Die für die deutsche Wissenschaftslandschaft einmalige Besetzung einer Professur für Populäre Kultur im Jahr 1983 hat die Universität Hildesheim zu einem Vorreiter in der Auseinandersetzung mit populärkulturellen Artefakten und ihrer Theorie gemacht. Dieser Schwerpunkt wird mit der Neubesetzung der Stelle sowohl fortgeführt, als auch in den übergreifenden Rahmen der Kulturwissenschaft und Kulturtheorie gestellt.
Inhaltlich wie personell ist die Abteilung Kulturwissenschaft und Populäre Kultur an der Universität deshalb nun breiter aufgestellt. Zum Team um Prof. Krankenhagen, dessen Schwerpunkte die museologische Praxis und Theorie sowie ausgewählte Themen der Populärkultur sind, gehören zwei wissenschaftliche Mitarbeiter. Dr. Barbara Hornberger forscht seit 2010 zur Didaktik des Populären. Mit den spezifischen Produktionsweisen und Sinnangeboten der Konsumkultur der Gegenwart beschäftigt sich der Berliner Kulturwissenschaftler Dr. Dirk Hohnsträter, während die Doktorandin Tanja Zobeley das noch unerforschte Zirkus-, Varieté und Artistenarchiv in Marburg aufarbeitet.
Der moderne Kulturbegriff wie auch die Populäre Kultur entstanden als eine Reaktion auf fortschreitende Prozesse der Demokratisierung, Industrialisierung und Medialisierung der Gesellschaft. Doch während die Kulturtheorien des 18. und 19. Jahrhunderts die Entfremdungserfahrungen des modernen Menschen über Konzepte wie Bildung, Kunst und Naturerfahrung zu kompensieren versuchten, etablierte sich durch die Populäre Kultur ein spielerischer Umgang mit dem, was seit Rousseau und Schiller als die ‚Wunde Kultur‘ bezeichnet werden kann. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges dynamisierte sich diese Entwicklung im Rahmen einer neuen Generationenkonstellation. Die Kaufkraft der Jugend wurde zum entscheidenden Katalysator für die Popkultur. „Die Popkultur speist sich aus Popmusik genauso wie aus Pop-Art, aus Elvis genauso wie aus Warhol. Mit und seit den sechziger Jahren – beispielhaft sind hier die Beatles – fallen Kunst und Populäre Kultur in der Popkultur zusammen“, sagt Krankenhagen. Nach seinem Studium der Kulturwissenschaft an der Universität Hildesheim in den 90er Jahren, der Promotion mit einer Arbeit zur Darstellungs- und Rezeptionsgeschichte des Holocaust an der Universität Hildesheim und der Georgetown Universität in Washington D.C. und der Arbeit am United States Holocaust Memorial Museum in Washington wurde Stefan Krankenhagen 2005 auf die Professur für Deutsche und Europäische Kulturstudien an die Universität Trondheim berufen.
Wo die Grenze zwischen Kunst und Popkultur liege? „Einerseits ganz einfach: Sie gehen in ein Kunstmuseum, um Kunst zu sehen. Sie hören Madonna, wenn Sie Lust auf Popkultur haben. Zugleich aber ist heute die Kunst von Elementen geprägt, die sich der Praxis der Populären Kultur entlehnt. Ich denke hier an Zugänglichkeit, Konsumierbarkeit und Anwendbarkeit“, erläutert Krankenhagen.
Im Projektsemester 2012 wendet er sich dem Begriff der Arbeit in der Popkultur zu. Weil Stars nicht nur geboren, sondern auch gemacht werden, steckt im Pop Arbeit. Aber was für eine Art von Arbeit ist es, populär zu werden, beziehungsweise populär werden zu wollen? Als Ausstellungsprojekt konzipiert, wird noch ein Partner in der Stadt gesucht. „Das Arbeitsamt wäre ein interessanter Ort, um so ein Thema zu präsentieren“, sagt Krankenhagen.
Neben der Denomination „Populäre Kultur“ umfasst die Professur den Schwerpunkt Kulturwissenschaften. Prof. Krankenhagen war am German Historical Institut in Washington tätig, forschte am dortigen Holocaust Memorial Museum und hat gute Kontakte zum Deutschen Museumsbund wie auch zum europäischen Dachverband der Museumsorganisationen, NEMO. Nun möchte er in Hildesheim die museumspraktische- und -theoretische Sicht stärken und sich auch niedersachsenweit vernetzen. Alfeld, Wolfsburg, Hildesheim sind Stationen eines Seminars zum Thema „Die Funktion des Museums“.
„Inwieweit nimmt das Museum – als ein wichtiges Forum, das nationale Identitäten schafft – Europäisierungstendenzen auf?“, fragt Prof. Krankenhagen, der das interdisziplinäre und internationale Forschungsprojekt „Exhibiting Europe. The Development of European Narratives in Museums, Collections and Exhibitions“ leitet.
Mit Kollegen aus Oslo und Amsterdam und in Zusammenarbeit mit dem „Herder-Kolleg. Zentrum für transdisziplinäre Kulturforschung“ der Universität Hildesheim plant er darüber hinaus für 2012 eine internationale Konferenz, die sich dem Wandel vom Besucher zum Produzenten von Kulturleistungen widmet; der Kulturcampus Domäne Marienburg sei dafür „ein wunderbarer Ort“.