Jazzmusik: Vom Live-Auftritt allein kann man nicht leben

Donnerstag, 17. März 2016 um 19:10 Uhr

Wer als professioneller Jazzmusiker tätig ist, geht selten mit mehr als 50 Euro pro Auftritt nach Hause – so ein Befund einer aktuellen Jazzstudie. „Jazz ist ein Großstadtphänomen“, sagt Thomas Renz, Kulturpolitikforscher an der Universität Hildesheim. Nach dem Jazz folgt die Kirchenmusik: Renz befragt derzeit Kirchenmusiker in Niedersachsen. Im ländlichen Raum haben kleiner werdende Kirchenchöre und andere Ensembles mit Nachwuchssorgen zu kämpfen.

Wissenschaftler vom Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim haben deutschlandweit professionelle Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker nach ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen befragt. 2.135 Musiker haben teilgenommen (20% Frauen, 80% Männer), das sind etwa 40 % der Künstler, die in Deutschland bei der Künstlersozialkasse als Jazzmusiker gemeldet sind.. Ihre wirtschaftliche Lage wird oft als prekär beschrieben, tatsächlich fehlten aber bisher aussagekräftige Zahlen. Die letzte Studie ist aus den 1970ern, sagt Thomas Renz, Autor der Studie.

Ein Ergebnis der aktuellen Studie, die in dieser Woche in Berlin vorgestellt wurde: Die Mehrheit der Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker erreicht kein existenzsicherndes Einkommen. 68 % der befragten Künstler verfügen über ein Gesamtjahreseinkommen aus den selbstständigen musikalischen Auftritten und der Unterrichtstätigkeit von weniger als 12.500 Euro. Nur etwa 10 % der Musiker verdienen mit Jazzmusik mehr als 20.000 Euro im Jahr.

2/3 aller Jazzmusiker komponieren selbst. Die Mehrheit der Musiker spielt im Kollektiv, in Ensembles ohne feste Hierarchie. Die Einnahmen durch Live-Auftritte mit Jazzmusik sind gering: In großen Metropolen wie Berlin und Köln werden bis zu 50 % der Auftritte mit maximal 50 Euro pro Musiker bezahlt. 50 % der befragten Musiker leben in einer Großstadt mit mehr als 500.000 Einwohnern, weitere 20 % in einer Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern. Jazz, sagt Renz, ist „ein Großstadtphänomen“. Die Musiker setzen, um ihr Einkommen zu sichern, auf Gesangs- und Instrumentalunterricht, in der Regel als selbstständige Privatlehrer oder Honorarkräfte an Musikschulen. Alle Jazzmusiker sind krankenversichert, der Mehrheit droht allerdings Altersarmut.  „Vor allem jüngere, eher einkommensschwache Musikerinnen und Musiker haben keine private Altersvorsorge“, sagt der Kulturwissenschaftler Thomas Renz.

Warum wird man dennoch Jazzmusikerin oder Jazzmusiker? Der Unterrichtsalltag in Schulen trägt eher weniger zum Interesse an Jazzmusik bei, sagt Thomas Renz. Der Einstieg in die professionelle Jazzmusik erfolgt häufig über Programme der Jugendförderung,   etwa „Jugend jazzt“, über Landesjugendjazzorchester oder über die Studienvorbereitung an Musikschulen. 77 % der Befragten haben an einer Musikhochschule studiert oder studieren derzeit. „Für die Mehrheit der Befragten stellt das Studium einen wichtigen Teil ihrer Professionalisierung dar. Neben der persönlichen musikalischen Entwicklung bilden sich die Studierenden bereits während ihres Studiums ein musikalisches Netzwerk, welches den Einstieg ins Berufsleben fördert.“ Bemängelt werde allerdings, dass im Studium noch zu wenig thematisiert werde, „wie man seine eigene Musik gut vermittelt“. Der Großteil der Befragten vermisst Studieninhalte zur „Selbstvermarktung“ und „Rüstzeug“ für die administrative Seite der späteren Berufspraxis, also zum Beispiel Wissen zu Gema, Künstlersozialkasse und Steuern. „Das ist höchst problematisch angesichts des hohen Anteils der selbstständigen Musiker“, so Renz.

