Ethiken des Kuratierens: „Kuratieren ist ein Auswahlverfahren“

Mittwoch, 29. Januar 2020 um 11:47 Uhr

In den aktuellen Diskussionen um das Kuratieren sind ethische Aspekte allgegenwärtig. Im Interview sprechen Professorin Fiona McGovern und Professor Johannes Ismaiel-Wendt über die Ethiken des Kuratierens. Gemeinsam mit Studierenden laden sie zum internationalen Symposium „Ethiken des Kuratierens“ am kulturwissenschaftlichen Fachbereich der Universität Hildesheim ein.

In den aktuellen Diskussionen um das Kuratieren sind ethische Aspekte allgegenwärtig. Sie spielen im Zusammenhang mit der vom International Council of Museums vorgeschlagenen Neudefinition des Museums eine ebenso zentrale Rolle wie mit dem Kuratieren von Großausstellungen durch nicht-westliche Kollektive oder dem von Bénédicte Savoy und Felwine Saar 2018 im Auftrag des französischen Staates verfassten Restitutionsbericht.

Wie sieht ein angemessener Umgang mit den Forderungen aus, nicht rechtmäßig erworbene Museumsstücke an ihre Ursprungsländer beziehungsweise Ursprungskulturen zurückzugeben? Wo verlaufen ethische Grenzen dessen, was von wem in Ausstellungen gezeigt oder digitalisiert für alle zugänglich gemacht werden kann? Welche Rolle spielen Aspekte von Sorge und Nachhaltigkeit in aktuellen kuratorischen Ansätzen? Und wer trägt Verantwortung?

Etwa 40 Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Kurator*innen diskutieren auf dem internationalen Symposium „Ethiken des Kuratierens“ am kulturwissenschaftlichen Fachbereich der Universität Hildesheim diese Fragen. In Vorträgen, Diskussionsrunden, Filmscreenings und Workshops werden folgende Themen bearbeitet: „Codes of Ethics and Structural Exclusions“, „To Restitute, to Decolonize, to Mediate“, „Curating Sound“, „Ethics of the Visible and Displayable“ und „Caring, Curating and Sustainability“.

Das Internationale Symposium „Ethiken des Kuratierens“ findet am Kulturcampus Domäne Marienburg der Universität Hildesheim vom 31. Januar bis 2. Februar 2020 statt. Die Konferenz wird am Freitag, 31. Januar 2020, um 14:00 Uhr am Kulturcampus eröffnet. Die Teilnahme ist kostenfrei. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG sowie das Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die Sparkassen Stiftung  fördern die Konferenz.

Programm der Konferenz
„Ethiken des Kuratierens / ethics of curating“

Interview mit Prof. Dr. Fiona McGovern und Prof. Dr. Johannes Ismaiel-Wendt

Ausstellungen gelten als das zentrale Format des öffentlichen Zeigens und Rezipierens von Kunst. Die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Fiona McGovern erforscht die Ausstellungsgeschichte und Ausstellungstheorie sowie Ethiken des Kuratierens. Sie arbeitet seit 2018 als Juniorprofessorin für Kuratorische Praxis und Kunstvermittlung am Institut für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft im kulturwissenschaftlichen Fachbereich.

Prof. Dr. Johannes Ismaiel-Wendt forscht und lehrt am Institut für Musik und Musikwissenschaft. Von 2012 bis 2018 war Johannes Ismaiel-Wendt Juniorprofessor für Systematische Musikwissenschaft und Musiksoziologie, 2018 wurde er zum Hildesheimer Universitätsprofessor für Musiksoziologie und Popular Music Studies berufen. Zuvor arbeitete er als wissenschaftlicher Berater im Haus der Kulturen der Welt in den Projekten Translating HipHop und Global Prayers.

An der Organisation der Veranstaltung maßgeblich beteiligt sind Nadiah Riebensahm, Nora Brünger und Studierende des Seminars „Ethiken des Kuratierens“.  

Frau Professorin McGovern, Herr Professor Ismaiel-Wendt, Sie veranstalten das internationale Symposium „Ethiken des Kuratierens“. Was ist die drängende Forschungsfrage, die Sie bearbeiten?

Fiona McGovern: Wir gehen mit vielen Fragen in dieses Symposium. Eine für mich fundamentale ist sicher die danach, was eine Ethik des Kuratierens auszeichnet und vor allem wie sie sich nachhaltig in der Praxis umsetzen lässt. Themen die angesprochen werden sind etwa die Frage nach Diversität im Ausstellungsbetrieb und in der kuratorischen Praxis. Das Symposium ist interdisziplinär angelegt und nimmt neben dem Museumswesen auch die Filmkuration oder den Theaterbetrieb in den Blick.

Johannes Ismaiel-Wendt: Oder Soundkuratieren – wir setzen uns auch mit Kuratieren jenseits des Visualprimats auseinander, also mit jenen Phänomenen jenseits des Sehbaren. Was will man zeigen, was wird nicht gezeigt?

Fiona McGovern: ….und wie kann das alles gut vermittelt werden? Die Ebene der Vermittlung denken wir von vornherein mit.

Wie wir auf die beiden Begriffe „Ethik“ und „Kuratieren“ blicken, was verstehen Sie darunter?

Fiona McGovern: Kuratieren ist ein Auswahlverfahren, einfach gesagt. Wobei sich um das Kuratieren ein komplexer Diskurs entspannt hat. Es geht um Fragen der Sichtbarkeit zum Beispiel. In dem Moment, in dem etwas auswählt wird, wird etwas anderes nicht ausgewählt. Ethische Überlegungen setzen für mich an diesem Punkt an Sie sollten daher der kuratorischen Praxis immanent sein. Darüber wollen wir sprechen – was solche Entscheidungen bedingt, für wen kuratiert wird, welches Publikum mitgedacht wird wer in Entscheidungsprozesse einbezogen wird. 

Das sind Fragen, die sich jede Kulturinstitution zu stellen hat?

Fiona McGovern: Ja. Damit verknüpft  ist auch die Frage, wie gezeigt wird. Wird etwas kommentiert gezeigt oder nicht? Oder im Kino – in welchen Formaten werden Filme gezeigt, als Digitalisat oder ausschließlich im Original? Wie wird mit dem Archiv umgegangen? Diesen Fragen etwa widmet sich das Kollektiv The Canine Condition, die ein Filmprogramm für das Symposium zusammen gestellt haben.

Sie binden Studentinnen und Studenten aus den Kulturwissenschaften in die Organisation des internationalen Symposiums mit ein.

Johannes Ismaiel-Wendt: Wir bieten ein Seminar an für Bachelorstudierende im Bereich Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis und Masterstudierende. Wir beschäftigen uns mit Texten über das Kuratieren, sogenannten „Codes of Ethics“ und anderen Leitfäden. Der Begriff Kuratieren, das sich kümmern ursprünglich um eine Sammlung, hat heute vielmehr mit dem Auswahlprozess zu tun und der Frage, woher die Sammlungen stammen, wer archiviert was warum und wo sind diese Archive? Wer verfügt darüber? Ein dringendes Thema ist die Aufforderung an Archive, Museen und Bildungsinstitutionen, zu dekolonisieren. Wer meint über das Wissen über diese Dinge zu verfügen und das Wissen vermitteln zu können? Das reicht bis hin zu Personalfragen. Wie ist die Personalsituation in den Institutionen, die zum Beispiel Kunst aus Afrika zeigen? Wir haben auch das Center for World Music in Hildesheim, wer trägt 50.000 Schallplatten zusammen und ist in der Lage dazu und wer verfügt dann nachher darüber, und ist die Digitalisierung von solchen Soundarchiven die Lösung von solchen Zugangsproblemen? Der Geschäftsführer des CWM, Dr. Michael Fuhr, ist auch am Symposium aktiv beteiligt.

Fiona McGovern: Eng damit verknüpft ist auch die Frage, welche Narrative erzählt werden. Wir haben beispielsweise Prof.Claudia Höhl, die Direktorin des Dommuseum Hildesheim eingeladen, die derzeit eine Ausstellung macht, in der Hildesheim als europäische Metropole in den Vordergrund gerückt wird und anhand von Objekten versucht, ein anderes Narrativ als das übliche zu erzählen. In ethnologischen Museen wird diese Frage ganz besonders virulent.

Sie bilden an der Universität die nächste Generation der Kulturschaffenden aus, die künftig im Kern ihrer Arbeit ethische Fragen immer wieder in der Institution zu stellen.

Johannes Ismaiel-Wendt: Auf jeden Fall, es herrscht ein großes Interesse an der Auseinandersetzung mit ethischen Fragen. Ich glaube auch, dass die Studierenden das von uns einfordern, dass wir nicht nur erklären, wie eine Institution funktioniert und wie Objekte ausgestellt werden. Sie fordern von uns, dass wir ethische Dimensionen mit ihnen reflektieren.

Fiona McGovern: Die Debatten um ethische Aspekte des Kuratierens und Ausstellungsmachens werden auf internationaler Ebene gerade breit geführt. Sie schlagen sich auch in den Abschlussarbeiten nieder, die Studierende zur Zeit schreiben. Es ist in der Hinsicht eine ziemlich spannende Zeit. greifen diese auf.

Wurden ethische Fragen im kuratorischen Prozess in der Vergangenheit zu wenig bearbeitet?

Fiona McGovern: Es gibt definitiv schon lange eine ethische Auseinandersetzung gerade in Museen. Der Code of Ethics vom ICOM beispielsweise sollte die Basis für jede Form von Museumsarbeit bilden. Es ist eine Handreichung und Empfehlung, es heißt aber noch lange nicht, dass alle Museen diese im Detail umsetzen. In den letzten Jahren hat die Frage der Ethik eine enorme Präsenz gewonnen. Maura Reilly beispielsweise hat 2018 das Buch „Curatorial Activism: Towards an Ethics of Curating“ publiziert, auch gibt es zahlreiche offene Briefe und call-outs, die darauf hinweisen, wenn etwa dubiose Finanzquellen für das Ausstellungsmachen herangezogen werden. Das hat enorm zugenommen.

Johannes Ismaiel-Wendt: Es gibt eine Dynamik von Forderungen nach Berücksichtigung, etwa wenn Kunstformen ganzer Kontinente bei vermeintlich internationalen Festivals nicht auftauchen.

Die Fragen stellte Isa Lange.


Fiona McGovern und Johannes Ismaiel-Wendt haben mit Studierenden eine Konferenz zu Ethiken des Kuratierens organisiert. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim