Die Universität Hildesheim ist heute international sehr gut aufgestellt. 130 Partnerhochschulen bilden ein funktionierendes Netzwerk und sind Basis aller Austauschaktivitäten.
Wie war das vor 20 Jahren? ...
Sasse-Fleige: Vor 20 Jahren steckte alles in den Kinderschuhen. Es gab einige vereinzelte Kooperationen, z.B. mit der John Moores University in Liverpool und der Faculte des Sciences Economiques et Sociales in Mulhouse. Ein Akademisches Auslandsamt zur Bündelung und Koordinierung aller internationalen Aktivitäten gab es bis zu dem Zeitpunkt nicht. Diese Aufgaben übernahm ein Senatsbeauftragter für Beziehungen zu ausländischen Hochschulen und Bildungseinrichtungen, von dem ich den Anstoß (und einige Aktenordner!) bekam, daraus etwas zu machen. Und das tat ich dann auch! Einstieg war 1987 mit dem von der Europäischen Kommission initiierten ERASMUS Programm, das schwerpunktmäßig die Studierendenmobilität in Europa fördern wollte. An diesem Programm war die Universität Hildesheim von Anfang an beteiligt.
Dr. Klaßen: Sie sind seit 20 Jahren Leiterin des Akademischen Auslandsamts und somit maßgeblich an der strukturellen Gestaltung von internationalen Aktivitäten beteiligt. Was war aus Ihrer Sicht ausschlaggebend für die gute Positionierung der Universität Hildesheim als einem internationalen Lern- und Erfahrungsort?
Sasse-Fleige: Das wesentliche Plus hier in Hildesheim ist das funktionierende Zusammenwirken von Menschen, denen die internationalen Kontakte unserer alma mater eine Herzensangelegenheit sind. An unserer Uni engagieren sich viele unermüdlich und erfolgreich um das internationale Profil der Universität Hildesheim. Denn eine moderne "konkurrenzfähige" Hochschule, um im Jargon der Akkreditierer, Evaluierer und Benchmarker zu sprechen, ist eine Hochschule mit einem eigenen internationalen Profil. Die Aktivitäten, die Internationalität ausmachen, werden im AAA gebündelt. Wir kümmern uns auch um die Finanzen und werben jährlich Landes- und Drittmitteln ein (derzeit
etwa 250.000-300.000 Euro).
Dr. Klaßen: Die Austauschaktivitäten einer Hochschule lassen sich grundsätzlich in "Outgoings" und "Incomings" unterscheiden. Gibt es aus Ihrer Sicht für die Universität Hildesheim hier Prioritäten oder sind beide Bereiche gleichermaßen von Bedeutung, wenn es um das internationale Image der Uni geht?
Sasse-Fleige: Austausch lebt von einer "out und in"- Dynamik, beides gehört zusammen. Wir freuen uns, dass immer mehr Studierende ins Ausland wollen und wir diesen Wunsch dank einem wachsenden Netzwerk von Partneruniversitäten dann auch oft erfüllen können. Seit Jahren belegen wir bundesweit einen Spitzenplatz beim prozentualen outgoing-Anteil (ca. 30 Prozent). Natürlich heißen wir umgekehrt die Austauschstudierenden unserer Partnerhochschulen und ausländische Studierende, die das gesamte Studium bei uns verbringen, ebenso herzlich willkommen. Denn sie tragen zum internationalen Profil bei. In Seminaren, im Leben auf dem Campus und in der Stadt ist ihre Anwesenheit eine Bereicherung für uns alle. Und dass die Begegnungen der Kulturen auch sprachlich funktionieren, dafür haben wir gemeinsam im Sommer 2002 mit der HAWK und der VHS das "Hildesheimer Sprachenforum" ins Leben gerufen. Diese Förderung der Mehrsprachigkeit vor Ort wird als "Internationalisation at home" genannt in Anlehnung an den europäischen Referenzrahmen, sie umfasst 40 Sprachkurse in 20 Fremdsprachen und erfreut sich bei den Hildesheimer Studierenden und Bürgern großer Beliebtheit.
Dr. Klaßen: Der DAAD fördert sehr gezielt die Internationalisierung an Hochschulen. "GO OUT" oder auch "GO EAST" sind aktuelle Kampagnen, die auch an der Uni Hildesheim stattfinden. Passt diese Förderung zu den aktuellen Bedürfnissen des AAA oder fühlt man sich eher getrieben von den Förderaktivitäten?
Sasse-Fleige: Nun ja, ohne finanzielle Unterstützung bewegt sich nicht viel! Und wir sind sehr dankbar, dass die EU insbesondere mit dem ERASMUS Programm, der Deutsche Akademische Austauschdienst und viele Stipendieninstitutionen zahlreiche Förderprogramme anbieten, um Menschen über Grenzen hinweg gemeinsam lernen, lehren und forschen zu lassen. Zugegeben gab es gerade in den letzten Jahren eine wahre Programmflut, deren Sichtung und Relevanz für unsere Uni vom AAA nur mit Mühe zu bewältigen war. Bei GO OUT, einem neuen DAAD-Programm zur Steigerung der outgoing-Zahlen, waren wir natürlich von Beginn an dabei und organisierten als eine der
ersten Universitäten im November 2006 einen GO OUT-Tag, der dank der enormen Nachfrage im November 2007 erfolgreich wiederholt wurde. Auch beim GO EAST-Programm des DAAD beantragen wir in Kooperation mit den Fachkoordinatoren seit etlichen Jahren Drittmittel, um Hildesheimer Studierenden Stipendien für Semesteraufenthalte an unseren mittel- und osteuropäischen Hochschulen bieten zu können. Denn zum internationalen Profil der Uni gehören die Kooperationen mit unseren Partnerhochschulen in sogenannten MOE-Ländern (mittel-und osteuropäischen) in Polen, Ungarn, Bulgarien, Tschechien, Slowenien, Lettland, Litauen und Russland. Insgesamt passt die Förderkultur zu unserer Hochschule, die international eben top aufgestellt ist.
