„Flott geschrieben"

Montag, 05. Mai 2014 um 08:00 Uhr

Professor Michael Gehler und Student Stephan Friedhoff verraten in Teil 2 einer vierteiligen Serie über literarische Neugierde, was sie derzeit lesen. Heute: Eurokrise und Gruselbuch. Der Countdown läuft, in drei Wochen startet PROSANOVA. Studierende der Uni Hildesheim laden zum Festival für junge Gegenwartsliteratur ein.

Matthias Friedrich sprach mit Michael Gehler, Professor für Geschichte

Welches Buch lesen Sie gerade?

Gerade habe ich „Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro“ von Dominik Geppert gelesen. Wie der Titel schon schon signalisiert, hat die Medaille „Euro" zwei Seiten, wobei hier die Kehrseite besonders kritisch beleuchtet wird. Die europäische Einheitswährung wird in diesem Buch entgegen der gängigen Lesart nicht als einigender Faktor für die Integrationsgeschichte begriffen, sondern als Spaltpilz verstanden, der das Einigungsprojekt bedrohlich gefährdet.

Wie ist Ihre Meinung zu dem Buch?

Der Autor ist an sich Historiker. Sein Text gleicht aber mehr einem großem politischen Essay, geschrieben wie von einem sachkundigen und profilierten Journalisten. Das ist einerseits ein Vorzug des Werks, weil es flott geschrieben ist, sich sehr gut liest, aber andererseits nicht immer die historische Tiefenschärfe besitzt, die notwendig ist, um sowohl den aktuellen Gesamtkomplex als auch die historisch-politischen Hintergünde des Euro zu verstehen. Das Buch basiert zudem zu einem großen Teil auf Zeitungsartikel, vor allem der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und nicht auf „Primärquellen". Das wären zum Beispiel Dokumente von der Deutschen Bundesbank, der Europäischen Zentralbank oder dem Bundesfinanzministerium gewesen, die zwar derzeit nicht so ohne weiteres zugänglich sind, zumindest hätten sich aber gezielte Befragungen und systematisch angelegte Interviews mit Akteuren und Zeitzeugen angeboten.

An sich finde ich es sehr gut, ja unbedingt notwendig, dass sich Historiker auch zu aktuellen Fragen öffentlichkeitswirksam äußern, aber es sollte sich dann um mehr als eine Ansammlung von Meinungsäußerungen handeln. Einen Hauptkritikpunkt sehe ich darin, dass Gepperts Buch mehr eine Perzeptions- als eine Realgeschichte des Euro ist. Das Hauptproblem des Euro ist meines Erachtens nämlich seine reduzierte bzw. selektive Wahrnehmung aus einer europäischen Binnensicht. Seine reale über Europa hinausgehende internationale und globale Bedeutung wird dabei oft unterschätzt.

Würden Sie das Buch weiterempfehlen? Und wenn ja, an wen?

Das Buch ist in jedem Fall weiter zu empfehlen, weil es sich nicht nur an Akademiker, Intellektuelle und Studierende richtet, sondern auch für ein breiteres Publikum geschrieben ist, zu einer Diskussion herausfordert und eine Reihe wertvoller Anregungen enthält. Es macht meines Erachtens deutlich, dass es die EU versäumt hat, nach Einführung des Euro dessen Existenz und Notwendigkeit besser und nachvollziehbar nach innen zu kommunizieren. Auf Anfrage der Kommission Barroso habe ich zuletzt empfohlen, noch in seiner Amtszeit einen Bericht des Kommissionspräsidenten zum Thema „The Cost of Non-Euro-Europe" zu veröffentlichen, um klar zu machen, was es bedeuten würde, wenn wir den Euro nicht hätten, nämlich dass wir eine Abwertungsspirale der reetablierten nationalen Währungen und eine für andere und die eigene „Volkswirtschaft" unerträglich starke DM bekommen würden, die abgesehen von den politischen Desintegrationseffekten für die EU auch für den Binnenmarkt und die deutsche Außenhandelspolitik sehr schädlich wäre. Außerdem wäre damit ein neues Eldorado für internationale Spekulanten gegeben.

Vielen Dank für das Interview.

Matthias Friedrich sprach mit Stephan Friedhoff, der an der Universität Hildesheim

Welches Buch hast du gerade gelesen?

„Wells of Hell“ von Graham Masterton, ein Horror-Roman mit Anklängen an Science Fiction. Darin geht es um eine amerikanische Kleinstadt, in der das Wasser, das aus den Leitungen kommt, eine seltsame Färbung zeigt. Eine Familie wird in hummerähnliche Monster verwandelt, und konsequenterweise ist es ein Klempner, der die Stadt vor einer Alien-Invasion retten muss. Mehr möchte ich aber nicht verraten.

Wie ist deine Meinung zu dem Buch?

Eher befriedigend bis gut. Masterton hat allerdings die Anleihen an H.P. Lovecraft, ein amerikanischer Schriftsteller, inkonsequent umgesetzt.

Würdest du den Roman weiterempfehlen?

Ja. Aber eher an solche, die sich im Genre auskennen.

Vielen Dank für das Interview.

Serie über den Lesealltag / Junge Gegenwartsliteratur in Hildesheim

Im Vorfeld des PROSANOVA-Festivals für junge deutschsprachige Gegenwartsliteratur, das von Studierenden aus dem gesamten Fachbereich Kulturwissenschaften der Universität Hildesheim organisiert wird, haben die Kulturwissenschaftsstudierenden Nora Maria Gerken und Matthias Friedrich Lehrende und Studierende zu ihren derzeitigen literarischen Vorlieben befragt. Die Antworten sind sehr unterschiedlich ausgefallen, zeigen aber, wozu Literatur in der Lage sein kann. Das Literaturfestival findet vom 29. Mai bis 1. Juni 2014 in Hildesheim statt. Das Programm ist ab sofort online. Teil 1 der vierteiligen Serie lesen Sie hier.