Institutionelle Kulturvermittlung: Staatsschauspiel Dresden ausgezeichnet

Donnerstag, 13. September 2018 um 10:43 Uhr

Die Hildesheimer Professorin Birgit Mandel hat gemeinsam mit der Commerzbank-Stiftung den ersten Preis für institutionelle Kulturvermittlung in Deutschland entwickelt. Der Preis zeichnet eine Kultureinrichtung für ihre zukunftsweisende Vermittlungsstrategie und deren nachhaltige Verankerung aus.

Die Auszeichnung ist mit insgesamt 80.000 Euro dotiert und wurde in dieser Woche (12. September 2018) in Frankfurt am Main verliehen. Der erste Preisträger ist das Staatsschauspiel Dresden. Das Theater erhält 50.000 Euro, um seine Vermittlungsarbeit strategisch weiter zu entwickeln. Das Historische Museum Frankfurt und das Theater Oberhausen folgen auf den Plätzen zwei und drei. Ihre Leistungen auf dem Gebiet der Vermittlung werden mit 20.000 beziehungsweise 10.000 Euro honoriert.

„Wir waren überwältigt von der unerwartet hohen Zahl von 125 Einsendungen von Museen, Theater, Opern- und Literaturhäusern bundesweit und der insgesamt hohen Qualität der Bewerbungen“, so Birgit Mandel, die als Juryvorsitzende die Laudatio in Frankfurt hielt und am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim im Bereich Kulturvermittlung und Kulturmanagement forscht und lehrt.

Erfinder der Bürgerbühnen: Hildesheimer Absolventin Miriam Tscholl entwickelt in Dresden die Bürgerbühne

„Mit großem Mut und Entschlossenheit, mit hoher Gestaltungskompetenz und mit viel Humor und Spielfreude gelingt es dem Staatsschauspiel Dresden das Theater zu öffnen. Mit künstlerischen Mitteln werden Menschen zusammengebracht, die sich sonst nicht begegnen würden“, sagt Birgit Mandel.

Das Staatstheater Dresden ist Erfinder und Pionier einer ganz eigenen, neuen Theater-Sparte, die inzwischen auch von einigen anderen Bühnen in Deutschland aufgegriffen wurde: die Bürgerbühne. Seit 2009 werden pro Spielzeit über 400 Bürgerinnen und Bürger eingeladen in Theaterinszenierungen mitzuwirken, unterstützt durch das Ensemble und freie Künstlerinnen und Künstler. Die beteiligten Dresdener kommen aus allen Generationen und bringen ihre Themen, Lebensgeschichten und aktuellen Konflikte auf die Bühne, bekommen Gehör und hören einander zu, so Mandel.

„Es beginnt ein vielfältiges Spiel mit Identitäten und Realitäten, welches sich nicht auf Milieu und Klasse reduzieren lässt“, sagt Miriam Tscholl, verantwortlich für die Bürgerbühne.

Durch die Bürgerbühnen-Inszenierungen wird das Publikum deutlich vielfältiger und auch die Auslastungszahlen sind deutlich gestiegen, viele Angehörige von Mitspielenden sind zum ersten mal in einem Theater.

Das Staatstheater Dresden bringt Menschen zusammen. So etwa im „Montagscafé“, wo sich Menschen mit oder ohne Fluchterfahrung im Theater treffen und mit oder ohne künstlerische Mittel austauschen. Oder im „Bürgerdinner Culture Clash“, wo sich in den vergangenen Jahren gut 40 Gruppen auf Einladung des Theaters zum gemeinsamen Essen getroffen haben, die sonst keine Berührung miteinander haben: Punks und Banker, Physiker und Esoteriker, Hebammen und Bestatter.

Für die Regie-Arbeit stellt die Zusammenarbeit mit Laien eine besondere Herausforderung dar: „Es geht immer darum, „das Gesagte und Gespielte in eine Verbindung zum Leben des Darstellers zu bringen. So ist ein Regisseur, der mit Laien arbeitet mehr noch als ein Regisseur mit Profis, gezwungen, ein Suchender zu sein, nicht einer der sich ausdenkt, was er auf der Bühne sehen möchte. Der Blick auf das Leben der Spielerinnen und Spieler kann die Themen und Stoffe des Theaters und den Bezug des Theaters zum Leben erweitern“, beschreibt Miriam Tscholl.

Damit wird auch die Arbeit einer Hildesheimer Absolventin ausgezeichnet. Miriam Tscholl, Absolventin des Studiengangs „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis“ und frühere Mitarbeiterin im Theaterinstitut der Uni Hildesheim, hat das Konzept der Bürgerbühne entwickelt und die Bürgerbühne Dresden gegründet und leitet sie bis heute. Gemeinsam mit der Intendanz des Staatstheaters hat sie in Frankfurt den ersten Preis entgegen genommen.

Museumspädagogik als fester Bestandteil der kuratorischen Arbeit

Im Historischen Museum Frankfurt werden nicht nur historische Gegenstände ausgestellt, sondern Besucher setzen sich mit der Zukunft der Stadt und dem historischen kulturellen Erbe auseinander. Die Museumspädagogik ist fester Bestandteil der kuratorischen Arbeit.

