Integration durch Musik: Europaweit einzigartiger Studiengang „musik.welt“

Donnerstag, 23. Mai 2019 um 18:43 Uhr

Der Studiengang „musik.welt“ öffnet seit 2011 Hochschultüren. Bisher haben etwa 100 Personen aus 15 Herkunftsländern im Alter von 20 bis 60 Jahren im Masterstudium am Center for World Music der Universität Hildesheim studiert. Der syrische Musikpädagoge Renas Ibrahim ist einer der Studierenden und arbeitet derzeit an seiner Masterarbeit. „Dank der Musik kann ich hier studieren“, sagt der 33-Jährige. Ab sofort ist eine Bewerbung um einen Studienplatz möglich.

Der Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ ist europaweit einzigartig und reagiert auf aktuelle Herausforderungen in der Gesellschaft.

Hier treffen zum Beispiel Komponisten, Konzertpädagogen, Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer, geflüchtete Musikerinnen und Musiker, Erzieherinnen und Erzieher und Musikervermittler aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern aufeinander. Viele Studentinnen und Studenten haben Abschlüsse im Ausland erworben. Sie haben vielfältige musikalische und berufliche Biografien kommen aus allen Regionen Deutschlands – von Frankfurt am Main über Bremen und Berlin bis Nürnberg – und aus dem Ausland, etwa aus Syrien, Türkei, Irak, China und Sudan.

„Es ist uns wichtig eine möglichst heterogene Gruppe zusammen zu stellen“, sagt Morena Piro, Mitarbeiterin am Center for World Music, „denn der Austausch, der Perspektivwechsel und das von und miteinander lernen ist wichtiger Bestandteil des Studiengangs.“

Jeder Student erlernt während der zwei Jahre ein weiteres Instrument – eine „musikalische Fremdsprache“ – und erhält Einzelinstrumentalunterricht. Die Studieninhalte reichen von Musikethnologie und Musikpädagogik über Musik und soziale Arbeit bis zu Projektmanagement und Selbstreflexion.

Seit 2011 bildet das Center for World Music der Universität Hildesheim Berufstätige fort, die die Vielfalt der Musikkulturen in ihrem Arbeitsumfeld aufgreifen – in Kitas, Schulen, Stadtteilen und Jugendzentren. Der Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ ist europaweit einzigartig und reagiert auf aktuelle Herausforderungen in der Gesellschaft.

Jetzt bewerben und berufsbegleitend den Masterabschluss erwerben

Der berufsbegleitende Masterstudiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ ist Teil des Schwerpunkts Bildungsintegration an der Universität Hildesheim und wird seit 2011 von der Stiftung Niedersachsen gefördert. Das Studium umfasst vier Semester bis zum Master-Abschluss. Die Lehrveranstaltungen finden jeweils an einem Wochenende pro Monat statt. Es besteht die Möglichkeit, auf Zertifikat zu studieren; ein Bachelor-Abschluss ist dann nicht erforderlich. Der Studiengang wendet sich an alle, die Kompetenzen erlangen möchten, um die integrative Kraft der Musik in der täglichen Arbeit zu nutzen.

Der Hörsaal im Center for World Music ist ungewöhnlich – ein ehemaliger Kirchenraum mit mehreren Hundert Musikinstrumenten aus allen Erdteilen.

Die Bewerbung um einen Studienplatz ist ab sofort bis zum 15. Juni 2019 möglich. Die Auswahlgespräche finden vom 5. bis zum 7. Juli 2019 am Center for World Music in Hildesheim statt. Das Studium beginnt im Oktober 2019.

Die Familienbildungsstätte der Katholischen Erwachsenenbildung in Hildesheim unterstützt Interessenten am Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“, um sprachlich gut vorbereitet in die Aufnahmeprüfung zu gehen. Gefördert von der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung werden speziell für Musiker Sprachkurse durchgeführt. In Kürze werden mehr Informationen zu dem Sprach- und Vorbereitungskurs bekannt gegeben.

Weitere Informationen zu den Studieninhalten,
Stipendien und zum Bewerbungsverfahren

Kurz erklärt: Zehnjähriges Jubiläum

Was macht das Center for World Music

Seit zehn Jahren arbeitet das Center for World Music (CWM) der Stiftung Universität Hildesheim daran, das musikethnologische Wissen für die Gesellschaft nutzbar zu machen. In unterschiedlichen Formaten verzahnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die theoretischen Erkenntnisse mit der Praxis. Das CWM bewahrt mit seinen etwa 4500 Instrumenten, circa 45.000 Tonträgern und seiner Bibliothek bedeutende Spuren und Vermächtnisse weltweiten Musikschaffens.

