Künstliche Intelligenz: Interview mit Dirk Hohnsträter

Montag, 02. April 2018 um 13:31 Uhr

„Der digitale Wandel ist ein Kulturthema. Technologien werden von Menschen gemacht und prägen das Leben der Menschen. Sie betreffen unser Selbst- und Weltverhältnis“, sagt Dirk Hohnsträter. Der Kulturwissenschaftler spricht im April in Hannover über „Künstliche Intelligenz und Digitalisierung“.

Der promovierte Hildesheimer Kulturwissenschaftler Dirk Hohnsträter diskutiert am Montag, 16. April 2018 im Rahmen der Reihe „Forschung made in Niedersachsen“ mit Kolleginnen und Kollegen aus Informatik und Maschinenbau über „Künstliche Intelligenz und Digitalisierung“ [Programm]. Die Veranstaltung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur ist öffentlich. Im Gespräch verrät Hohnsträter, was der digitale Wandel mit Kultur zu tun hat.

Nachgefragt bei Dr. Dirk Hohnsträter

Welche Hildesheimer Botschaft nehmen Sie nach Hannover mit?

Ganz klar: Der digitale Wandel ist ein Kulturthema. Technologien werden von Menschen gemacht und prägen das Leben der Menschen. Sie betreffen unser Selbst- und Weltverhältnis: wie wir mit den Dingen umgehen, uns präsentieren und ausdrücken. Denken Sie beispielsweise an Smartphones, die nicht nur die Art und Weise verändert haben, wie wir uns in der Öffentlichkeit verhalten, sondern sogar unsere Körperhaltung, Gestik und Mimik bestimmen. Oder halten Sie sich vor Augen, dass wir permanent digitale Spuren hinterlassen und Computer, wie man so schön metaphorisch sagt, nicht vergessen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Erinnerungskultur.

Sie haben gemeinsam mit Stefan Krankenhagen, Professor für Kulturwissenschaft und Populäre Kultur, in Hildesheim die Forschungsstelle Konsumkultur aufgebaut und beschäftigen sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Konsumkultur. Was untersuchen Sie zum Beispiel, was möchten Sie herausfinden in Ihrer Forschung?

Die Digitalisierung hat die moderne Konsumkultur endgültig zu einem 360-Grad-Phänomen gemacht: Wir haben 7 Tage die Woche, 24 Stunden am Tag Zugriff auf das globale Warenangebot. Dieser Zugriff erfolgt zumeist über Webshops, sei es im Browser, sei es als eigenständige App. Uns interessiert daran besonders das Interfacedesign: Welche Ästhetik haben diese digitalen Schnittstellen? Was verbindet sie mit, was unterscheidet sie von herkömmlichen Warenhäusern, Schaufenstern und Displays? Ändern Algorithmen die Art, wie wir mit käuflichen Dingen und Diensten umgehen?

Konsum und digitaler Wandel – was ist eine Erkenntnis, zu der Sie kamen?

Eine zentrale Einsicht lautet für mich, dass Code nicht neutral ist, sondern in die Algorithmen Werte einprogrammiert werden. Entsprechend „formatieren“ Interfaces durch die in ihnen angelegten Pfade des Gebrauchs das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer, beispielsweise indem sie die Preisgabe persönlicher Daten erschweren oder begünstigen. Bei der Analyse des digitalisierten Konsums müssen wir also lernen, Code und Design nicht zu trennen und die Ästhetik eines Webshops nicht nur als gleichsam draufgesetzten, schönen Schein aufzufassen.

Wenn ich an Digitalisierung und Konsum denke, fallen mir die vielen Werbeanzeigen ein, all die Portale, die zum Kauf aufrufen und Kauf-Empfehlungen, die aufploppen. Über das Smartphone erhalten Kinder und Jugendliche Zugang zu Produktwelten – der Gang durch die Fußgängerzone vorbei an Schaufenstern ist scheinbar nicht mehr erforderlich. Sie betrachten Konsum aus kultureller Sicht. Wie tiefgreifend verändert die Digitalisierung den Konsum?

Durch die Digitalisierung hat sich das große Versprechen der Konsumkultur, nämlich die umfassende und ununterbrochene Verfügbarkeit der Güter, in historisch beispielloser Weise erfüllt. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass der analoge Konsum verschwinden wird. Nicht nur gibt es Mischformen (denken Sie etwa daran, dass jede Online-Bestellung nach wie vor vom Boten ins Haus gebracht wird), sondern auch gegenläufige Bewegungen: So werden handwerklich gefertigte Unikate oder individuelle Dienstleistungen von vielen Menschen als attraktiver Kontrast zum Digitalen erfahren.

Ein Aspekt der Digitalisierung, der aus Ihrer Sicht bisher viel zu wenig beachtet wird?

Was mich immer wieder erstaunt, ist die beinahe bedenkenlose Bereitschaft zahlreicher Menschen, vormals als privat angesehene Daten preiszugeben. Mentalitätsgeschichtlich ist diese Akzeptanz persönlicher Durchsichtigkeit ein ebenso unwahrscheinlicher wie irritierender Vorgang, der sich durch das Internet der Dinge noch vertiefen wird. Das kulturwissenschaftlich zu beobachten und auch kritisch zu begleiten, ist meines Erachtens eine wichtige Aufgabe.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Zur Person:

Dr. Dirk Hohnsträter leitet die 2017 gegründete Forschungsstelle Konsumkultur der Universität Hildesheim. Die Forschungsstelle widmet sich – durchaus einzigartig in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft – den vielfältigen Aspekten der Konsumkultur. Hohnsträter promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin und lehrte an Hochschulen im In- und Ausland, darunter insgesamt sechs Jahre in Ungarn und den Vereinigen Staaten. Jüngere Veröffentlichungen umfassen Aufsätze zur Theorie, Geschichte und Ästhetik der Konsumkultur, über Handwerk, Mode, Verbraucherkompetenz, die narrative Dimension der Wirtschaft und den Konsum in den Künsten. Auf seinem seit 2013 regelmäßig bespielten Blog „INVENTUR“ wendet sich der Kulturwissenschaftler an eine breitere Öffentlichkeit und entwickelt ein E-Learning Angebot zur Konsumkultur.

Forschungsstelle Konsumkultur

Künstliche Intelligenz und Digitalisierung

Dirk Hohnsträter diskutiert am Montag, 16. April 2018, in der Veranstaltungsreihe „Forschung made in Niedersachsen" des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über „Künstliche Intelligenz und Digitalisierung“. Die Diskussion beginnt um 18:00 Uhr im Conti-Foyer der Leibniz Universität Hannover (Königsworther Platz 1, 30167 Hannover).

Weitere Informationen zur Veranstaltung


Der Hildesheimer Kulturwissenschaftler Dirk Hohnsträter forscht auf dem Kulturcampus zu Theorie, Geschichte und Ästhetik der Konsumkultur und wie sich Konsum im Zeitalter des Digitalen verändert.

Der Hildesheimer Kulturwissenschaftler Dirk Hohnsträter forscht auf dem Kulturcampus zu Theorie, Geschichte und Ästhetik der Konsumkultur und wie sich Konsum im Zeitalter des Digitalen verändert.