Barrierefreie Kommunikation: Interview mit Sergio Andrés Hernández Garrido

Montag, 15. Oktober 2018 um 07:44 Uhr

Sergio Andrés Hernández Garrido befasst sich in seiner Forschung mit dem Abbau von Kommunikationsbarrieren. Dafür erhält der junge Medienlinguist den Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Der 24-Jährige schließt gerade sein Masterstudium „Medientext und Medienübersetzung“ ab.

Zum Semesterstart wurde der Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes verliehen. Den mit 1.000 Euro dotierten DAAD-Preis erhält der Hildesheimer Übersetzungswissenschaftler Sergio Andrés Hernández Garrido. Der 24-Jährige schließt gerade sein Masterstudium „Medientext und Medienübersetzung“ ab.

Der diesjährige DAAD-Preisträger Sergio Andrés Hernández Garrido gehört zu einem Team um Professorin Christiane Maaß, die sich am Bühler-Campus der Universität Hildesheim mit dem Abbau von Kommunikationsbarrieren befassen. Die Medienlinguisten und Medienlinguistinnen übersetzen zum Beispiel Nachrichten, juristische Texte oder sogar Märchen in Leichte Sprache.

Die Forschung und Lehre im Bereich „Barrierefreie Kommunikation“ an der Universität Hildesheim wächst, dies ist eine der aktuellen Entwicklungen:

Abbau von Kommunikationsbarrieren als gesellschaftliche Aufgabe

Masterstudiengang „Barrierefreie Kommunikation“ startet

Erstmals starten im Oktober 2018 Studentinnen und Studenten an der Universität Hildesheim im viersemestrigen Masterstudiengang „Barrierefreie Kommunikation“. Zu den Studieninhalten zählen neben den Grundlagen der barrierefreien Kommunikation auch barrierefreie Rechts- und Online-Kommunikation, Leichte Sprache, Schriftdolmetschen und Gebärdensprache. Studieninteressierte können sich um einen Masterstudienplatz bewerben, die nächste Gelegenheit zur Einschreibung ist zum Sommersemester 2019.

Interview mit dem Übersetzungswissenschaftler und Medienlinguisten Sergio Andrés Hernández Garrido

Herr Hernández Garrido, Sie studieren in Hildesheim Medientext und Medienübersetzung.

Das Hildesheimer Masterstudium ist einzigartig in Deutschland. Ich habe mir vor meiner Bewerbung die Stadt und Universität in Hildesheim angesehen – da dachte ich, dieser Ort ist ein guter Ort für mich.

Medientext und Medienübersetzung, das klingt etwas abstrakt – was steckt dahinter?

Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit der audiovisuellen Übersetzung von Texten, wir untertiteln zum Beispiel Filme. Ich spezialisiere mich in Hildesheim auf die barrierefreie Kommunikation, beschäftige mich mit Audiodeskription – Bilder übersetze ich in Wörter, damit Personen mit einer Sehbehinderung auch audiovisuelle Medien konsumieren können –, Untertitelung und Leichter Sprache. Das hat mich vom ersten Moment an interessiert. Ich kann mit meiner Arbeit einen Beitrag in der Gesellschaft leisten.

Sie schreiben gerade ihre Masterarbeit.

Mein Ziel ist es, die Leichte Sprache aus einer internationalen Perspektive zu untersuchen. In Deutschland ist schon vieles geschafft worden im Bereich der Inklusion, auch wenn der Weg weiter lang ist. Wenn ich in mein Heimatland Kolumbien blicke, dann wurde praktisch noch nichts gemacht, um Kommunikationsbarrieren abzubauen. Ich möchte die Leichte Sprache nach Kolumbien bringen, wo es bislang kaum Bemühungen in der barrierefreien Kommunikation gibt. In Kolumbien möchte ich die Leichte Sprache aufbauen, um die Partizipation von Menschen mit Leseeinschränkungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu ermöglichen. Gemeinsam mit kolumbianischen Forschungseinrichtungen möchte ich ein Regelwerk für die Übersetzung von juristisch-administrativer Kommunikation in Leichtes Spanisch entwickeln. Die Grundlagen hierfür erarbeite ich in meiner Masterarbeit und ich plane ein Promotionsprojekt an der Universität Hildesheim. Ich habe erste Kontakte zu Universitäten in Barranquilla geknüpft.

