Gemeinsame Suche

Donnerstag, 09. Juli 2015 um 19:30 Uhr

Technologien dringen verstärkt und immer schneller in unseren Alltag ein, viele tragen permanent ein Smartphone bei sich. Wie Software nutzerfreundlich entwickelt wird, wie die Digitalisierung die Arbeit von Geisteswissenschaftlern und das Lernen verändert – damit befassen sich Fachleute an der Universität Hildesheim. Ein Einblick von Isa Lange.

Wie Menschen gemeinsam nach Informationen suchen, untersucht Stefanie Elbeshausen. Die Informationswissenschaftlerin nennt das „Collaborative Information Seeking“, also kollaboratives Informationssuchverhalten. Beispielsweise im Freizeitbereich: Freunde, die an verschiedenen Orten wohnen, verbinden sich über das Internet und versuchen, gemeinsam eine Urlaubsreise zu planen, sie vergleichen Preise, suchen Urlaubsorte. In ihrer Doktorarbeit untersucht Stefanie Elbeshausen nun, wie Studierende komplexe Suchaufgaben lösen, etwa wenn sie gemeinsam Hausarbeiten oder Referate über Informationsethik – welche Daten werden wo und wie sicher abgelegt ? – vorbereiten. „Die Studierenden führen Suchtagebücher. Die Online-Suche wird aufgezeichnet, außerdem führe ich Gruppeninterviews und möchte erfahren, welchen Einfluss die Persönlichkeit auf die gemeinsame Suche hat“, sagt Elbeshausen.

Die Doktorandin lehrt am Institut für Informationswissenschaft und Sprachtechnologie der Universität Hildesheim. Das Institut möchte „ein Bindeglied zwischen Geistes- und Sprachwissenschaft sowie der Informatik“ sein. Professorin Christa Womser-Hacker und Professor Thomas Mandl entwickeln zum Beispiel Methoden, um früh technologische Trends in Patentdatenbanken zu erkennen, sie untersuchen die Nutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit von Internetseiten und fragen, wie Menschen sich Informationen beschaffen. Elektronische Wörterbücher entwickelt eine Arbeitsgruppe um den Computerlinguisten Professor Ulrich Heid (Artikel: „Riesige Textmengen lesen: Wie Computerlinguisten arbeiten" PDF). Josef Ruppenhofer erforscht zum Beispiel derzeit in einem DFG-geförderten Projekt, wie Gefühle und subjektive Ausdrücke in deutschen und englischen Texten mit computerlinguistischen Verfahren erkannt werden können.

Seit fast 15 Jahren kommen in Hildesheim Fachleute aus Wissenschaft und Praxis zusammen, in diesem Jahr tauschen sie sich in den Bereichen Digital Humanities, Internetsuche und Online Marketing, Information Seeking sowie E-Learning aus (Programm des Workshops HIER 2015). Professorin Elke Greifender von der Humboldt-Universität in Berlin blickt zum Beispiel auf die „Ausreißer“ in Testdesigns („outliers“), ein methodisches Problem. Vom Göttinger Centre for Digital Humanities ist Professor Gerhard Lauer angereist, um über das Lesen mit Maschinen am Beispiel der Literaturwissenschaft zu sprechen. Joachim Griesbaum, Professor für Informationswissenschaft an der Universität Hildesheim, beschäftigt sich mit einer Frage, die derzeit auch viele Schulleiter umtreibt: Was sind die Vorteile der Digitalisierung für Unterricht und Lehre in der Schule? „Sie stehen vor der Herausforderung, sich diesem Umbruch, etwa in der Unterrichtsgestaltung, zu nähern. Tablets, Smartphones und Laptops sind keine Bücher, sondern Informations- und Kommunikationstechnologien“, sagt Griesbaum, der kürzlich mit Schulleitern über die Komplexität des E-Learning sprach. „Das bedeutet für Schulen ein Bedarf für systematisches Informationsmanagement, das auch rechtliche und sicherheitsrelevante Aspekte beinhaltet. Mittlerweile entstehen auf dem Bildungsmarkt gänzlich neue Anbieter, die Infrastrukturleistungen und Software-Services bieten, Tablets ausleihen. Aber Lehrerinnen und Lehrer müssen wissen, wie sie damit umgehen“, so Griesbaum.

Wie sich die Geisteswissenschaft unter den Bedingungen des Digitalen verändern, lässt sich am Projekt „Die Welt der Kinder – Weltwissen und Weltdeutung in Schul- und Kinderbüchern zwischen 1850 und 1918“ ablesen. Eine Zeit ohne Smartphone, Internet, Fernsehen oder Radio. Historiker, Informatiker und Computerlinguisten aus Braunschweig, Darmstadt und Hildesheim arbeiten dabei zusammen. Die Historiker des Georg-Eckert-Instituts untersuchen, wie Kinder um die Jahrhundertwende durch Schulbücher in ihrer Weltwahrnehmung beeinflusst wurden. Ein Smartphone gab es noch nicht, das mündliche Wort von Durchreisenden oder Eltern können sie nicht mehr untersuchen. Daher konzentrieren sie sich auf ein Archiv, das mehr als 3000 Geschichtsbücher enthält und digital bereits erfasst wurde. „Wir sind mittendrin. Ohne technische Hilfsmittel können Historiker einzelne Quellen untersuchen. Wir lernen zunächst von ihnen, wie sie vorgehen und entwickeln nun Werkzeuge, wie die Forscher übergreifend analysieren können. Die verwendeten Verfahren bauen meist auf Statistiken über typische Begriffskombinationen auf“, erläutert der Informationswissenschaftler Ben Heuwing.

