„Ich gehe ungern ins Theater“

Mittwoch, 24. Oktober 2012 um 19:49 Uhr

Baustelle Theater: Das Bühnenwesen der Bundesrepublik steht im Fokus einer öffentlichen Ringvorlesung des Instituts für Kulturpolitik. Renommierte Theaterwissenschaftler aus neun Hochschulen debattieren in Hildesheim über die Lage des Theaters. Wie geht es unseren Bühnen, wer steht auf ihnen, vor ihnen, hinter ihnen? Und wer bleibt fern?

Deutschlands Theaterlandschaft ist einmalig, freie Theaterszenen, Stadt- und Staatstheater, Landesbühnen. Theater mit Kindern, mit Jugendlichen, mit Senioren. Das alles lassen sich vor allem Kommunen und Länder jährlich fast drei Milliarden Euro kosten. Doch immer wieder ist kein Geld vorhanden, um die Preis- und Tarifsteigerungen der personalintensiven Apparate zu finanzieren. Theater fusionieren, Sparten werden abgewickelt. Ein Bürgerbegehren fordert die Schließung der Oper Bonn, dem Schweriner Staatstheater drohte die Insolvenz und das Theater Eisenach steht vor dem Aus, sollte es keine Unterstützung der Kommune erhalten. Die freien Gruppen hangeln sich von Projekt zu Projekt. 

„Kommunale Kulturförderung hat es versäumt, eine Verständigung herzustellen, welche Rolle Theater zukünftig in der Gesellschaft spielen soll, welche Maßnahmen zu ergreifen wären, um eine breite Partizipation der Bevölkerung zu ermöglichen“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Direktor des Instituts für Kulturpolitik, am Mittwoch zum Start einer öffentlichen Ringvorlesung, die den Zustand des Bühnenwesens in der Bundesrepublik in den Blick nimmt.

„Ich gehe sehr ungern ins Theater. Ich habe Wichtigeres zu tun“, schreibt der 17-jährige Mourad R. dem Forum Freies Theater Düsseldorf.  „Theater ist für ihn wie für viele andere Schüler ‚eine nervende Pflichtveranstaltung‘. Unsere viel gerühmte Theaterlandschaft hat nicht angemessen auf Zuwanderung reagiert und kulturelle Vielfalt nicht auf der Agenda. Publikum, Personal und Produktionen sind ziemlich deutsch geblieben“, urteilt Schneider. Zudem sei Theater „mehr als dass, was feuilletonistisch verhandelt wird“. Die verschiedenen Erscheinungsformen – allein 2500 Vereine des Amateurtheaters und kleine Gruppen in der Provinz – müssen mehr Anerkennung finden, so Schneider.

Die Hildesheimer Kulturpolitiker laden bis Februar 2013 ein zur öffentlichen Ringvorlesung „Theater. Entwickeln. Planen. Kulturpolitische Konzeptionen zur Reform der Darstellenden Künste" (Programm als PDF). Renommierte Theaterwissenschaftler aus den Hochschulen Utrecht, Mainz, Frankfurt am Main, Bielefeld, Hildesheim, München, Leipzig und Köln tragen ihre Überlegungen zur Entwicklung von Theatern vor. Mit dabei sind die Hildesheimer Professoren Birgit Mandel, Jens Roselt, Annemarie Matzke, Geesche Wartemann, Matthias Rebstock und Wolfgang Schneider. Die Experten sprechen über die Zukunft der Theatervermittlung, die Auflösung des Stadttheaters, über kollektives Produzieren auf der Bühne und über Strukturen im deutschen Theatersystem. Der Intendant der Berliner Festspiele, Dr. Thomas Oberender, referiert am 30. Januar über „Theaterstrukturen zwischen Saison und Festival, Haus und Event".

Die Stiftung Niedersachsen fördert die Veranstaltungsreihe im Rahmen des Herder-Kollegs. Medienpartner ist das Online-Theaterfeuilleton nachtkritik.de. Aus den Vorträgen entsteht eine Publikation. Die Vorträge mit Diskussion finden an jedem Mittwoch ab 12 Uhr im Hörsaal 1 (Hauptcampus) statt. 

Medienbericht:

Hannoversche Allgemeine Zeitung, Interview mit Prof. Dr. Schneider, 25.10.2012 (print, online)


Wie geht es unseren Bühnen, wer steht auf ihnen, wer bleibt fern? Studierende und Kulturpolitiker entwickeln an der Universität Hildesheim Zukunftskonzepte für die Darstellenden Künste. Foto: M. Gifford, Lizenz: Creative Commons

Wie geht es unseren Bühnen, wer steht auf ihnen, wer bleibt fern? Studierende und Kulturpolitiker entwickeln an der Universität Hildesheim Zukunftskonzepte für die Darstellenden Künste. Foto: M. Gifford, Lizenz: Creative Commons