Dr. Klaßen: Und dann ist da noch das ERASMUSProgramm,das sowohl Outgoings als auch Incomings fördert. Es ist für die Uni Hildesheim von Beginn an, also seit 1987, eine Erfolgsgeschichte. Warum?
Sasse-Fleige: Das ERASMUS-Programm wurde gerade zum rechten Zeitpunkt aufgelegt. Wir nutzten dies zum Ausbau vorhandener Kooperationen und traten zahlreiche Kooperationsreisen (Dozenten mit AAA) zunächst schwerpunktmäßig nach Großbritannien, Irland, Spanien, Frankreich und Belgien an, um zunächst für die internationalen
Studiengänge wie Internationale Fachkommunikation u. ä. geeignete Partnerhochschulen zu finden. Die persönliche Begegnung mit vielen Partnern europäischer Hochschulen
ist besonders wichtig, um Kooperationen möglichst einfach und unbürokratisch gestalten zu können. Wir konnten die Austauschprogramme in den letzten 20 Jahren auf nunmehr allein 110 ERASMUS-Kooperationen mit 25 Ländern ausbauen und können so jährlich über 350 Studierenden ein Auslandssemester anbieten. Hinzu kommt der Austausch von über 20 Dozenten, die für 1 bis 2 Wochen ERASMUS-Kurzzeitdozenturen im Ausland oder aus dem Ausland bei uns durchführen. Für die Gesamtkoordination des ERASMUS-Programms erhielten wir 2006 das Europäische Qualitätssiegel als Top Two auf Bundesebene.
Dr. Klaßen: Die Uni Hildesheim bietet zwei binationale Studiengänge - also ein französisches Doppeldiplom in den Kulturwissenschaften und ein russisches Doppeldiplom in den Erziehungswissenschaften an. Was ist die Aufgabe des AAA, wenn es um solche internationalen Angebote geht?
Sasse-Fleige: Doppeldiplomstudiengänge sind ein Meilenstein für unser internationales Profil. Das AAA war teils bei der Konzipierung und der Einwerbung von Drittmitteln beteiligt. Die incoming students dieser Studiengänge werden vom AAA umfassend betreut. Für den Ausbau der internationalen Vernetzung unserer Uni sind sie zudem wichtige Multiplikatoren. Wir engagieren uns sehr dafür, dass ihr Studienaufenthalt in Hildesheim ein Erfolg wird und sie sich wohlfühlen.
Dr. Klaßen: An dieser Stelle bitte noch eine kurze Einschätzung von Ihnen zur Internationalisierung der Studiengänge durch Einführung internationaler Studienabschlüsse. Welchen Anteil an der internationalen Flexibilisierung hat der sogenannte Bologna-Prozess Ihrer Meinung nach?
Sasse-Fleige: Grundsätzlich halte ich die Vereinheitlichung der Studienabschlüsse für sinnvoll, um der Globalisierung Rechnung tragen zu können. Allerdings bedeutet dies eine oft extreme zusätzliche Belastung der Dozenten, denn Modularisierung der Studiengänge und Umstrukturierung auf BA- und MA- Studiengänge wollen wohl überlegt und akkreditiert sein. Zudem sind die relativ weichen Vorgaben des Bologna-Prozesses wie die Konzipierung von BA-Studiengängen über 6-8 Semester und MA-Studiengängen über 2-4 Semester oft zugunsten der kürzesten Studiendauer gestaltet worden. Ich halte dies für eine Überreaktion, die sich sogar kontraproduktiv auf relevante Auslandsaufenthalte im Studium auswirken kann. Besonders dann, wenn ein Auslandsaufenthalt nicht integraler Bestandteil des Studiums ist. Bei uns an der Uni ist die Nachfrage nach Auslandsaufenthalten ungebrochen. Doch bundesweit gibt es durchaus andere Trends. Ich plädiere in jedem Fall für Studiengänge mit integriertem Auslandsaufenthalt. Hier sind wir in Hildesheim auf einem guten Weg.
Dr. Klaßen: Frau Sasse-Fleige, Ihre Arbeit im Bereich der Austauschaktivitäten wurde mit dem Europäischen Qualitätssiegel ausgezeichnet. Was kommt als Nächstes?
Sasse-Fleige: Nun, es gilt das Bestehende zu pflegen und zu wahren und weiter im Sinne der Studierenden auszubauen. Etliche international engagierte Dozenten gingen oder gehen in Kürze in Pension. Ihre Kontakte gilt es, wenn möglich, zu bewahren und fortzuführen. Mit neuen Dozenten kommen neue Impulse und internationale Schwerpunkte, die ausgebaut werden müssen. Derzeit sehe ich gerade im Bereich der europäischen Geschichte, der Friedenspolitik und der frühkindlichen Erziehung auch im Forschungsbereich enormes Potential für die Zukunft.
Dr. Klaßen: Und noch ein persönlicher Wunsch zum Schluss?
Sasse-Fleige: Ich wünsche mir, dass der zunehmenden Bürokratisierung entgegengewirkt wird. Wahre Papierfluten mit Vordrucken, application forms, learning agreements, transcript of records sind zu bewältigen. Sie müssen alle mit bis zu vier Unterschriften von Heimat- und Gasthochschule ausgestellt werden. Das geht zu Lasten der persönlichen Beratung. Und die liegt mir persönlich sehr am Herzen. Dafür wünsche ich mir mehr Zeit.
Elke Sasse-Fleige