Über Leichte Sprache

Wenn es um Barrierefreiheit geht, denken die meisten Menschen wohl zuerst an Rollstuhlrampen oder Aufzüge. Aber zur Barrierefreiheit gehört nicht nur der Abbau von physischen Barrieren. Auch sprachliche Barrieren gehören dazu, die es gilt, zu beseitigen, damit auch Menschen mit Sinnesbehinderung einen gleichberechtigen Zugang zu Informationen erhalten. Mit Leichter Sprache lassen sich Texte verständlicher gestalten und so einer breiteren Zielgruppe zugänglich machen.

Über Leichte Sprache

Was ist Leichte Sprache?

Was ist Leichte Sprache?

Leichte Sprache ist eine vereinfachte Form des Deutschen. Dies bedeutet, dass Grammatik und Wortschatz gegenüber dem Standard-Deutschen reduziert sind. So werden beispielsweise Nebensätze vermieden und wichtige Fachbegriffe erklärt. Auch die Zeichensetzung folgt besonderen Regeln, teilweise werden bestimmte Formatierungen genutzt, um z. B. Verneinungen zu verdeutlichen. Gleichzeitig werden Leichte-Sprache-Texte durch additive Verfahren wie Erläuterungen erweitert.

Weshalb Leichte Sprache?

Weshalb Leichte Sprache?

Leichte Sprache ermöglicht einer besonders großen Gruppe von Menschen den Zugang zu Informationen: Personen mit Lernbehinderung, Hörbehinderung, mit Aphasie oder Demenz, Migrant(inn)en, aber auch funktionalen Analphabet(inn)en insgesamt; und damit vielen Menschen, die aufgrund einer Behinderung, abweichenden Bildungschancen oder einschneidenden Lebensereignissen (wie z. B. Flucht) eine geringe Lesefähigkeit haben.

Hörbehinderte Menschen haben oft Probleme mit zu komplexen Texten. Denn nicht das Deutsche, sondern die Gebärdensprache ist ihre Muttersprache. Sie erlernen das Deutsche anhand des Schriftbilds und ohne die Kontrolle über das Ohr. Erst wenn Texte in vereinfachter Form vorliegen, sind die entsprechenden Inhalte für Menschen mit Sinnesbehinderungen auch zugänglich!

Auch Migrant(inn)en, Tourist(inn)en oder Nutzer(innen), die sich aus dem Ausland auf deutschsprachigen Seiten informieren möchten, sowie Menschen mit wenig Leseerfahrung profitieren von Leichter Sprache. Dies gilt gerade für Fachtexte, etwa aus den Bereichen Justiz oder Medizin, die eine extrem hohe Informationsdichte und in der Regel eine sehr komplexe Sprache aufweisen.

Was sind die Prinzipien Leichter Sprache?

Prinzipien Leichter Sprache

Prinzipien mit Bezug auf das Sprachsystem:

  • Grammatische Funktionen mit eigenem Träger ausstatten (Negation, Vergangenheitsformen, Genitiv: eigene Funktionsmarker); nicht: „er aß“ sondern: „er hat gegessen“.
  • Zentral statt peripher (Wortschatz, Information sverteilung, Genitiv, Konjunktiv).
  • Handlungsorientierung (verbal statt nominal, Handlungsträger benennen, Informationsverteilung).
  • Wichtiges und Zentrales mehrfach hervorheben („Redundanzprinzip“, „Multicodalität“).

Ethische Prinzipien Leichter Sprache:

  • Partizipationsfunktion und Brückenfunktion der Leichten Sprache beachten.
  • Falsches Deutsch vermeiden.
  • Erwachsene Adressat(inn)en als solche ansprechen.
  • Verständlichkeit schlägt im Zweifelsfall andere Kriterien (wie z. B. eine gendergerechte Sprache).

Welche Regeln gelten auf sprachlicher Ebene?

Zeichenebene

Zeichenebene

1) Sonderzeichen: Zur Verfügung stehen Punkt, Frage-, Ausrufezeichen, Doppelpunkt, Anführungszeichen, Mediopunkt.

2) Zeichen unterschiedlicher Art und Qualität helfen die Aussage eines Texts verständlich zu machen. Dazu gehören auch Hervorhebungen, Bilder, Grafiken, Fotos.

3) Der Umgang mit Zahlen und Ziffern ergibt sich aus dem Textthema.

4) Zahlen werden als Ziffern geschrieben. Achtung: „ein“ als indefiniter Artikel ist kein Zahlwort.

 

 

Wortebene

Wortebene

  • Grundwortschatz verwenden (statt „Gartengrasmücke“ → „Vogel“).
  • Möglichst kurze Wörter verwenden.
  • Fach- und Fremdwörter vermeiden oder (sofern für den Text zentral) erklären.
  • Schriftbasierte Abkürzungen („usw.“, „s.u.“) vermeiden. Bekannte Siglenwörter („LKW“) dürfen verwendet werden.
  • Wortbestandteile durch Mediopunkt kenntlich machen (bei Wörtern mit mehr als 4 Silben).

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Satzebene

Satzebene

1) Verbal statt nominal: Nominalstil vermeiden.

2) Passiv vermeiden. Handlungsträger ermitteln und hinzufügen.

3) Genitiv vermeiden.

4) Satzgliedstellung gemäß den Erfordernissen der Grammatik.

5) Nur eine Aussage pro Satz.

6) Keine Nebensätze, kein Komma. Auflösung von Satzgefügen gemäß Regelset:

  • Konditionalsatz: „Wenn…, dann…“ → Frage + „dann“
  • Kausalsatz: „Weil…, …“  → Ursache vor Wirkung: „Deshalb“
    → Wirkung vor Ursache: „nämlich“
  • Modalsatz: „…, indem …“ → „So …: …“
  • Temporalsatz: „während...“, „als“; „bevor...“; „nachdem...“ → Einhaltung der natürlichen Chronologie der Ereignisse, evtl. „dann“, „jetzt“, „und“
  • Konsekutivsatz: „… sodass …“ → „… . Deshalb…“  
  • Konzessivsatz: „Obwohl …“ → „… trotzdem…“.
  • Finalsatz: „Damit ...“ → „wollen“ + „deshalb“ (Intention + Kausalität) 
  • Relativsatz: nicht restriktiv → Aufteilung in mehrere Aussagen;
    restriktiv → notwendige Informationen einführen und erläutern  

7) Konjunktiv möglichst vermeiden. Aussagen reformulieren.  

8) Präteritum vermeiden → stattdessen Perfekt oder Präsens mit Rahmensetzung. Ausnahme: Modalverben (können, sollen, wollen, müssen, mögen, dürfen) und Hilfsverben (haben, sein, werden) dürfen ins Präteritum gesetzt werden.

9) Transparente Metaphern, die dem Lebensbereich der Adressat(inn)enschaft entstammen, dürfen verwendet werden. Wenig transparente Metaphern ersetzen oder erläutern.  

10) Negation möglichst vermeiden.

  •  N-Negation vor k-Negation; oder: nach Möglichkeit mit „nicht“ negieren.
  • Nicht“ im Text fett setzen.

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Textebene

Textebene

1) Textuelle Entfaltung beachten.

2) Die Auswahl der Informationen ergibt sich aus dem Textthema.

3) Für alle Wortarten: Verwendung gleicher Wörter für gleiche Sachverhalte, keine Synonyme.

4) Umgang mit Personalpronomen:

  • Personalpronomen der 1. und 2. Person können verwendet werden.
  • Personalpronomen der 3. Person müssen ersetzt werden.
  • Das so genannte expletive „es“, das kein Bezugs­wort aufweist, darf verwendet werden („Es regnet.“).
  • Jedes „Sie“, das in einem Text in Leichter Sprache auftritt, ist eine höfliche Anrede.
  • Erwachsene Leserinnen und Leser werden i.d.R. gesiezt.
  • Personalpronomen der 3. Person werden durch das Nomen ersetzt, für das sie stehen.
  • Bei Verben des Sagens und Denkens
    → Wechsel in direkte Rede („ich/wir“ = Repronominalisierung).
  • Vor das Nomen können Possessivartikel gesetzt werden (=Präpronominalisierung).

5) Schlagwörter am Seitenrand bzw. Zwischen­überschriften einsetzen.

