„Helfen Sie uns, die Wissenslücke zu schließen“

Montag, 01. Februar 2016 um 16:08 Uhr

70 Jahre Lehrerausbildung: Wer Zeitungsartikel oder Privatkorrespondenzen besitzt, die für die Universitätsgeschichte wichtig sind, kann der Uni helfen, Wissenslücken zu schließen.

Neulich stand der 84-jährige Heinrich Klink auf dem Universitätscampus – in der Hand einige Hefte: Erinnerungen an die Studienzeit vor 70 Jahren, Lieder und Noten, Fotografien von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, ein acht Seiten dünnes Vorlesungsverzeichnis. Die Erinnerungen hat der ehemalige Schulleiter nun dem Universitätsarchiv übergeben. Klink hat von 1951 bis 1953 in Alfeld studiert, der Vorgängerhochschule der heutigen Universität Hildesheim. 

Heinrich Klink ist damit einem Aufruf des Hildesheimer Universitätspräsidenten Prof. Wolfgang-Uwe Friedrich gefolgt. Dieser hatte in einer Feierstunde im Januar 2016 dazu aufgerufen: „Sollten Sie Zeitungsartikel oder Privatkorrespondenzen haben, die für die Universitätsgeschichte wichtig sind, senden Sie uns diese zu. Helfen Sie uns, die Wissenslücken zu schließen.“ Etwa 300 Ehemalige kamen während der Feierstunde zusammen, darunter Lehrerinnen und Lehrer aus ganz Niedersachsen, die seit den 50er Jahren bis heute ihr Studium abgeschlossen haben.

Die Universität Hildesheim erinnert in diesem Jahr an die Aufnahme des Studienbetriebs vor 70 Jahren, damals noch in Alfeld. Ein Blick zurück – nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt im Januar 1946 der Studienbetrieb an der Pädagogischen Hochschule Alfeld; im 20 Kilometer entfernten zerstörten Hildesheim sind keine geeigneten Gebäude vorhanden.

Nach nur einem Jahr schließen 1947 die ersten 51 Absolventen das Lehrerstudium ab. In den ersten 10 Jahren, bis 1955, absolvieren 510 Personen mit einem Durchschnittsalter von 27 Jahren ihr Studium. Frühe Schulpraxis ist seit Gründung der Hochschule bis heute Teil der Lehrerausbildung. 1970 wird dann der Semesterbetrieb in Hildesheim aufgenommen. Damals sind es zwei Semester, mittlerweile dauert die Lehrerausbildung zehn Semester (fünf Jahre). In Hildesheim werden heute mit etwa 2600 Studierenden rund ein Drittel der niedersächsischen Grund-, Haupt- und Realschullehrer ausgebildet. Anlässlich der 70-Jahr-Feier gibt ein Jubiläumsband des Universitätsverlags Einblicke in die Geschichte [zum PDF]. Außerdem startet die Universität ein bundesweites Ehemaligen-Netzwerk. Ehemalige aller Fachbereiche können sich online registrieren und werden über aktuelle Entwicklungen informiert.

Zu den ersten Studentinnen gehören Ursula Plewnia, Christa Mezzetti und Maria Behnke, die sich zur Feierstunde in Hildesheim wiedergesehen haben. Mit 20 Jahren schließt Maria Behnke 1953 in Alfeld ihre Prüfung ab und startet in Hannover in ihren ersten Schultag als Lehrerin. „Zwei Klassen mit je 50 Kindern. Das war damals so. Damit musste ich rechnen. Ich habe zufällig noch eine Gehaltsabrechnung gefunden: Damals wurde gerade das Gehalt für Lehrerinnen erhöht von 200 auf 360 DM pro Monat“, erinnert sich Behnke.

Auch Ursula Plewnia beendet 1953 erfolgreich ihr zweijähriges Studium und beginnt als Lehrerin an einer Schule in Peine. „Ich wollte nach einem Jahr eigentlich alles hinschmeißen. Meine Kollegin wollte eine schwierige 5. Klasse nicht übernehmen. Ich gab mir furchtbar viel Mühe, aber die Kinder schrieben trotzdem noch Fünfen. Ich wollte aufhören, war enttäuscht. Mein Schulleiter sagte: 'Bleiben Sie noch ein Jahr, Sie bekommen jetzt ein erstes Schuljahr.' Ich habe auch junge Lehrer ausgebildet und in der Bezirksregierung in Hannover gearbeitet. Bis zu meinem Lebensende bleibe ich Lehrerin.“ 40 Jahre hat die heute 84-Jährige im Bildungswesen gearbeitet. Ihr Rat an heutige Lehramtsstudenten: „Augen auf, praktisch arbeiten. Gucken Sie, was machbar ist. Die Ausbildung ist eine wichtige Grundlage.“

Christa Mezzetti, 1928 geboren, schließt ihr Lehramtsstudium 1952 ab. „Ich habe in einem 6. Schuljahr angefangen. Die Ausbildung war richtungsgebend, auch für heutige Zeiten. Erziehung ist grundlegend, es geht um Grundwerte, die man erlernt. Es sind die äußeren Umstände, die sich in den vergangenen 70 Jahren verändert haben“, so Mezzetti. „Kinder können manchmal sehr ehrlich sein. Sie dürfen keine Angst haben vor Jugendlichen“, wendet sich Christa Mezzetti an junge Menschen, die Lehrerin oder Lehrer werden möchten. „Ob man für den Lehrerberuf geeignet ist, das kann man nur erfahren, wenn man wirklich vor einer Klasse steht. Im Referendariat fallen junge Leute auf einmal in die Realität und erschrecken sich davor.“