Das musikethnologische Institut, welches in den vier Abteilung Archiv, Forschung, Studium und Lehre und Community Service arbeitet, ist weltweit einzigartig. Der Musikethnologe Professor Raimund Vogels leitet das Hildesheimer Forschungszentrum.

Mehr Informationen zum
Center for World Music

Nachgefragt bei zwei musik.welt-Studierenden:

Autorin der Kurzporträts ist Morena Piro.

„Über die Musik kommen Menschen in Kontakt“

Renas Ibrahim

Seit 2017 studiert Renas Ibrahim am Center for World Music in Hildesheim. Sein Weg bis in den Hörsaal in Deutschland war lang – als der Krieg in Syrien wütete, entschied er sich, zu fliehen.

Bis 2015 arbeitete er in einem der größten Flüchtlingslager der Welt, im Camp „Domiz“. Wie viele aus dem Krieg Geflohene suchte er zunächst Zuflucht im Nachbarland Irak. Zu der Zeit als Renas Ibrahim nach Domiz kam lebten dort über 140.000 Menschen. Für viele wurde das Camp zu einem Ort der Hoffnungslosigkeit. Für Renas Ibrahim nicht. Er hatte seinen Traum und seine Klarinette und er wusste, dass er mit seiner Musik Trost und Freude spenden kann. Regelmäßig musizierte er mit den Kindern im Camp. Diese Arbeit mit den Kindern gibt dem gelernten Musikpädagogen Kraft.

Manchmal reicht eine Person, ein Mensch, der einem helfen kann

Die lange Flucht führte den 33-Jährigen bis nach Papenburg in Deutschland. Er „bemerkte, dass einige Menschen in Deutschland anscheinend Angst vor ihm hatten, Angst vor dem Fremden, erzählt er. Er suchte aktiv Kontakt, ging in die Kirchengemeinde und zum Blasorchester in der Nachbarschaft. Über die Musik konnte er mit Menschen in Kontakt kommen, denn deutsch sprechen konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. In Papenbrug traf er eine ältere Dame, die sich seiner annahm und die ihm half, zum Beispiel als seine Klarinette kaputt ging. „Manchmal reicht eine Person, ein Mensch, der einem helfen kann“, sagt Renas Ibrahim.

Er lernte weiter die deutsche Sprache und gelangte über eine Initiative des Musiklandes Niedersachsen und des Center for World Music bis nach Hildesheim. Im Rahmen des DAAD-Projektes „INTEGRA“ nahm Renas Ibrahim gemeinsam mit 12 weiteren geflüchteten Musikerinnen und Musikern an Kursen teil, um die Zugangsberechtigung zum Studium an der Universität Hildesheim zu erhalten. Von den 12 Personen schafften es nur wenige in den Masterstudiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“– Renas Ibrahim schaffte es.

Seit Herbst 2017 ist er nun immatrikulierter Masterstudent an der Universität Hildesheim und „sehr stolz darauf“. „Ich konzentriere mich voll auf das Studium und bin hierfür direkt in die Nachbarschaft des Center for World Music gezogen.“ Heute ist Renas Ibrahim in vielen Musikvermittlungsprojekten in Hildesheim aktiv. Auch für das Musikland arbeitete er zum Beispiel in dem Projekt „Welcome Board im Klassenzimmer“. „Hier zeige ich den Kindern, welche Instrumente und welche Musik in Syrien gespielt werden“, sagt Renas Ibrahim.

Aktuell ist Renas Ibrahim im letzten Semester des Weiterbildungsmasters. „Ich habe viel gelernt über die Musik der anderen und wie man Projekte entwickelt, kämpfe mich fleißig durch die deutsche Literatur der Musikpädagogik und durch die deutsche akademische Art des Lernens, die sich von dem Hochschulalltag in Syrien unterscheidet.“ Er recherchiert und schreibt an seinem Masterthema. Sein Traum ist es nun seine Masterarbeit über „Kurdische Musik“ zu schreiben.