Sie übersetzen in der Forschungsstelle Fachtexte in einfach geschriebene Texte. Was ist die Leichte Sprache?

Die Leichte Sprache ist eine Reduktionsvarietät des Deutschen. Die Sprache wendet sich vor allem an Menschen mit geistiger Behinderung, aber auch an andere Menschen mit Leseeinschränkung. Also: Die Texte werden so reduziert, dass sie verständlicher sind, so dass die Menschen eigenständig die Texte verstehen können, was ihnen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit ermöglicht. Wir nehmen die Originaltexte und formulieren sie in Hauptsätze um, auch vermeiden wir zum Beispiel die Verwendung von Pronomina. Wir versuchen alles so simpel und klar darzustellen, so dass sich alle alleine informieren können. Die Texte in Leichter Sprache sind ein Zusatzangebot und eine Hilfe zum Originaltext, sie ersetzen das Original nicht. Die Studien von Professorin Christiane Maaß zeigen, dass nicht nur Menschen mit geistiger Behinderung davon profitieren, sondern auch Sprachlerner oder Menschen mit Leseschwierigkeiten.

Wie arbeiten Sie in der Forschungsstelle?

Ich übersetze Fachtexte, wir arbeiten mit Kultureinrichtungen, Medien wie dem NDR und WDR und Behörden zusammen. Ich bin auch in der Planung von Tagungen und Projekten beteiligt.

Was macht Ihnen Freude in der barrierefreien Kommunikation? Was ist Ihr Antrieb?

Meine Motivation steigt ganz ehrlich jeden Tag durch meine Erfahrungen in der Forschungsstelle. Gerade habe ich wieder mit einer Prüfgruppe aus Braunschweig unsere Texte unter die Lupe genommen. Die Menschen mit Behinderung geben mir Rückmeldungen zur Verständlichkeit unserer Übersetzungen und machen Verbesserungsvorschläge, sie sind sehr dankbar für die Arbeit, die wir in Hildesheim leisten. Wenn man sieht, dass die Arbeit, die man leistet, einen Sinn hat, ist man motiviert, weiterzumachen.

Sie erhalten den DAAD-Preis.

Die Auszeichnung vom Deutschen Akademischen Austauschdienst ist eine riesige Motivation für mich, mich weiter zu bemühen. Der DAAD war schon für meinen Vater als junger Wissenschaftler sehr wichtig, er konnte promovieren – heute ist er Mathematikprofessor in Kolumbien. Meine Familie und ich haben Deutschland vieles zu verdanken. Ich habe die Hälfte meines Lebens in Deutschland verbracht und hatte Chancen, mich zu bilden. Ich möchte durch meine Arbeit in der barrierefreien Kommunikation der Gesellschaft etwas zurückgeben. Ich möchte mit dieser Kraft auch zeigen, was in den Menschen in Kolumbien steckt, all jenen, die sich jeden Tag bemühen, das Land zu einem besseren Land zu machen. Mein Traum ist es, all die Kompetenzen, die ich in Deutschland, in Hildesheim, erworben habe, in Kolumbien umsetzen zu können, um dort Kommunikationsbarrieren abzubauen und Teilhabe von Menschen an der Gesellschaft zu fördern. Ich habe das Gefühl, dass das was ich lerne, einen Sinn hat.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Zur Person

Sergio Andrés Hernández Garrido, 24 Jahre, geboren in Baranquilla in Kolumbien. Als kleines Kind hat er fünf Jahre mit seiner Familie in Deutschland gelebt, da sein Vater als DAAD-Stipendiat in Deutschland geforscht hat. Die Familie kehrte nach Kolumbien zurück, wo Sergio Andrés Hernández Garrido sein Abitur absolvierte. Es folgte ein Bachelorstudium der Übersetzungswissenschaft in Mainz.

Seit 2016 studiert er im Masterstudiengang „Medientext und Medienübersetzung“ in Hildesheim und hat sich dort auf die barrierefreie Kommunikation spezialisiert. Er arbeitet als studentische Hilfskraft in der Forschungsstelle Leichte Sprache, nachdem er dort zunächst ein sechsmonatiges Praktikum absolviert hat. Im Masterstudium hat der junge Wissenschaftler bereits die Übung zur Vorlesung „Übersetzungswissenschaft“ unterrichtet. Spanisch ist seine Muttersprache.

Seit Oktober ist er für die Forschungsstelle Leichte Sprache auch im Projekt „Easy Access for Social Inclusion Training“ (EASIT) tätig, einem europäischen Forschungsprojekt unter Leitung der Universität Barcelona, an dem neben der Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim weitere Forschungseinrichtungen aus Spanien, Italien, Slowenien, Schweden und Deutschland mitwirken. Die internationale Arbeitsgruppe untersucht die Möglichkeiten, wie audiovisuelle Medien in Leichter Sprache aufbereitet werden können und wie dieses Wissen in die Ausbildung von Medienübersetzern eingebracht werden kann.

Kontakt

Wer sich für den Bereich „Barrierefreie Kommunikation“ interessiert erreicht Prof. Dr. Christiane Maaß, die Leiterin der Forschungsstelle Leichte Sprache, unter christiane.maass@uni-hildesheim.de.

Konferenz „Barrierefreie Kommunikation“

Die Universität Hildesheim richtet die Konferenz „Barrierefreie Kommunikation“ vom 18. bis 20. Oktober 2018 in Hildesheim aus. Es werden Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft anwesend sein, unter anderem die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Petra Wontorra, sowie renommierte Fachkolleginnen und Fachkollegen aus dem In- und Ausland. Die Tagung ist barrierefrei und die Beiträge werden unter anderem in Gebärdensprache verdolmetscht. Auch Schriftdolmetscher sind im Einsatz, um Menschen mit Hörschädigung die Teilnahme zu ermöglichen . Das Team um Professorin Christiane Maaß stellt auf der Tagung das neue 800-seitige Handbuch „Barrierefreie Kommunikation“ vor. Insgesamt werden etwa 70 Konferenzteilnehmer aus dem In- und Ausland in Hildesheim erwartet.

Programm der Konferenz: Barrierefreie Kommunikation

Duden-Preis für die beste Fachübersetzung in Leichte Sprache

Die „Forschungsstelle Leichte Sprache“ der Universität Hildesheim hat zusammen mit der Duden-Redaktion den Preis für die beste Fachübersetzung in Leichte Sprache ausgeschrieben. Der Preis ist mit 1500 Euro dotiert und wird im Oktober 2018 erstmals auf der Tagung „Barrierefreie Kommunikation“ in Hildesheim übergeben. Preisträger ist Mark Harenberg vom NDR. Anwesend sind Vertreterinnen und Vertreter der Duden-Redaktion und von der Lebenshilfe Braunschweig, die neben der Forschungsstelle Leichte Sprache zur Jury gehören.


Der Übersetzungswissenschaftler Sergio Andrés Hernández Garrido studiert seit 2016 im Masterstudiengang „Medientext und Medienübersetzung“ in Hildesheim und spezialisiert sich auf die barrierefreie Kommunikation. Der 24-Jährige arbeitet als studentische Hilfskraft in der Forschungsstelle Leichte Sprache. Für seine herausragenden Leistungen wird er mit dem Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ausgezeichnet. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim

Der Übersetzungswissenschaftler Sergio Andrés Hernández Garrido studiert seit 2016 im Masterstudiengang „Medientext und Medienübersetzung“ in Hildesheim und spezialisiert sich auf die barrierefreie Kommunikation. Der 24-Jährige arbeitet als studentische Hilfskraft in der Forschungsstelle Leichte Sprache. Für seine herausragenden Leistungen wird er mit dem Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ausgezeichnet. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim