Wo die Wirklichkeit verschwimmt: Dritte Arbeitstagung des deutsch-spanischen Arbeitskreises „Fakten und Fiktionen" in Madrid

Mittwoch, 18. Mai 2022 um 14:01 Uhr

„Zeitdiagnosen zwischen Fakten und Fiktionen" lautet der Titel der dritten binationalen Arbeitstagung des Arbeitskreises „Fakten und Fiktionen“ am 26. und 27. Mai 2022 in Madrid. Die Veranstaltung findet statt an den Standorten Universidad Complutense de Madrid und Universidad Autónoma de Madrid. Organisiert hat sie Prof. Dr. Toni Tholen, der am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität Hildesheim lehrt und forscht, gemeinsam mit Professorin Patricia Cifre Wibrow von der Universidad de Salamanca und Professor Arno Gimber von der Universidad Complutense de Madrid.

Auf dem Programm stehen Vorträge und Diskussionen rund um die Themen Fakten und Fiktionen sowie Überlappungen zwischen Wahrheit und Erfindung in Literatur, Theater und Film. Unter anderem hält Prof. Dr. Toni Tholen einen Vortrag mit dem Titel „Die Welt und ich. Zeit- und Selbstdiagnostik bei Karl Ove Knausgård". Dr. Jennifer Clare ist mit dem Thema „Die Vergangenheit als einsturzgefährdeter (Text-)Raum: Geschichte und Gegenwart in Raphaela Edelbauers ‚Das flüssige Land‘‘‘ dabei. Dr. Wiebke von Bernstorff referiert unter dem Titel „Von fehlenden vierten Wänden und anderen Wahrheiten: 'Soziale Autofiktionen' in Performance und Theaterpädagogik"; Julia Goldlust zu „Die Fliege als Schwellenphänomen im politischen Diskurs"; Dr. Kathrin Kazmaier zu „Re-Making History: Fiktionale Aneignung von Geschichte zwischen Vereinnahmung und Anerkennung" und Dr. Volker Pietsch zu „Krise der Parallelerden – Die phantastischen Genres im Diskurs um COVID-19" (alle Universität Hildesheim).

Das vollständige Tagungsprogramm

Fakten und Fiktionen in den Literatur- und Kulturwissenschaften

Die Erforschung des Verhältnisses von Fakten und Fiktionen in der Literatur und in anderen ästhetischen Medien der Gegenwart ist eine vordringliche Aufgabe der Literatur- und Kulturwissenschaften. Die Gründe dafür sind vielfältig. Beispielsweise hat die verstärkte Bedeutung etwa von visuellen Medien zu neuen Formaten innerhalb der Literatur geführt, die die traditionellen Gattungsgrenzen überschreiten. Die Literatur macht die unterschiedlichen Medien, aber auch die zwischen Fakten und Fiktionen entstehenden Hybride in innovativer Weise fruchtbar, etwa für die literarische Konstruktion von Lebensläufen und Identitäten. Darüber hinaus situiert sich auch die Konstruktion von Geschichte und Gegenwart, von individueller und kollektiver Erinnerung sowie von sozialer, politischer und kultureller Wirklichkeit zunehmend in einem vielgestaltigen Zwischenraum von Fakten und Fiktionen.  Die ästhetische Gestaltung dieses Zwischenraums findet nicht nur in einem Medium statt, sondern vor allem auch im inter- und transmedialen sowie im interkulturellen Zusammenhang und Wechselspiel. Deshalb ist es notwendig, die Analysen von Fact-Fictions über den Bereich der Literatur auszuweiten, etwa auf den Raum theatraler Inszenierungen und auf die Film- und Videoproduktion.

Die dritte Arbeitstagung widmet sich insbesondere dem Thema „Zeitdiagnosen“ und untersucht diese im Zusammenhang mit literarischen Erinnerungskulturen in Literatur, Fernsehen und Film sowie unter Beachtung fiktionaler Aneignungsprozesse und der narrativen Anordnung von Fakten. Zeitdiagnosen im engeren Sinne einer Beobachtung und Konstruktion von Gegenwart, auch im Diskursraum von Autofiktionen, werden ein weiteres zentrales Thema sein. Die Analysen richten sich darüber hinaus auf das postdigitale Zeitalter genauso wie auf die Mischung von Fakten und Fiktionen in dystopischen und phantastischen Genres.  Die abschließende Sektion der Tagung untersucht unter dem Titel „Eigen und Fremd“ Texte der Gegenwartsliteratur unter intersektionalen Aspekten sowie hinsichtlich der Frage, wie Erfahrungen der Deterritorialisierung im bzw. als Zwischenraum von Fakten und Fiktionen ästhetisch zur Darstellung kommen.


Prof. Dr. Toni Tholen lehrt und forscht am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität Hildesheim. Foto: Nadine Marquardt.