6) Verweise im Text sind unverzichtbar. Erläuterungen in Leserichtung einfügen.

7) Bei Übersetzungen in Leichte Sprache darf der Text verändert werden (Abschnitte, Überschriften, etc.). Achtung: Brückenfunktion ermöglichen!

8) Bebilderung an Altersgruppe ausrichten. Fotos, Diagramme, Piktogramme etc. dürfen je nach Bedarf gesetzt werden (Achtung Bildrechte).

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Was sind die gesetzlichen Grundlagen Leichter Sprache?

Rechtliche Meilensteine Barrierefreier Kommunikation und Leichter Sprache

Meilensteine für die Barrierefreie Kommunikation und Leichte Sprache

Leichte Sprache ist ein Mittel der Barrierefreiheit. Barrierefreiheit und Chancengleichheit werden in der Bundesrepublik Deutschland von verschiedenen Gesetzen und Verordnungen gefordert. Die wichtigsten Meilensteine sind:

  • 1994: Novellierung des Grundgesetzes (GG). Die Nichtdiskriminierung  von Menschen mit Behinderung wird in das Grundgesetz aufgenommen: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ (Artikel 3 GG).
     
  • 2002: Verabschiedung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG). Dieses weitet den Begriff Barrierefreiheit auf "Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen" aus.
     
  • 2006: UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Diese tritt 2008 in Kraft und erwirkt das Recht auf Anwendung von Gebärdensprache, Brailleschrift und alternative Kommunikationsformen.
     
  • 2016: Gesetz zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts und damit Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes (Novelle des BGG). Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass Bundesbehörden und Sozialleistungsträger vermehrt Informationen in Leichter Sprache bereitstellen. Demnach sollen z. B. behördliche Bescheide ab 2018 auch in Leichter Sprache erhältlich sein.
Rechtliche Meilensteine der barrierefreien Internetkommunikation

Meilensteine der Barrierefreien Internetkommunikation

Bei der Beschaffung von Informationen spielt das Internet eine zentrale Rolle – auch für Menschen mit Behinderung. Webseiten sind jedoch nur dann barrierefrei zugänglich, wenn sie bestimmte technische und sprachliche Voraussetzungen erfüllen. Damit eine barrierefreie Internetnutzung garantiert wird, gibt es Gesetze und Verordnungen auf Bundes- und Länderebene. In Niedersachsen wurde 2007 das Behindertengleichstellungsgesetz verabschiedet, welches die Behörden ausdrücklich zur barrierefreien Gestaltung ihrer Internetauftritte verpflichtet (§9). Die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) ergänzt seit 2011 das Behindertengleichstellungsgesetz u. a. um Details zur barrierefreien Umsetzung von Internetangeboten. Hierbei sind vor allem die vier Prinzipien Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit zu beachten.

  • 2011: Verabschiedung der Barrierefreie-Informationstechnik Verordnung (BITV 2.0). Die Verordnung zielt auf die barrierefreie Gestaltung moderner Informations- und Kommunikationstechnik. So sollen Websites, mobilde Anwendungen, elektronisch unterstützte Verwaltungsabläufe und grafische Programmoberflächen öffentlicher Stellen für Menschen mit Behinderungen zugänglich und nutzbar sein.
     
  • 2016: Die Richtlinie (EU) 2016/2102 des Europäischen Parlaments und des Rates regelt den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (EU 2016/2102). Demnach sollen Websites öffentlicher Stellen ab September 2020 und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen ab Juni 2021 barrierefrei zugänglich sein.
     
  • 2019: Die EU-Richtlinie 2019/882 oder auch European Accessibility Act. Diese Richtlinie ist bis 28. Juni 2022 in nationales Recht zu überführen. Ab dem 28. Juni 2025 ist sie anzuwenden. In absehbarer Zeit müssen dann auch Bankgeschäfte, Zahlungsverkehr, Online-Handel, E-Books, Computer oder Fahrkartenautomaten neue Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllen. Derzeit ist keine strikte Konformitätsprüfung gemäß WCAG 2.1 vorgesehen, aber der Anfang ist gemacht: So hat auch die Privatwirtschaft künftig einheitliche Anforderungen an die digitale Barrierefreiheit für bestimmte Produkte und Angebote zu erfüllen.