Er arbeitet mit an der Entwicklung von Methoden, um die über 600.000 Buchseiten auszuwerten. Ein Server führt die Grundberechnungen durch, teilweise laufen die Analysen in den riesigen Dokumentenmengen mehrere Tage. Um die Serversoftware zu bedienen und Analysen durchzuführen, entwickelt Ben Heuwing die Oberflächen. Wie können Daten visualisiert werden, welche Diagramme eignen sich, wie können Dokumentenmengen ausgewählt werden? „Es geht nicht darum, irgendwie zu einem Ergebnis zu kommen. Die Studie muss für die Forschung nachvollziehbar und im wissenschaftlichen Prozess überprüfbar sein“, sagt der Wissenschaftler. In den „Digital Humanties“ läuft gerade eine Diskussion, ob Geisteswissenschaftler auch Programmierer oder Einzelne fortgebildet werden sollen. Oder sollen digitale Werkzeuge für bestimmte Aufgaben in den Geisteswissenschaften zugeschnitten werden?

Ben Heuwing ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hildesheim. Am Institut für Informationswissenschaft und Sprachtechnologie hat er gerade seine Promotion über nutzerzentrierte Softwareentwicklung abgeschlossen. Das Ziel ist, so Heuwing, „Software so zu entwickeln, dass sie verständlich und gebrauchstauglich ist und für die Aufgaben verwendet werden kann, für die sie geschaffen wurde“. Für die nutzerzentrierte Entwicklung von Software gelten DIN-Normen, es werden beispielsweise Befragungen und Nutzertests durchgeführt. Onlineshops haben etwa ein großes Interesse, dass ihre Internetseiten nutzerfreundlich aufgebaut sind, sind sie es nicht – wechselt der Kunde womöglich zur Konkurrenz.

Das hat auch mit steigenden Erwartungen der Nutzer zu tun: Fast jeder hat heute ein Smartphone in der Tasche, kann sich Software (Apps) herunterladen. Wenn man über eine Bahn-App den Zug nicht findet, nutzt man sie nicht mehr. „Wir sind immer mehr daran gewöhnt, keine Bedienungsanleitung für Nichts zu lesen und wir erwarten, dass man die Anwendung schnell durchblickt, dass sie vertraut ist oder sich zumindest leicht durch Ausprobieren entdecken lässt“, sagt der Informationswissenschaftler. Ältere Menschen werden mittlerweile über Apps überhaupt erst an Softwarenutzung herangeführt, weil sie hier leichter Ausprobieren können und weniger Scheu haben, etwas falsch zu machen. „Aber auch in der Softwareentwicklung für den Maschinenbau und medizinischen Bereich müssen die Fehlerraten bei der Anwendung reduziert werden. Dass die Software auf den Geräten gebrauchstauglich ist, ist gerade bei medizinischen Geräten enorm wichtig“, so Ben Heuwing.

Kontakt für Interessierte in Hildesheim: Digitale Geisteswissenschaften

Auch an der Universität Hildesheim möchte Ben Heuwing noch stärker Informationswissenschaftler mit Politik-, Erziehungs- oder zum Beispiel Geschichtswissenschaftlern zusammenbringen. Wer sich für das Thema interessiert, kann den Wissenschaftler kontaktieren (E-Mail heuwing@uni-hildesheim.de). Er sucht derzeit selbst einen Studenten, der Informationsmanagement in Kombination mit Geschichte studiert und zum Beispiel an einer Abschlussarbeit im Rahmen des Schulbuchforschungs-Projektes arbeiten möchte.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)


An der Hildesheimer Universität kommen beim HIER-Workshop Fachleute aus Göttingen, Berlin und Regensburg zusammen. Sie befassen sich mit aktuellen Entwicklungen in den Bereichen Digital Humanities, Internetsuche und E-Learning. Den Workshop organisieren Gertrud Faaß, Joachim Griesbaum, Ben Heuwing, Stefanie Elbeshausen und Julia Jürgens (Gruppenbild). Der Göttinger Professor Gerhard Lauer (2.v.re.) spricht zum Beispiel über das Lesen mit Maschinen. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim

An der Hildesheimer Universität kommen beim HIER-Workshop Fachleute aus Göttingen, Berlin und Regensburg zusammen. Sie befassen sich mit aktuellen Entwicklungen in den Bereichen Digital Humanities, Internetsuche und E-Learning. Den Workshop organisieren Gertrud Faaß, Joachim Griesbaum, Ben Heuwing, Stefanie Elbeshausen und Julia Jürgens (Gruppenbild). Der Göttinger Professor Gerhard Lauer (2.v.re.) spricht zum Beispiel über das Lesen mit Maschinen. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim