Da stehen sie nebeneinander und man sucht verzweifelt nach Gemeinsamkeiten. Eine blauweiße Pilgerflasche aus Porzellan, 18. Jahrhundert. Holzmasken der Yup’ik aus Alaska, 19. Jahrhundert. Das „Zauberbuch pustaha" aus Holz und Rindenbast aus Indonesien, Sumatra, frühes 20. Jahrhundert. Zeichnungen ergänzen schriftliche Aufzeichnungen. Ein Figurengefäß aus Peru, 100 v. Chr. Die Keramik stellt einen Fischer dar, der ein Fischnetz auf dem Rücken trägt. Daneben das Zustandsprotokoll, der Leser erfährt von „Oberflächenabplatzungen am Kopf und seitlich", von einem „kleinem Loch mit abgeplatzer Bemalung" oben auf dem Kopf.
Wohin wandern die Dinge nach dem Ende einer Ausstellung und wo lagern Sammlungen, die noch nie in einer Museumspräsentation zu sehen waren? Nach welchen Kritierien werden Objekte aufbewahrt und ausgestellt? Die Ausstellung „Gegenwelten: Die unsichtbare Seite der Dinge“ im Roemer- und Pelizaeus-Museum (RPM) befasst sich mit einem verborgenen Ort, seiner Vielfalt und seinen Regeln: dem Depot. Die Kuratoren Prof. Dr. Viola Vahrson vom Institut für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft der Universität Hildesheim und Dr. Ulrich Menter, Leiter der Ethnologischen Sammlung des RPM, haben die Ausstellung in zwei Jahren entwickelt. Und dabei Studierende der Kulturwissenschaften von Beginn an eingebunden. So sind zudem spannende Filme über die Restaurierungsarbeit und ein Trailer entstanden.
Das Leben im Depot: registrieren, restaurieren, schützen
Das Depot ist das Herz des Museums, sagen die Kuratoren. Hier führen die Objekte ein streng geregeltes Leben jenseits ihrer „offiziellen“ musealen Präsentation und Deutung: mit Sammlungsnamen, Inventarnummern und Standortbezeichnungen. Hier wird das Objekt für die Ewigkeit gelagert. Die Ordnung der Lagerung wirkt auf die Ordnung der Dinge wie ein Wirbelsturm, da lagern Objekte aus unterschiedlichen Ländern und Materialien nebeneinander. Registrieren, schützen, erforschen, konservieren, restaurieren, transportieren, fotografieren, einordnen, vermitteln – diese Stationen sind für Objekte im Museumsbetrieb alltäglich.
Und nun erhalten Besucher erstmals Einblicke in die tägliche Arbeit von Museen. Dabei wird deutlich, welche Anforderungen an den Schutz und den Erhalt von Objekten gestellt werden und welche Möglichkeiten und Grenzen die restauratorische Arbeit hat. Etwa in einem Film über die Restauratorin Dorothea Lindemann und den Kurator Ulrich Menter. Die Studentinnen Hannah Chodura und Melanie Fahden zeigen anhand der „Figur eines Europäers" (Film) wie beschädigt manche Objekte sind und wo Grenzen der Instandsetzung liegen. Die Tonfigur stammt aus Mittelamerika und ist datiert auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heute trägt sie die Inventarnummer 2072. Der Tropenhelm wurde durch früheren Mottenbefall stark beschädigt; die Figur wurde konservatorisch bearbeitet und ist, gemeinsam mit dem Film, in der Schau zu sehen.
Kunstvermittlung: Stiftungen fördern Juniorprofessur
Gefördert werden die Juniorprofessur im Bereich Kunstvermittlung und die Ausstellung unter anderem durch die Niedersächsische Sparkassenstiftung. „Wir wollen Kunstvermittlung auf hohem wissenschaftlichen Niveau fördern; Wege erforschen und in die Praxis überführen. Die Studierenden nehmen die Erfahrungen aus dem Ausstellungsprojekt mit in das Berufsleben“, verdeutlichte Dr. Sabine Schormann, Stiftungsdirektorin der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, während der Ausstellungseröffnung am Freitagabend. Universitätspräsident Prof. Dr. Wolfgang-Uwe Friedrich dankte den Förderern, der Sparkasse Hildesheim, der VGH-Stiftung, der Niedersächsischen Sparkassenstiftung. „Ohne das große persönliche Engagement von Frau Dr. Schormann gäbe es keine Professur für Kulturvermittlung an der Stiftungsuniversität." Friedrich wies auf das Potential von Kooperationen in Hildesheim hin: Neben dem Museum von internationalem Rang und den Weltkulturerbe-Stätten ist in der Stadt das Center for World Music der Universität Hildesheim verortet, ein Forschungszentrum, das sich mit den Musikkulturen der Welt befasst und zur Zeit ein Projekt in Teheran/Iran bearbeitet.
Ein halbes Jahr zuvor hatten Universität und RPM im Museum einen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Prof. Dr. Regine Schulz, Museumsdirektorin, nannte dieses Ausstellungsprojekt „etwas ganz Besonderes" und verwies auf die Impulse der jungen, kreativen Studierenden. „Dieses Engagement kann man nicht hoch genug einschätzen", so Schulz, die nun auf Besucher aus dem Umfeld der Universität hofft. „Unsere Ausstellungen können für Menschen wichtig sein, wenn sie sie annehmen."
Wer Objekte zusammenträgt: Die Sammler
Die Ausstellung zeichnet auch nach, wie die Dinge in das Hildesheimer Museum gelangt sind. Sechs ausgewählte Biografien von Sammlern erzählen, wer die Sammlungen angelegt und Objekte für das Museum erworben hat, sagt Viola Vahrson. So nahm etwa Ferdinand Roemer, der Bruder des Museumsgründers Hermann Roemer, 1847 an einer Expedition in das Gebiet der Komantschen am Colorado River teil, bei der ein Friedensvertrag zwischen den Komantschen und deutschen Siedlern unterzeichnet wurde. Die wenigen Objekte von den Komantschen, die sich heute in der ethnologischen Sammlung befinden, gehen wohl auf dieses Zusammentreffen zurück.
Um Besucher in die Ausstellung zu locken, haben die Studierenden ein Vermittlungsprogramm entwickelt und beziehen ausgewählte Orte im Stadtkern von Hildesheim ein. Der Einsatz von QR-Codes ermöglicht das Abrufen zusätzlicher Informationen, die über den klassischen Ausstellungstext hinausgehen, wie etwa Audio-Dateien und Videos.
Die Ausstellung „Gegenwelten: Die unsichtbare Seite der Dinge" läuft vom 16. November 2013 bis 15. Juni 2014 (Achtung: verlängert bis Ende Juni!). Die Kuratoren bieten öffentliche Führungen an, für Studierende gibt es mit einer 5-er-Karte stark ermäßigten Eintritt. Für Studierende beträgt der Eintritt nur 5 Euro (Sonderpreis). Die Schau wird gefördert durch das Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur, die Niedersächsische Sparkassenstiftung, die Sparkasse Hildesheim, die VGH-Stiftung, Friedrich Weinhagen Stiftung, das Herderkolleg und den Museumsverein. Wer mehr über die Gegenwelten erfahren möchte, findet auf den Seiten des internationalen Forschungs- und Ausstellungsprojekts weitere Informationen (www.gegenwelten.eu).