Die aktuellen Proteste sind bereits partiell von rechtsextremen Akteuren unterwandert, das ist an der Präsenz entsprechender Personen und der Verwendung entsprechender Symbolik klar zu erkennen. Das Ausmaß ist regional sehr unterschiedlich. Allerdings sollte man die Bauernproteste nicht generell als „rechtsextrem unterwandert“ darstellen. Zum großen Teil kommt hier der aufgestaute Unmut einer gesellschaftlichen Gruppe auf die Straße, die ganz legitim ihre Interessen vertritt. Dabei handelt es sich allerdings um ein gesellschaftliches Milieu, das traditionell sehr konservativ eingestellt ist und somit Anschlusspunkte an rechte Ideologien hat. Das aktuell populistisch aufgeheizte politische Klima trägt zudem dazu bei, gesellschaftliche Konflikte zu radikalisieren. Hierbei spielen auch Politiker demokratischer Parteien eine wichtige Rolle, die die Rhetorik der AfD aufnehmen und keine klaren Grenzlinien ziehen – etwa bei der Blockade der Fähre von Habeck. Die Attacke wurde vermutlich von Rechtsextremen organisiert, aber Landwirte haben sich drangehängt. Eine klare Distanzierung einiger Politiker ließ lange auf sich warten beziehungsweise fehlt bis heute.
Bereits in der Corona-Pandemie wurde deutlich wie ein anfänglich heterogen aufgestellter Protest relativ schnell von rechten Akteuren gekapert wurde. Dies gehört ganz klar zum Repertoire der Mobilisierung rechter Akteure. Die Themen sind dabei flexibel – das kann der „Klimaterror“ sein, die Heizungsdebatte oder das Thema Migration.
Die Landvolk-Bewegung stammt aus den 1920er Jahren und hat eine klar völkische, antidemokratische und antisemitische Tradition - die Symbolik mit rotem Schwert und weißen Pflug auf schwarzem Grund erzeugt Assoziationen zur „Blut und Boden-Ideologie“ der Nazis und gehört auch in diesen Kontext. Der Bezug auf eine demokratiefeindliche Bauernbewegung ist kein Zufall, sondern spiegelt ideologische Fragmente und Narrative, die in Teilen einer konservativen Bauernschaft weiterleben auch wenn man versucht diese Symbolik als reines Zeichen des „Widerstandes“ zu labeln. Die Fahne war unter anderem auch bei den Protesten in Hildesheim zu sehen, aber auch in Berlin und bereits im Kontext anderer Bauernproteste.
Antisemitisches und völkisches Gedankengut gab es schon immer bis in die Mitte der Gesellschaft hinein, aber es wird zunehmend „normaler“ dieses Gedankengut auch öffentlich zu äußern. Diese Normalisierung wird aktiv von rechten Kräften betrieben. Das wurde in der Vergangenheit in verschiedenen Kontexten sichtbar. Die Akzeptanz mit erkennbar rechtsextremen Akteuren und rechtsextremen Parolen zu demonstrieren, ohne sich klar zu distanzieren, wurde schon in der Corona-Pandemie sichtbar. Auch wenn der Bauernpräsident die Distanzierung klar einfordert, geschieht sie eben nicht immer in der Praxis – es werden Fahnen des Landvolks, Galgen, Reichsfahnen und rechte Parolen auf den Demonstrationen toleriert und teilweise übernommen und somit weiter normalisiert. Man muss sich klar räumlich von rechten Demonstrierenden distanzieren und es öffentlich auch auf Bannern etc. kundtun, dass Rechtsextreme auf den Demos nichts verloren haben. Auch bei den Corona-Protesten geschah dies nicht. Symboliken wie Regenbögen oder „Nazis raus“ Plakate sieht man leider nicht.
Die Bauernproteste an sich sind keine Gefahr für die Demokratie, sondern Teil der Demokratie. Die Gefahr geht nicht von aufgebrachten Bauern und Landwirten aus, sondern von dezidiert antidemokratischen Kräften, die gesellschaftliche Konflikte und Krisensituationen gezielt nutzen, um zu mobilisieren, die Spaltungsnarrative säen, das politische System verachten und versuchen Interessenkonflikte in eine Ablehnung des demokratischen Systems umzumünzen. Hier müssen klare Grenzen gezogen werden: in der politische Rhetorik, im zivilisierten Umgang mit dem politischen Gegner und in einer klaren Abgrenzung von Themen und Personen, die dem rechtsextremen Spektrum zuzurechnen sind.
Dr. Christian Seipel ist Akademischer Rat am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim. Seine Forschungsschwerpunkte sind Politische Soziologie, Kriminalität und Methoden. Erst 2022 veröffentlichte er gemeinsam mit Prof. Dr. Susanne Rippl von der Technischen Universität Chemnitz die Monographie „Rechtspopulismus und Rechtsextremismus - Erscheinung, Erklärung, empirische Ergebnisse“.