„Die Politik ist zunehmend daran interessiert, ihr Handeln an wissenschaftlichen Erkenntnissen auszurichten.“ Dies zeige sich besonders deutlich im Rahmen der Corona- und der Klimakrise, so Maier. Gleichzeitig gibt es viele Wissenschaftler*innen, die für mehr Wirksamkeit ihrer Forschungsdisziplin in Politik und Gesellschaft eintreten. „In der Corona-Zeit konnte man beobachten, dass Politiker*innen unter Druck geraten, wissenschaftlichen Rezepten zu folgen, weil sie Angst vor Konsequenzen haben - die Menschen setzen auf die Expertise der Wissenschaftler*innen. Die Wissenschaft wird zu einer Letztinstanz, so wie früher die Religion eine Letztinstanz für die Menschen war“, sagt der Bildungshistoriker. „In einer Demokratie müssen aber die Wähler*innen – und in ihrem Auftrag – die politischen Akteure, das letzte Wort haben.“
Ein zentrales Feld der wissenschaftlichen Politikberatung ist der Bildungssektor. „Spätestens seit der ersten PISA-Studie Anfang der 2000er Jahre ist die empirische Bildungsforschung gefragter Gesprächspartner der Politik“, berichtet Maier. Doch schon in den späten 1950er Jahren etablierte sich im Kontext internationaler Organisationen wie der OEEC (= Vorläufer der für PISA verantwortlichen OECD) und der UNESCO ein ganz bestimmter Typus des Bildungsexperten: „Er war sowohl imstande, die Probleme des Bildungssystems zu identifizieren, als auch Lösungen für diese Probleme anzubieten.“ Zu ihnen gehörte auch der deutsche Bildungsforscher Friedrich Edding (1909-2002). In der Antrittsvorlesung unter dem Titel „,Verwissenschaftlichung der Politik?´ – Friedrich Eddings Projekt einer rationalen Bildungsgesellschaft“ wird Dr. Alexander Maier Eddings Projekt im Verhältnis zur Politik analysieren.
„Mit Wissenschaft wird oft eine Objektivität verbunden. Daraus wird geschlossen, dass sie die absolute Wahrheit abbildet.“ Aber Wissenschaft habe auch immer eine Perspektive, aus der gesprochen wird. „Wir haben Prämissen und sind in dem Sinne nicht komplett objektiv. Die Politik muss Wissenschaft ernst und wichtig nehmen, aber Entscheidungen im politischen Feld müssen von der demokratischen Gesellschaft und repräsentativ von den gewählten Politikerinnen und Politikern getroffen werden.“