Wir sehen einen Film zu Hause oder auf einem Festival, eine Theateraufführung auf der Bühne, ein Graffiti auf der Straße. „Was sind die grundlegenden Anliegen der künstlerischen Produktion? Ein Austausch mit anderen Ländern? Lernen über andere Kulturen? Oder gibt es vielleicht ein zunehmend wichtiges Motiv: die Erfahrung der Interkulturalität?“, merkt Prof. Dr. Wolfgang Schneider zum Auftakt des zweitägigen Forschungsateliers „Quels territoires pour les arts?" (4. und 5. Oktober 2013) an. Er ist Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls „Kulturpolitik für die Künste innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse” (Cultural Policy for the Arts in Development) an der Universität Hildesheim und erster Kulturpolitikprofessor in Deutschland. Das Zusammenkommen von Verbänden, Hochschulen und Nicht-Regierungsorganisationen sei „die Wurzel für neue künstlerische Formen, politische und soziale Modelle. Es ist ein Zusammenschluss für kulturelle Vielfalt“, sagt Dr. Gilles Suzanne von der Unversité d`Aix-Marseille. Universitätspräsident Prof. Dr. Wolfgang-Uwe Friedrich spricht über „The Art to think Europe” (Die Kunst, Europa zu denken) und greift auf einen dem Europapolitiker Jean Monnet zugeschriebenen Satz zurück: „Wenn ich noch einmal von vorne anfangen müsste, würde ich bei der Kultur beginnen“.
Nicht nur schön
Dass Künste nicht nur schön sind, sondern gesellschaftliche Relevanz haben, verdeutlichen Basma El-Husseiny aus Ägypten und Elyes Baccar aus Tunesien. Sie sprechen über Entwicklungen in Nordafrika seit dem „arabischen Frühling”. El-Husseiny gründete bereits vor etwa zehn Jahren mit „Al Mawred Al Thaqafy” in Kairo die erste regionale Nicht-Regierungsorganisation in der arabischen Region, die die kulturellen Ressourcen in den Mittelpunkt stellt und Künstler unterstützt.
„Die Freiheit der Künste braucht dringlich auch einen Schutzrahmen durch die öffentlichen Strukturen”, sagt der tunesische Filmemacher Elyes Baccar. Im Dokumentarfilm „Rouge Parole" erzählt er die Geschichte der tunesischen Revolution und begleitet die ersten Schritte im Jahr 2011, als Künstler, Arbeitslose und Bauern auf den Straßen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung vertraten. „Ein zentrales Anliegen der Künste muss es sein für ein weites Publikum zugänglich zu sein. Wir haben deshalb kürzlich begonnen in tunesischen Gefängnissen Filmvorführungen mit anschließenden Diskussionen zu organisieren”, sagt Baccar.
Die Hildesheimer Kulturpolitiker knüpfen Netzwerke mit Kulturschaffenden. „Wir tauschen uns über aktuelle kulturpolitische Entwicklungen aus. Im September 2013 haben wir beispielsweise in Kapstadt mit dem 'Arterial Network' und der Tshwane Universität aus Pretoria den Stand der kulturpolitischen Rahmengestaltung im Bereich Kulturelle Bildung in Südafrika debattiert. In Marseille geht es um Rahmenbedingungen für die Freiheit der Künste innerhalb gesellschaftspolitischer Entwicklungen und wir vergleichen französische, deutsche und weitere Perspektiven zum Mittelmeerraum”, erklärt Dr. Daniel Gad, Geschäftsführer des UNESCO-Lehrstuhls an der Uni Hildesheim das Anliegen der Forschungsateliers. Bereits im Juni 2013 kamen Kulturschaffende aus dem Kongo, Südafrika, China, Palästina und Deutschland am Rande des Festivals Theaterformen in Hannover zusammen und befassten sich unter dem Motto „Wieso eigentlich Kinshasa?" mit dem Sinn internationaler Kulturkooperationen. Ein nächstes Forschungsatelier ist für das Frühjahr 2014 mit Al Mawred und dem Goethe-Institut Kairo geplant. Dabei wird es um Fortbildungen von arabischen Experten mehrerer Länder beispielsweise zu Fragen der Kulturentwicklungsplanung gehen, sagt Gad.
Weltkongress der Kulturpolitikforschung in Hildesheim
Am Hildesheimer UNESCO-Lehrstuhl – dem jüngsten von nur zehn in Deutschland – untersuchen Forscher mit internationalen Partnern den Einfluss der Künste auf gesellschaftliche Entwicklungsprozesse. Vor allem in den Regionen im südlichen Afrika und Nordafrika werden Projekte in den Bereichen Kulturvermittlung, internationale künstlerische Koproduktionen und Kulturelle Bildung untersucht. Gemeinsame Ausbildungsprogramme im Kulturmanagement sollen entwickelt werden.
Das Institut für Kulturpolitik richtet 2014 die „8. International Conference on Cultural Policy Research” aus. Über 400 Teilnehmer werden auf dem zweijährlich stattfindenden Weltkongress der Kulturpolitikforschung vom 9. bis 12. September 2014 an der Universität Hildesheim erwartet. Schwerpunkthemen sind Kulturpolitik für Transformationsprozesse, Kulturpolitik für Künstler und Kulturpolitik für Partizipation.
Internationales Promotionskolleg Kulturvermittlung startet
Die Universität Hildesheim und die Université Aix-Marseille bieten seit 2001 gemeinsam den deutsch-französischen Doppelmaster Kulturvermittlung an. Absolventen sind in Konzerthäusern, Museen, Tonstudios, in der Politik und viele im deutsch-französischen Kulturaustausch tätig. Zum 1. Dezember 2013 richten die beiden Universitäten das internationale Promotionskolleg „Kulturvermittlung / Médiation Culturelle de l’Art“ mit insgesamt zehn Plätzen ein. Interessierte können sich mit einem zweisprachigen Exposé bewerben. Das Promotionsthema sollte Kulturvermittlung in Frankreich, in Deutschland, im deutsch-französischen Vergleich oder im Kontext des Mittelmeerraumes angesiedelt sein. Promotionsprojekte bei Prof. Dr. Wolfgang Schneider können zum Beispiel die Rolle des Künstlers in gesellschaftlichen und politischen Transformationsprozessen, Konzepte für Kulturelle Bildung und die Umsetzung der UNESCO-Konvention zur Vielfalt kultureller Ausdrucksformen untersuchen.
Die Promovenden erhalten ein Stipendium um maximal 18 Monate in der Partnerlandphase zu forschen (600 Euro monatlich) und nehmen an exklusiven Programmpunkten der kulturpolitischen Debatten des UNESCO Chairs teil. Die Sprachen des Promotionskollegs sind Deutsch und Französisch. Eine Bewerbung ist bis zum 15. Oktober 2013 möglich, der vollständige Universitätsabschluss kann bis zum 31. Dezember 2013 nachgereicht werden.
Kontakt zu den Forschern über die Pressestelle (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 0177.8605905).
„Kunst als Wegbereiter der Demokratie. Wie können Künstler in Afrika Einfluss auf die Gesellschaft, auf die Politik nehmen? Am UNESCO-Lehrstuhl in Hildesheim wird die Rolle von Kunst in politischen Entwicklungsprozessen erforscht. Deutsche Welle, 19.09.2013 | (Audio ab Min 19:30)