Hinzu kommt das „Junge Museum“, das eigene Ausstellungen macht für und mit Kindern und Familien. Das Museum kooperiert dabei mit dem Jugend- und Sozialamt, mit Schulen und Kitas oder dem Amt für Migration, um möglichst viele Familien mit ganz unterschiedlichen sozialen Hintergründen aktiv einzubeziehen. „Das junge Museum ist ein zentraler Knotenpunkt für Kinderkultur in Frankfurt geworden“, so Mandel.

Das Theater als guter Nachbar – Stadttheater Oberhausen als Treffpunkt und Austauschort

Das Theater Oberhausen stehe exemplarisch für die Suche eines Stadttheaters nach einer neuen Bedeutung als Treffpunkt und Austauschort für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt, sagt Birgit Mandel. Denn bisher gehört nur ein kleiner Teil der kunstaffinen, in der Regel hochgebildeten Bevölkerung zu den Stammbesuchern von Theatern und klassischen Kultureinrichtungen.

Vermittlung hat in Oberhausen keine eigene Abteilung, sondern soll in allen Bereichen mitgedacht und umgesetzt werden – auch von Ensemblemitgliedern, Hausregisseuren, Ausstattern, Kostümbildern und Technikern.

Das Theater Oberhausen ist nicht mehr nur ein Ort, wo Theaterstücke gezeigt werden, sondern wird zum Treffpunkt und guten Nachbarn, der hilft und sich verantwortlich fühlt für die Anliegen des lokalen Umfeldes, so Mandel. Gespielt wird in Kitas, im Jugendzentrum, auf den Wochenmarkt oder in die Kleingartenkolonie, wo die Proben zum partizipativen Stück „Wenn Männer denken“ stattfanden.

Kulturvermittlung als Gesamtstrategie in Kultureinrichtungen

„Der Preis soll dazu beitragen, der Kulturvermittlung in den Institutionen einen höheren Stellenwert zu geben“, so die Wissenschaftlerin. Kulturvermittlung sollte als Gesamtstrategie in Kultureinrichtungen verankert werden, die alle Abteilungen berührt und auch die Institution selbst verändert und erweitert in ihren Aufgaben und Arbeitsweisen.

Im deutschsprachigen Raum existierte bislang kein Preis, der sich mit der strukturellen und strategischen Qualität der Kulturvermittlung von Institutionen befasst und diese auszeichnet. Der Preis wird alle zwei Jahre ausgeschrieben.

Forschung in Hildesheim: Studie zu Stadt- und Staatstheatern

Wer sind die Kulturnutzer? Viele Studien, auch jene aus Hildesheim, zeigen: Die Kernbesucher verändern sich nicht in ihrer Sozialstruktur. „Im Gegenteil, diese zementiert sich. Die Nutzer der öffentlich geförderten Kultureinrichtungen sind eine relativ homogene Gruppe, die sich im Wesentlichen durch ein hohes Bildungsniveau und damit verbunden meistens durch einen hohen sozialen Status auszeichnen“, sagt Birgit Mandel. Die Professorin forscht und lehrt am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und bildet Studentinnen und Studenten im Masterstudiengang „Kulturvermittlung“ aus.

In einem Forschungsverbund mit den Theaterwissenschaften der LMU München befasst sich die Hildesheimer Professorin derzeit mit den Veränderungen der deutschen Stadt- und Staatstheater. Unter der Frage „Theater in der Krise?“ untersucht der Forschungsverbund, wie sich die öffentlich geförderten Theaterhäuser in ihren Programmen, Formaten, Strukturen und ihrem Personal verändern. Befragt werden die Leitungen sämtlicher Stadt- und Staatstheater in Deutschland. Außerdem befragt Professorin Birgit Mandel die Bevölkerung in einer Stadt in Niedersachsen zu ihren kulturellen Interessen und ihren Einstellungen zum Theater. Die Studie läuft über drei Jahre.

Bei Fragen erreichen Sie Prof. Dr. Birgit Mandel unter mandel@uni-hildesheim.de.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121 883 90100, presse@uni-hildesheim.de)


Miriam Tscholl hat in Hildesheim Kulturwissenschaften studiert und in Dresden die Bürgerbühne aufgebaut und wird gemeinsam mit dem Team des Staatsschauspiels Dresden für ihre herausragende Arbeit ausgezeichnet. Die Hildesheimer Professorin Birgit Mandel hat mit der Commerzbank-Stiftung den ersten Preis für institutionelle Kulturvermittlung in Deutschland entwickelt. Fotos: Mathias Horn, Daniel Kunzfeld

Miriam Tscholl hat in Hildesheim Kulturwissenschaften studiert und in Dresden die Bürgerbühne aufgebaut und wird gemeinsam mit dem Team des Staatsschauspiels Dresden für ihre herausragende Arbeit ausgezeichnet. Die Hildesheimer Professorin Birgit Mandel hat mit der Commerzbank-Stiftung den ersten Preis für institutionelle Kulturvermittlung in Deutschland entwickelt. Fotos: Mathias Horn, Daniel Kunzfeld