Fragil neben robust

Dienstag, 22. April 2014 um 15:24 Uhr

Das Depot ist das Herz des Museums. Die Objekte zu erfassen, zu schützen, zu erhalten ist aufwendig. Hannah Chodura ist erst im zweiten Studienjahr – und hat eine Ausstellung in einem Museum von internationalem Renommee mitentwickelt. Isa Lange sprach mit der 22-jährigen Studentin.

Sie untersuchen, wo Dinge lagern, wenn sie nicht ausgestellt werden. Im Verlauf der Ausstellungskonzeption sind Sie tief eingetaucht in die Arbeitsweise im Depot des Roemer- und Pelizaeus-Museums. Was reizt Sie daran, das Unfertige, den Arbeitsprozess zu zeigen?

Kaum betritt man ein Museum, gerät man als Besucher ja in einen gewissen Modus: Die Schritte verlangsamen sich, man schlendert, nimmt sich Zeit zur Betrachtung. Damit einher geht eine bestimmte Erwartungshaltung an die ausgestellten Objekte. Kategorien, wie beispielsweise die Herkunft, können über die Sortierung von Ausstellungsobjekten entscheiden. Im Depot ist das anders. Es gelten andere Ordnungsschemata. Das Fragile liegt neben dem Robusten, wenige Schritte trennen ein afrikanisches Maskengewand von Harpunen aus Alaska. Uns interessiert, ob man den Objekten näherkommen kann, wenn sie eben nicht in den üblichen Ordnungssystemen einsortiert werden.

Sie haben die Restauratorin Dorothea Lindemann und den Leiter der völkerkundlichen Sammlung, Dr. Ulrich Menter bei der Arbeit beobachtet. Entstanden ist ein Film. Dabei wird deutlich, welche Anforderungen an den Erhalt von Objekten gestellt werden. Was erstaunt Sie?

Der Film legt offen, wie beschädigt manche Objekte sind und wo Grenzen der Instandsetzung liegen. Wir zeigen das anhand der „Figur des Europäers“. Diese Tonfigur stammt aus Mittelamerika und ist datiert auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit der Inventarnummer 2072 verzeichnet. Der Tropenhelm wurde durch früheren Mottenbefall stark beschädigt. Gerade aufgrund der Mängel zeigen wir die Figur. Als Museumsbesucher sieht man immer nur das Fertige und erfährt kaum, wie ein Objekt „hergerichtet“ werden muss.

Sammeln – ein wesentliches Motiv der Ausstellung – was reizt Sie an diesem Thema und wie locken Sie Besucher an?

Indem wir versuchen die Stadt einzubinden. In öffentlichen Bücherschränken reihen sich Bücher unsortiert nebeneinander – was stark an das Depot erinnert. Dort hängen jetzt wechselnde Lesezeichen, auf denen Fotos von privaten Sammlungen zu sehen sind. „Was sammelst du?“ – darauf antworten etliche Hildesheimer Bürger mit Fotos: Von einer Engel-Sammlung bis zur strukturierten Plattensammlung. Über QR-Codes gelangt man zu einem „Interview mit der Stadt“. Bürger erzählen, warum sie sammeln.

Wir haben Reiseanhänger für Fahrräder mit der Aufschrift „Wohin geht die Reise?“ gestaltet. Via QR-Code entdeckt man eine kleine Reiseanleitung. Und in Hildesheimer Cafés können Gäste Objekte selbst einmal inventarisieren – etwa eine Zuckerdose – und mit etwas Glück eine Reise gewinnen. Wir wollen nicht aggressiv werben, sondern Menschen zur Beschäftigung mit dem Thema anregen. Man soll sich aktiv für den Museumsbesuch entscheiden.

Sie sind am Anfang Ihres Studiums „Philosophie Künste Medien“ – kam der Ausflug in die Praxis zum passenden Zeitpunkt?

