„Da haben sich zwei Zwangscharaktere gefunden.“ So fasst Doris Plöschberger, Lektorin beim Suhrkamp-Verlag, ihre Tätigkeit zusammen. Das kann bedeuten, sich bei der Textbesprechung den kulinarischen Gewohnheiten des Autors unterordnen zu müssen. Oder ein mit Schreibmaschine verfasstes Manuskript zu korrigieren. Der Lektor muss nicht nur alle Formen des Lesens beherrschen, die Arbeit mit dem Schriftsteller verlangt ihm auch einiges an Frustrationstoleranz und Diplomatie ab. Am Schluss steht jedoch, zumindest im Idealfall, ein Buch, an dessen Produktion er maßgeblich beteiligt war.
Doch wie maßgeblich? Immer wieder wird der Vorwurf laut, Lektoren seien eigentlich „Ghostwriter“ der Autoren – wie bei Gordon Lish, der mit seinen rigorosen Streichungen in entscheidender Weise zur Formung von Raymond Carvers Erzählton beitrug. Die Gefahr besteht, dass der Lektor wegen seines Perfektionismus in die Falle der „Selbstherrlichkeit“ tappt. So formuliert es Anne-Kathrin Heier, die auch Schriftstellerin ist. „Ich würde das anders machen“, sagt sie. Das ist ihr Leitsatz und sie bringt ihre Doppelrolle damit auf einen Punkt. Doch sie ist skeptisch, ob persönliche Vorlieben nicht diejenigen Texte „kaltmachen“, deren Bedeutungsvielfalt erhalten bleiben soll.
Nicht nur das klassische Korrigieren, sondern auch andere Tätigkeiten gehören zu diesem Beruf. Der Lektor tritt als „Anwalt, Vermittler und Fürsprecher“ der Literatur und damit des Autors auf. Aber er ist auch eine Art „Mini-Verleger“. So beschreibt Petra Gropp ihre abwechslungsreichen Aufgaben. In Redaktionssitzungen bespricht man nicht nur Cover des Buches und die Platzierung im Programm, sondern überlegt auch, wie der Verlag seine Arbeit nach außen hin darstellen kann. Petra Gropp, die beim Fischer-Verlag arbeitet, hebt dabei die Plattform „Hundertvierzehn“ hervor, an der sie beteiligt ist. Damit berücksichtigen die Verlage eine aktuelle Entwicklung: Leser wollen sich nicht mehr hinter ihrem Buch verschanzen, sondern wissen, wer und was hinter dem steckt, was sie gerade gelesen haben.
Auch angehende Autoren möchten indes einen tieferen Einblick in die Arbeit derjenigen erhalten, denen sie ihre Manuskripte zur Begutachtung anvertrauen. Deshalb besteht, so formuliert es Klaus Siblewski vom Luchterhand-Verlag, ein grundlegendes „Archivierungsbedürfnis“. Zwar fördern die Schreibschulen in Hildesheim und Leipzig die Ausbildung eines ästhetischen Werkzeugkastens. Eine gezielte Ausbildung zum Lektor gibt es allerdings nicht. Denn Textbesprechungen und Seminare alleine bereiten nicht auf die Herausforderungen dieses Berufes vor. Die Vortragenden richten ihren Fokus daher immer wieder auf methodische Problemstellungen: Wie lässt sich die Chronologie eines Romans am besten veranschaulichen – durch Tabellen, Diagramme oder will man gar nicht erst darüber nachdenken? Woher weiß ein Lektor, ob eine Figur in Kapitel drei braune, zehn Kapitel später aber blonde Haare hat?
Ein Studium könnte zumindest grundlegende Fähigkeiten zur genaueren Arbeit an Manuskripten vermitteln. Und es ist auch in Planung: Universitätspräsident Professor Wolfgang-Uwe Friedrich kündigt in seiner Eröffnungsrede an, den Kulturcampus weiter zu stärken. Damit soll das „Wunder von Hildesheim“ (Professor Hanns-Josef Ortheil) seine Fortsetzung finden: Schreibkultur lässt sich nur verbessern, indem man nicht nur am Schreiben selbst, sondern auch an dessen Vermittlung und Verbesserung arbeitet.
„Die Arbeit der Lektoren“, Zehn Jahre Lektorenkonferenz in Hildesheim