Die Bestandsaufnahme sei ein „wichtiger wissenschaftlicher Beitrag“, so Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters in ihrem Vorwort zur Studie. „Ich hoffe, dass die Studie Diskussionen darüber anregen wird, wie die Lebensbedingungen der Jazzmusikerinnen und -musiker auskömmlicher gestaltet werden können.“ Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Länder Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen fördern die Jazz-Studie.

Nach dem Jazz geht es nun in die Kirchenmusik: Thomas Renz arbeitet derzeit an einer weiteren empirischen Studie. Im Auftrag des Verbands der Kirchenmusiker in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers untersucht ein Forscher-team der Uni Hildesheim die Arbeitssituation von Kirchenmusikern. Im ländlichen Raum haben kleiner werdende Kirchchöre, andere Ensembles und auch Organisten mit Nachwuchssorgen zu kämpfen. 2015 wurden mehr als 1.000 Kirchenmusiker in Niedersachsen befragt, momentan finden noch ein Dutzend qualitative Interviews statt. Auch hier ist das Feld sehr heterogen, sagt Renz. Von quirligen Kinderchören über mitreißende Gospelchöre bis zu Orgelkonzerten auf musikalisch höchster Qualität in der tiefsten Provinz in kleinen Dörfern. „In den Städten gibt es hauptamtliche A- und B-Musiker, sie gestalten oft das kulturelle Leben weit über den Kirchenraum mit. In ländlichen Räumen sind sie oft eine der wenigen professionellen Musiker. Überall gibt es zudem neben- und ehrenamtliche Musiker, die oft seit Jahrzehnten Orgel im Gottesdienst spielen oder Kirchenchöre leiten.“

Die Ergebnisse der Kirchenmusik-Studie werden am 20. April 2016 im Michaeliskloster in Hildesheim vorgestellt. In der Studie werden die unterschiedlichen Arbeitsfelder beschrieben. „Es wird deutlich, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Folgen des demografischen Wandels abzufedern. Auch stellt sich für Kirchenmusik zunehmend die Frage, wie sie mit neuen Musikansprüchen der ehrenamtlichen Musiker umgeht“, sagt Renz. Chorleiter, Organisten und Posaunengruppen gibt es auch in allen Dörfern des Landkreises Hildesheim. „Diese Gruppen tragen einen wichtigen Teil zur lokalen Kultur bei, stehen aber vor großen Herausforderungen in der Zukunft“, so der Forscher.

Weitere Informationen zu den zwei Studien:

Jazzmusik: Was tun? Die Ergebnisse der empirischen Jazzstudie (März 2016) kann man online ausführlich nachlesen, eine Grafik verschafft dabei Überblick. Der Hildesheimer Kulturwissenschaftler Dr. Thomas Renz formuliert auch mögliche Konsequenzen und Empfehlungen.

Kurzinformation zum Aufbau der Kirchenmusik-Studie findet man ebenfalls online auf der Seite des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim.

Jazzmusik und Kirchenmusik: Kontakt zum Forscher

Wer sich für die Forschung interessiert, kann Kontakt zu Dr. Thomas Renz aufnehmen (E-Mail renz[at]uni-hildesheim.de). Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)


Beim Musizieren: Die Jazzmusikerin Kristina van der Sand hat in Hannover und Porto (Portugal) Jazz studiert. „Die Bilder stammen aus unseren gemeinsamen Auftritten, als ich noch weniger Forschung und mehr Musik gemacht habe", sagt Thomas Renz. Präsentation der Jazzstudie im März 2016 im Deutschen Bundestag: Thomas Renz von der Universität Hildesheim (4. von rechts) und der Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag, Siegmund Ehrmann (2. von rechts). Foto: Union Deutscher Jazzmusiker

Beim Musizieren: Die Jazzmusikerin Kristina van der Sand hat in Hannover und Porto (Portugal) Jazz studiert. „Die Bilder stammen aus unseren gemeinsamen Auftritten, als ich noch weniger Forschung und mehr Musik gemacht habe", sagt Thomas Renz. Präsentation der Jazzstudie im März 2016 im Deutschen Bundestag: Thomas Renz von der Universität Hildesheim (4. von rechts) und der Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag, Siegmund Ehrmann (2. von rechts). Foto: Union Deutscher Jazzmusiker