Dass in Hildesheim Schulpraxis ab dem ersten Semester auf dem Studienprogramm stehe, sei wichtig. „Dafür benötigt man Zeit, in jeder Stunde kann man wertvolle Erfahrungen sammeln und Unterricht aufmerksam beobachten. Ein Studium sollte Raum geben, die eigene Entwicklung pädagogischen Handelns kritisch zu analysieren."

Die letzte Prüfung in Alfeld: Einblicke in den Studienalltag 1969

Studienheft von 1969, Pädagogische Hochschule Alfeld. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim

Herbert Nitsche hat von 1966 bis 1969 in Alfeld studiert und gehört zu den letzten Prüflingen in Alfeld. Als er seine Prüfung bestand, wurden schon die Kisten gepackt, die Hochschule zog nach Hildesheim um. Herbert Nitsche hat noch Material aus seiner Studienzeit, etwa sein Studienheft, aus dem hervorgeht, welche Lehrveranstaltungen er bei welchen Lehrenden besucht hat (siehe Foto): „Bildung und Gesellschaft", „Psychologie des Lernvorgangs", „Zeichnerisches Gestalten in verschiedenen Techniken" und „Das Verhältnis von Staat und Kirche". Er hat dann während des Berufs 1974 auch Kunst in Hildesheim studiert und war bis zu seiner Pension Lehrer am Gymnasium Josephinum in Hildesheim.

„Ich war während des Studiums im ersten Semester jeden Freitag in der Schule und habe Unterricht beobachtet: Wie sieht der Raum aus? Wie unterrichtet der Lehrer? Wie reagieren Schüler? Mit den Praxiserfahrungen war der Schock nicht so groß, um nach dem Studium täglich als Lehrer zu unterrichten", sagt Herbert Nitsche. „Ich war sofort mit allen Rechten und Pflichten Lehrer, aber ich war darauf vorbereitet", erinnert sich Nitsche an seine ersten Tage im Klassenzimmer. 

Lehrerausbildung heute: Wie Schulalltag und Theorie zusammenkommen

Diese 8. Klasse öffnet seit vier Jahren das Klassenzimmer für die Lehrerausbildung. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim

Mittwochs im Hörsaal – und freitags im Klassenzimmer: Lehramtsstudierende der Universität Hildesheim sind im ersten Studienjahr einmal in der Woche in der Schule, das ist bundesweit besonders. Sie erhalten früh Einblicke in die Schulrealität, können die Berufswahl überprüfen und reflektieren. Im zweiten Semester halten sie eine erste Unterrichtsstunde. Dann folgen weitere Praxisphasen, die vor- und nachbereitet werden. 500 Lehramtsstudierende starten jeden Herbst in ihr erstes Studienjahr.

Mit etwa 2600 Studierenden bildet die Stiftung Universität Hildesheim rund ein Drittel der niedersächsischen Grund-, Haupt- und Realschullehrer aus. Schwerpunkte in der Lehrerausbildung liegen in den Bereichen Deutsch als Zweitsprache, Individuelle Förderung und Umgang mit Vielfalt im Klassenzimmer. Die Universität arbeitet in weiteren Praxisphasen im Verlauf des Studiums mit 250 Partnerschulen in Hannover, Hildesheim und der Region zusammen.

Wer mehr über die Lehrerbildung und Schulforschung erfahren möchte, kann sich an das Team des Centrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung wenden. Der Forschungsnachwuchs analysiert unter anderem Mathestunden in der 8. Klasse, Sportunterricht mit Fünftklässlern und baut das <link celeb/forschung-und-wissenschaftlicher-nachwuchs/fallarchive/ _blank>Video-Fallarchiv HILDE</link> aus. In einem Promotionskolleg untersuchen junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie Bildungsbiographien von Schülerinnen und Schülern an der Schnittstelle von Schule und Ausbildung verlaufen oder wie Lehrkräfte Aufgaben formulieren.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)


Wiedersehen an der Universität in Hildesheim: Ursula Plewnia, Christa Mezzetti und Maria Behnke (von links nach rechts) haben Anfang der 1950er Jahre ihr Lehramtsstudium in Alfeld, der Vorgänger-Hochschule der heutigen Universität Hildesheim, abgeschlossen. Markus Langer von der Universitätsförderung (rechts) zeigt ehemaligen Studentinnen den Uni-Campus. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim

Wiedersehen an der Universität in Hildesheim: Ursula Plewnia, Christa Mezzetti und Maria Behnke (von links nach rechts) haben Anfang der 1950er Jahre ihr Lehramtsstudium in Alfeld, der Vorgänger-Hochschule der heutigen Universität Hildesheim, abgeschlossen. Markus Langer von der Universitätsförderung (rechts) zeigt ehemaligen Studentinnen den Uni-Campus. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim

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