunkt der Kulturwissenschaften die Künste stehen, die Vernetzung von Theorie und Praxis, und dass es ein Spinnen in einem Netzwerk ist, das die Studierenden befähigt, im Arbeitsmarkt anzukommen.

Die Einrichtung einer eigenen Universitätsprofessur mit der Denomination „Kulturpolitik“ geht zurück auf Diskussionen in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Zu den Initiatoren zählten die Theaterwissenschaftler Hajo Kurzenberger und Hartwin Gromes. Im Jahr 1994 wurde die Professur ausgeschrieben. Mit Wirkung zum 1. März 1997 wurde die erste Universitätsprofessur für Kulturpolitik in Deutschland besetzt.


Professor Wolfgang Schneider forscht und lehrt seit 22 Jahren am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Während eines Festaktes wurde der Wissenschaftler am 12. Juli 2019 in der Aula am Kulturcampus von zahlreichen Gästen aus Hildesheim und aus der Welt, unter anderem aus Maiduguri, Cape Coast, S?ka, Beirut und Casablanca verabschiedet. Fotos: Isa Lange

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