Bildung im Verborgenen – Interdisziplinäre Workshop-Reihe zu kulturellen Praktiken im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück

Mittwoch, 31. März 2021 um 11:27 Uhr

„Paradoxe Bildung – Widerstand – Überleben“ heißt ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt der Wissenschaftlerinnen Prof. Dr. Meike S. Baader und Dr. Wiebke Hiemesch. Die Wissenschaftlerinnen arbeiten mit der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und der Universitätsbibliothek Lund zusammen. Mit einer nun angelaufenen Workshop-Reihe zu diesem Projekt soll der interdisziplinäre Austausch von Wissenschaftler*innen und Expert*innen gefördert werden.

Das Projekt mit dem Titelzusatz „Der geheime Unterricht und Kinderzeichnungen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück“ widmet sich einem versteckt organisierten Unterrichtsangebot sowie den kulturellen Praktiken von Kindern. Quellengrundlage sind im Lager hergestellte erhaltene Unterrichtshefte sowie Zeichnungen der in Polen geborenen Krystyna Zaorska. Die damals 14-Jährige wurde im Zuge der Straßenrazzien im Warschauer Aufstand 1944 verhaftet und gemeinsam mit ihrer Mutter in das Frauenlager Ravensbrück verschleppt.

 „Einige der Zeichnungen von Krystyna Zaorska entstanden in Gruppengesprächen von Kindern und jungen Mädchen im Lager“, sagt Dr. Wiebke Hiemesch, Post-Doc in dem Projekt. „Sie zeigen Szenen von Verfolgung und des Lagers, aber auch andere Motive wie Tänzer*innen, religiöse Motive und Portraits. Gezeichnet wurde im Verborgenen, denn jede kulturelle Aktivität war strengstens verboten und die Bedingungen lebensbedrohlich. Die Zeichnungen sind wertvolle Quellen, wenn Forschung sich der Situation der Kinder und ihrem Erleben nähern möchte. Als ästhetische und bildliche Produkte stellen sie Wissenschaftler*innen aber vor besondere Herausforderungen und es gibt bisher kaum entwickelte Methoden zur Auswertung von Kinderzeichnungen als historische Quelle.“

Der erziehungswissenschaftliche Zugang von Prof. Dr. Meike S. Baader und Dr. Wiebke Hiemesch nimmt die Quellenbestände unter dem Aspekt der Kinderkultur, der Bildungsprozesse und der Transgenerationalität in den Blick. Damit wird das Wissen über widerständige Praktiken unter den Extrembedingungen erweitert und für eine Kindheits- und Bildungsgeschichte analysiert. Methodisch arbeiten die Hildesheimer Wissenschaftlerinnen mit praxistheoretischen Zugängen der historischen Kultur- und Sozialwissenschaften.

Dem Projekt liegt eine dezidiert erziehungswissenschaftliche, bildungshistorische Frage zugrunde, zugleich hat es klare interdisziplinäre Bezüge zur Geschichtswissenschaft, Kindheitssoziologie, Kunstwissenschaft sowie zur Traumaforschung. Zudem zielt es darauf, die Methoden zur Auswertung von Kulturproduktionen im Allgemeinen und von (Kinder-)Zeichnungen im Besonderen weiterzuentwickeln.

„Mit dem Auftakt-Workshop haben wir Wissenschaftler*innen miteinander bekannt gemacht, die in den nächsten Monaten gemeinsam arbeiten“, sagt Prof. Dr. Meike S. Baader, Leiterin des Projektes. „Zudem haben wir Einblicke in die Fragestellungen des Projektes gegeben und die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück hat ihre Forschungen vorgestellt. Ein zweiter Workshop wird in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück stattfinden, wo wir auch die Zeichnungen im Original sichten. Gemeinsam treten wir in den nächsten Monaten in einen interdisziplinären Austausch darüber, wie die Zeichnungen von Krystyna Zaorska unter bildungshistorischer Perspektive ausgewertet werden können. Mit dabei ist auch die Hildesheimer Kollegin Prof. Dr. Bettina Uhlig, die die Professur für Kunstpädagogik und Didaktik der Bildenden Kunst inne hat. Wir freuen uns auf die spannende Zusammenarbeit.“

Eingeladen zu der Workshop-Reihe mit weiteren geplanten Terminen im Juli und September sind Expert*innen aus dem Feld der Wissenschaft, der Gedenkstätten und Archive sowie der Traumatherapie. Die vertretenen Fachdisziplinen reichen von Kunstgeschichte und Kunstdidaktik über Historische Bildungsforschung, Holocaust Studies, Literaturwissenschaften und Gender Studies, Traumaforschung und Geschichtswissenschaften. Zudem sollen auch Nachwuchswissenschaftler*innen im Rahmen der projektspezifischen Workshops an das Thema herangeführt werden.

Lesen Sie hier mehr über das Projekt „Paradoxe Bildung – Widerstand – Überleben“


Krystyna Zaorska zu Gast beim 60. Jahrestag der Befreiung des Frauen-KZ Ravensbrück, April 2005. Quelle: Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Fotograf: Heinz Heuschkel, Berlin

Krystyna Zaorska, ohne Titel, gekennzeichnet mit "Fenneberg" (gemeint ist Venneberg in Westfalen, wohin Zaorska im Frühjahr 1945 mit ihrer Mutter deportiert wurde). Quelle: Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

Krystyna Zaorska, ohne Titel, vermutlich im KZ Ravensbrück 1945 entstanden. Quelle: Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

Krystyna Zaorska, ohne Titel, gekennzeichnet mit "Ravensbrück", 1945. Quelle: Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

Prof. Dr. Meike Baader leitet das Forschungsprojekt „ Paradoxe Bildung – Widerstand – Überleben". Foto: Daniel Kunzfeld

Dr. Wiebke Hiemesch hat bereits im Rahmen ihrer Doktorarbeit Interviews mit Überlebenden des Lagers Ravensbrück geführt beziehungsweise ausgewertet, darunter auch eines mit Krystyna Zaorska. Foto: Isa Lange