Beratungslehrerweiterbildung an der Universität Hildesheim

Samstag, 27. März 2004 um 12:27 Uhr

Ein Rückblick von PD Dr. Norbert Grewe, Leiter der Niedersächsischen Beratungslehrerweiterbildung

Unter der Leitung und wissenschaftlichen Begleitung der Universität Hildesheim werden seit September 1978 in Niedersachsen Beratungslehrerinnen und Beratungslehrer ausgebildet und in den Schulen eingesetzt. In dieser Zeit haben ca.3300 Lehrkräfte die zweijährige Weiterbildung erfolgreich mit einer Prüfung abgeschlossen. Ca. 1800 Beratungslehrerinnen und Be­ra­tungslehrer arbeiten zurzeit in dieser Funktion an ihrer Schule und stehen im Rahmen ihrer Verlagerungsstunden als Ansprechpartner für Schüler/innen, Eltern und Kolleg/innen zur Verfügung.

Als kompetente Ansprechpartner vor Ort gehören sie heute in Niedersachsen gemeinsam mit der Schulpsy­cho­logie zum festen Bestandteil des schulischen Unterstützungssystems. Eine größere Zahl von Untersuchungen der Universität Hildesheim konnte belegen, dass dieses Unterstützungssystem von vielen Personen ausgiebig genutzt wird, um Probleme zu lösen und präventive Projekte in den Schulen zu initiieren.

Dieses erfreuliche Ergebnis war vor 25 Jahren nicht vorherzusehen. Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht beispielhaft, wie die Kompetenzen einer Universität genutzt werden können, um innovativen Ansätzen in der Praxis zum Erfolg zu verhelfen. Nach einer offenen Ausschreibung des Kultusministeriums, an der sich zahlreiche Nds. Hochschulen beteiligten, erhielt die Universität Hildesheim 1978 in der Person von Prof. Dr. Lüttge den Zuschlag für dieses Ko­operationsprojekt zwischen einer Hochschule und der schulischen Praxis.

Die Ausgangssituation gestaltete sich zunächst sehr schwierig. Obwohl es 1973 eindeutige Empfehlungen des Bildungsrats und der Kultusministerkonferenz für den Einsatz von Beratungslehrkräften gab, blieb die Umsetzung in der Fachdiskussion zunächst umstritten. So warnte z.B. Prof. Dr. Fatke 1976 in einem Artikel "Placebo mit Nebenwirkungen" vor negativen Folgen für das Leh­rer-Schüler-Verhältnis und vor einem Ablenken von notwendigen Bildungsreformen. Zudem bezweifelten viele Vertreter der Schulaufsicht die Wirksamkeit dieser neuen Beraterrolle. Hinzu kam, dass 1978 weder eine Aufgabenbeschreibung für die Arbeit in den Schulen noch ein Curriculum für die Wei­terbildung vorlagen.

In dieser Situation bewährte sich die besondere Ko­operationsstruktur, die in dieser Form zum ersten Mal in der Bundesrepublik zur Entwicklung einer schulischen Innovation erprobt wurde. Das Institut für Psy­chologie mit seinen Lehr- und Forschungskom­pe­ten­zen entwarf ein Curriculum und führte parallel empirische Untersuchungen im Umfeld der schulischen Beratung durch, um das Aufgabenfeld näher zu präzisieren. Kompetente Kursleitungen aus den Reihen der Schulpsychologie setzten das Curriculum um und beteiligten sich an der Integration der neuen Rolle in ein effektives Gesamtsystem schulischer Beratung. Das Kultusministerium und die Schulbehörden erarbeiteten in Kooperation dazu die juristischen Rahmenbedingungen für den Einsatz in den Schulen.

Ermöglicht wurde diese flexible Zusammenarbeit u.a. durch die Finanzhoheit der Universität über das vom MK zur Verfügung gestellte Gesamtbudget, so dass je nach Anforderung neben der Kursdurchführung auch Projekttagungen, Kursleiterfortbildungen, wiss. Untersuchungen und verschiedene Formen der Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern finanziert werden konnten.

Den Durchbruch der schwierigen Imple­men­ta­tionsphase der Beratungslehrerfunktion dokumentierte der erste bundesweite Beratungslehrerkongress, der 1989 in der Universität Hildesheim ausgerichtet wurde. Unter der Schirmherrschaft des damaligen Kultusministers nahmen ca. 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und 100 Referenten aus der Bundesrepublik und dem deutschsprachigen Ausland an dem dreitägigen Kongress teil. Seither gilt das niedersächsische Modell der Weiterbildung als bundesweit vorbildlich und wurde von mehreren Bundesländern übernommen.

Der aktuelle Stand der Begleitforschung dokumentiert heute das breite Spektrum der Beratungslehrertätigkeit. Den Hauptschwerpunkt bildet nach wie vor die Einzelfallarbeit bei Lern- und Verhaltensschwierigkeiten. Nicht nur Kolleg/innen wenden sich in solchen Fällen an die Beratungslehrkraft, sondern in erfreulichem Ausmaß kommen auch Schülerinnen und Schüler und Eltern direkt in die Sprechstunde, um sich kompetent beraten zu lassen. Neben der Einzelfallarbeit gehören die Schullaufbahnberatung und die Arbeit mit Schülergruppen zum festen Bestandteil der Arbeit von Beratungslehrkräften. Auch bei der Gestaltung präventiver Maßnahmen, wie z.B. beim Einsatz von Streitschlichtern an den Schulen oder der Einrichtung von sozialen Trainings und bei der Erarbeitung eines Schulprofils, bringen Beratungslehrerinnen und Beratungslehrer ihre Kompetenzen ein und leisten eine wichtige Entwicklungsarbeit an ihren Schulen.

Die Weiterentwicklung dieser Unterstützungsfunktion bleibt dennoch eine wichtige Aufgabe für die Zukunft, die das Schulsystem ohne universitäre Begleitung nicht leisten kann. Die aktuellen Veränderungen in der Schulstruktur des Landes, Reformen im Rahmen der Schulentwicklung und neue Erkenntnisse in der Forschung erfordern eine kontinuierliche Anpassung der Ausbildungsinhalte und der Rahmenbedingungen der Tätigkeit an die veränderte Situation, die zentral geleistet und evaluiert werden muss.

Die Universität Hildesheim entwickelte in diesem Bereich einen Forschungsschwerpunkt, der in Kooperation mit Wissenschaftlern aus anderen Ländern stetig ausgebaut wurde.

Zu verschiedenen Fragen der Beratung in der Schule sind inzwischen 6 Dissertationen, zahlreiche Diplomarbeiten und kleinere Untersuchungen entstanden, die Beratungsanliegen von Lehrern, Schulleitern, Eltern und Schülern, die Tätigkeitsbereiche ausgebildeter Bera­tungs­lehrkräfte und die Effizienz der Weiterbildung untersucht haben.

In diesem Zusammenhang konnten darüber hinaus nacheinander zwei Drittmittelprojekte eingeworben werden, die den Forschungsstandort stärken und die Kompetenz der Universität Hildesheim im Bereich der Entwicklung innovativer Lehrerfortbildungsmaßnahmen belegen.