„Es können noch so viele musikalische Schätze gehoben werden“

Hannah Marie Heuking

Hannah Marie Heuking studierte Elementare Musikpädagogik und klassische Klarinette in Deutschland. Ihre Arbeitsfelder sind vielfältig: Sie gibt Klarinettenunterricht, arbeitet für die Musikschule in Hannover in Kitas, Grundschulen und Einrichtungen der Stadtteilkultur und tritt regelmäßig mit Bands auf, spielt Klezmer und Musik aus dem Balkan – gerade diese Mischung der Tätigkeit ist für sie interessant.

Sie bemerkt die Veränderungen in der Gesellschaft – in den Bildungseinrichtungen, in denen sie arbeitet, haben über 60% der Kinder Eltern, die aus einem anderen Land kommen. Die Musik, die vermittelt wird ist jedoch nicht so divers. „Das Repertoire, mit dem an der Hochschule und an der Musikschule gearbeitet wird ist meistens beschränkt auf westliche Klassik, Jazz und Pop“, sagt die 30-Jährige. „Ich habe das Gefühl, dass es viele musikalische Schätze gibt, die noch gehoben werden können.“

Hannah Marie Heuking ist neugierig und fragt sich: „Was gibt es noch für musikalische Sprachen?“ Als sie von dem Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ hört, bewirbt sie sich und wird aufgenommen. Seit 2017 studiert sie am Center for World Music in Hildesheim.

„Die musikethnologischen Methoden, Inhalte und Workshops und der Austausch mit den Kommilitonen sind eine Bereicherung“, sagt sie. Die Musik verbindet sie alle und nach den Kursen bleiben die Musikerinnen und Musiker oft noch bis spät in den Abend zusammen, um gemeinsam zu musizieren.

Im Ausland erworbene Abschlüsse werden manchmal in Deutschland nicht anerkannt

Jeder der Studierenden erlernt ein Instrument, welches ihm bislang fremd ist. Hannah entscheidet sich, das arabische Saiteninstrument „Kanun“ von einem ihrer arabischen Kommilitonen zu erlernen. Ihr Lehrer ist studierter Musiker und Meister an seinem Instrument. Sein syrisches Diplom ist in Deutschland jedoch nicht anerkannt deshalb studiert er am Center for World Music.

Die wertschätzende Atmosphäre in der Gruppe ist bei Diskussionen in den Kursen und Workshops hilfreich. Gerade, wenn die Musik politisch wird. Zum Beispiel, wenn im Workshop zur „Jüdischen Musik“, die syrischen Musikerinnen und Musiker erzählen, mit welcher Haltung sie in ihrem Umfeld groß geworden sind. Die Gespräche mit den anderen unterstützen den Perspektivwechsel. Und oftmals folgt darauf das Anerkennen. „Aus solchen Kursen entstehen künstlerische Ensemble“, erzählt Hannah Marie Heuking, etwa ihr Bandprojekt „Trio Picon“, indem ihr Kommilitone Hesam aus dem Iran mit der persischen Kniegeige Kamanche und der persischen Rahmentrommel Daf jüdische Lieder spielt und auch persisches Repertoire teilt.

Aus dem Studiengang nimmt die Musikerin „neue Freunde, neues Wissen über Musik, neue künstlerische Projekte“ mit, ihr Horizont habe sich geweitet und sie habe nun „noch viel offenere Ohren“. Diese Erfahrungen aus dem Masterstudium nimmt sie bereits jetzt mit in die KiTas, Schulen und Kultureinrichtungen in den Stadtteilen, in denen sie arbeitet.

In Kürze steht eine musikalische Reise nach Tansania bevor: Im Herbst wird Hannah Marie Heuking nach Sansibar in Tansania reisen, um dort eine Musikakademie zu besuchen und um ein Austauschprojekt mit der Musikschule der Landeshauptstadt Hannover mitzugestalten. Vor Ort wird sie musikethnologischen Fragen nachgehen, denn „die Musikwelt in Sansibar und Tansania ist durch diverse koloniale Einflüsse über Jahrhunderte äußerst vielseitig geprägt und fusioniert sowohl arabische, persische, als auch europäische Musikstile und typische Instrumente“, erläutert sie. „Das ist doch großartig, dass ich nun so ein internationales Projekt mit aufbauen darf.“


Der Musikpädagoge Renas Ibrahim und die Musikerin und Musikpädagogin Hannah Marie Heuking sind zwei der bisher 100 Studierenden am Center for World Music der Universität Hildesheim. Fotos: Anne-Sophie Malessa