Im Grunde genommen, bin ich die Praxis hineingestolpert, vor einigen Monaten, noch im ersten Studienjahr. Es ist toll, dass einem so viel Vertrauen geschenkt wird. Die Mitarbeiter des Roemer- und Pelizaeus-Museums stehen von der Leitung bis zum Wachdienst beratend zur Seite, und haben umgekehrt die Ratschläge der Studenten gerne angenommen. Und das ist doch essentiell. Für die Hildesheimer Uni heißt das: Theorie und Praxis früh zu kombinieren – das funktioniert. Wir haben auch fächerübergreifeng gearbeitet mit Literatur- und Musikstudenten, dabei sind Audiodateien und die Filmmusik entstanden. Jeder von uns hat viel Zeit investiert – über ein übliches Seminar hinaus.

Vielen Dank für das Gespräch.

Info: Ausstellung Gegenwelten

Wenige Schritte trennen sie im Ausstellungsraum: Eine blauweiße Pilgerflasche aus Porzellan, Holzmasken der Yup’ik aus Alaska und ein indonesisches Zauberbuch. Daneben ein Figurengefäß aus Peru aus dem Jahre 100 vor Christus – mit einem Zustandsprotokoll. Der Leser erfährt von einem „kleinen Loch mit abgeplatzter Bemalung". Das Depot ist das Herz des Museums. Registrieren, restaurieren, transportieren, einordnen, vermitteln – diese Stationen sind für Objekte im Museumsbetrieb alltäglich. Doch für Museumsbesucher sind diese Prozesse selten sichtbar.

Die Ausstellung Gegenwelten im Roemer-Pelizaeus-Museum gewährt einen Einblick in die Welt des Depots. Kunstwissenschaftler der Universität Hildesheim erforschen den Wandel, der sich vollzieht, sobald ein Gegenstand zum Museumsstück wird. Studierende um Juniorprofessorin Dr. Viola Vahrson geben in Filmen Einblicke in die Objektrestauration. Museumsdirektorin Prof. Dr. Regine Schulz verweist auf die Impulse der jungen Kreativen. Das Engagement der Studierenden könne man nicht hoch genug einschätzen, so Schulz. Die Ausstellung läuft bis zum 15. Juni 2014. Für Studierende gibt es einen ermäßigten Eintritt (5 Euro).

Gefördert werden die Juniorprofessur im Bereich Kunstvermittlung und die Ausstellung durch die Niedersächsische Sparkassenstiftung. Deren Direktorin Dr. Sabine Schormann verdeutlicht: „Wir wollen Kunstvermittlung auf hohen wissenschaftlichen Niveau fördern, Wege erforschen und in die Praxis überführen. Die Studierenden nehmen die Erfahrungen aus dem Ausstellungsprojekt mit in das Berufsleben.“ Universitätspräsident Prof. Dr. Wolfgang-Uwe Friedrich dankt den Förderern, der Sparkasse Hildesheim, der VGH-Stiftung, der Niedersächsischen Sparkassenstiftung. Friedrich weist auf das hohe Potential von Kooperationen hin: Neben dem Museum von internationalem Rang und den UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten ist in der Stadt das Center for World Music der Universität Hildesheim verortet, ein Forschungszentrum, das sich mit den Musikkulturen der Welt befasst.

Lesen Sie den Artikel im Uni-Journal (PDF)

„Gegenwelten: Die unsichtbare Seite der Dinge“, verlängert bis 15. Juni 2014


Die kleine Figur eines Europäers mit Tropenhelm stammt aus Mittelamerika. Da der Helm durch früheren Mottenbefall beschädigt ist, wurde die Tonfigur für die Ausstellung konservatorisch bearbeitet. Sie steht im Mittelpunkt eines Films

Die kleine Figur eines Europäers mit Tropenhelm stammt aus Mittelamerika. Da der Helm durch früheren Mottenbefall beschädigt ist, wurde die Tonfigur für die Ausstellung konservatorisch bearbeitet. Sie steht im Mittelpunkt eines Films zur Objektrestaurierung. Foto Sh. Shalchi

Zu den aktuellen Pressemeldungen