Leipziger Buchmesse 2024: Alina Herbing und Thea Mengeler legen ihre zweiten Romane vor

Mittwoch, 13. März 2024 um 14:29 Uhr

Auf der Leipziger Buchmesse 2024 ist die Universität Hildesheim mehrfach vertreten. Inga Machel, Luna Ali und Marco Ott feiern ihre Debüts; Thea Mengeler und Alina Herbing präsentieren bereits ihre zweiten Romane. Im Vorfeld ihrer Lesungen gewähren fünf Autor*innen Einblicke in das, was sie antreibt und verraten, was sie mit ihren Texten erreichen möchten. Alina Herbing ist neben diversen anderen Terminen am 21. März im Gespräch mit Joachim Dicks von NDR-Kultur; Thea Mengeler wird am 20. März ab 18 Uhr auf der Langen Leipziger Lesenacht in der Moritzbastei – Veranstaltungstonne lesen. Anfragen für Interviews können an kommunikation@uni-hildesheim.de gestellt werden.

Alina Herbing: Tiere, vor denen man Angst haben muss

1984 in Lübeck geboren, zog Alina Herbing 1991 mit ihrer Familie in ein Dorf nach Mecklenburg-Vorpommern; sie zog dadurch in ein Umfeld, das ihre heutigen literarischen Texte prägt. Im Anschluss an einen Bachelor in Germanistik und Geschichte in Greifswald, studierte sie deutschsprachige Literatur in Berlin und Literarisches Schreiben in Hildesheim. Im Februar 2017 feierte sie mit Niemand ist bei den Kälbern ihr Debüt, das 2022 verfilmt wurde und für das sie unter anderem den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis der Stadt Homburg erhielt. Im Februar 2024 erschien ihr zweiter Roman „Tiere, vor denen man Angst haben muss“. Gegenwärtig unterrichtet sie Literarisches Schreiben an der Kunsthochschule für Medien Köln.

Eine ehemalige Intensivkrankenschwester zieht mit ihrem Partner, ihren zwei Söhnen und den Töchtern Madeleine und Ronja von heute auf morgen von Lübeck auf das Land. Sie gründen eine Tierauffangstation für Haus- und Wildtiere. Der Antrieb der Mutter: das Verwirklichen des ökologischen und antikapitalistischen Ideals für die Familie.

Skizziert wird die Situation zweier Schwestern, deren Mutter mit anfangs verklärtem Blick auf die ländliche Idylle hofft – und die durch die zunehmende Fragmentierung ihrer Familie dann doch desillusioniert wird. Alina Herbing zeigt Dynamiken innerhalb einer Familie, deren Einzelschicksal sich auf das große Ganze übertragen lässt: Sie liefert Antworten auf die Fragen, welche Perspektiven im Westen über den ländlichen Osten vorherrsch(t)en und welche Realität am Ende des Traums vom Landleben stehen kann.

Drei Fragen an Alina Herbing

  1. Beide Ihrer Romane handeln vom Landleben. Beziehen diese sich aufeinander?
    Madeleine taucht schon einmal in „Niemand ist bei den Kälbern“ auf. Die beiden Hauptfiguren könnten also Nachbarinnen sein. Die Verbindung ist sonst aber sehr offen gelassen, es gibt bloß immer wieder kleine Hinweise und Ähnlichkeiten.
  2. Wie unterscheiden sich Madeleine und Ronja?
    Beide gehen anders mit der Situation um. Zwar ist Madeleine die Ältere der beiden, aber Ronja scheint die Vernünftigere; Madeleine fordert mehr ein, beschwert sich auch mal und konfrontiert ihre Eltern.
  3. Wie wandelt sich die Funktion der Schwestern füreinander durch den Umzug auf das Land?
    Vor dem Umzug sind die Schwester noch sehr klein, Ronja ist noch ein Baby, da haben die beiden noch gar nicht so viel miteinander zu tun und auch ihr Verhältnis steht noch nicht so stark im Vordergrund, das entwickelt sich erst mit der Zeit, als sie älter werden und schließlich die einzigen beiden Kinder sind, die noch zu Hause leben.

Thea Mengeler: Nach den Fähren

1988 geboren und in Krefeld aufgewachsen, ist Thea Mengeler heute Autorin und Texterin. Zwischen Oktober 2009 und März 2013 studierte sie in Kiel Kommunikationsdesign und verbrachte ein Auslandssemester am Fachbereich für Fotografie der Mimar Sinan Güzel Sanatlar Üniversitesi in Istanbul. Parallel zur bis heute ausgeübten Tätigkeit als Freelance Texterin studierte sie von Oktober 2017 bis 2020 Literarisches Schreiben und Lektorieren im Master an der Universität Hildesheim. 2022 erschien ihr Debüt connect bei Leykam. Nach den Fähren erschien Ende Februar 2024 im Wallstein Verlag.

Mit ihrem zweiten Roman Nach den Fähren erschafft die Autorin ein Szenario, das je nach Blickwinkel entweder utopisch oder dystopisch wirkt und den Umgang mit diesen Gegensätzen neu definiert: Eine ehemalige Urlaubsinsel wird urplötzlich nicht mehr von Fähren befahren, die Tourist*innen bleiben aus. Dabei ist die Insel ein Ort, dessen Infrastruktur eigentlich stark vom Tourismus geprägt ist.

Vor allem ist Thea Mengelers zweiter Roman eine Studie über die Menschen, die auf der Insel leben und deren zwischenmenschliche Machtverhältnisse maßgeblich von ihren jeweiligen gesellschaftlichen Funktionen geprägt sind: Die Bewohner*innen tragen keine Namen, sie tragen Berufsbezeichnungen. Mit dem Ausbleiben des Tourismus‘ bedarf die früher etablierte Hierarchie einer Neuverhandlung, die Bewohner*innen denken darüber nach, welche Einwirkungen der Tourismus auf den Alltag hatte. Die einzige Figur, die einen Namen trägt, ist dabei Ada, die, von außen als Fremde hinzukommend, eine zwischenmenschliche Beziehung zum Hausmeister aufbaut und ihn zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit anregt.

Drei Fragen an Thea Mengeler

  1. Was hat es mit den Fähren auf sich?
    Die Fähren sind eine Verbindung zum Rest der Welt, ohne sie kommt das Leben auf der Insel zum Stillstand. Daher sehnen die Bewohner*innen sich nach den Fähren, denn diese könnten sowohl die Tourist*innen auf die Insel zurückbringen als auch den Bewohner*innen ermöglichen, die Insel zu verlassen.
  2. Wie fluide sind die Grenzen zwischen den Bewohner*innen der Insel und dem Rest der Welt?
    Zum Zeitpunkt der Erzählung gibt es keinerlei Verbindung mehr zwischen den Bewohner*innen der Insel und dem Rest der Welt. Die Insel ist schon seit einigen Jahren völlig isoliert.
  3. Ist eine Rückkehr zum Vorzustand wünschenswert?
    Das ist die Frage, mit der sich die Figuren im Laufe der Erzählung immer intensiver auseinandersetzen. Die Insel war früher ein sehr lebendiger Ort, gleichzeitig bestand der Alltag der Bewohner*innen daraus, die Bedürfnisse der Tourist*innen zu erfüllen. Ihr Leben wurde fremdbestimmt von Menschen, die nur zu Besuch kamen. Diese Ambivalenz beschäftigt die Figuren – und verändert ihren Blick auf ihre Insel, auf sich und auf eine mögliche Zukunft.

Thea Mengeler; Foto: Caroline Drechsler

Links: Thea Mengeler; Foto: Caroline Drechsler. Rechts: Alina Herbing; Foto: Sascha Kokot

Alina Herbing; Foto: Sascha Kokot