Texte zum Mitmachen für Senioren: Leichte Sprache in der Pflege und Sorge

Montag, 12. April 2021 um 13:19 Uhr

Im Wintersemester 2020/2021 führte Isabel Rink, Geschäftsführerin der Forschungsstelle Leichte Sprache, im Rahmen eines Masterseminars ein Herzensprojekt durch: Leichte-Sprache-Texte zum Mitmachen für die BewohnerInnen einer Senioren-Wohnstätte. Worum es ging und wie die Texte der Studierenden bei den BewohnerInnen ankamen, lesen Sie hier.

Im Winter hat Dr. Isabel Rink mit Studierenden der Masterstudiengänge Medientext und Medienübersetzung sowie Internationale Fachkommunikation: Sprache und Technik die Leichte-Sprache-Übersetzung am Beispiel eines Herzensprojekts eingeübt und angewendet. Da die Nachfrage an Leichter Sprache auch unter den Studierenden immens steigt, hat sich Rink dazu entschieden, einen lang gehegten Wunsch umzusetzen – ein Projekt mit der Zielgruppe SeniorInnen:

          Texte in Leichter Sprache für die Betreuungsrunde im Seniorenheim.

 

Dafür hat sie Kontakt aufgenommen zu einer Betreuungsfachkraft, die mehrmals in der Woche die Betreuungsrunden für die BewohnerInnen einer Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) durchführt. Die 40 BewohnerInnen, die in der Einrichtung leben, sind zwischen 75 und 99 Jahren alt.

Eigentlich sollte das Projekt in Ruhe, d.h. mit Vorlauf, und zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden, doch zu Semesterbeginn im Oktober 2020 war klar: Der zweite, harte Lockdown ohne Besuch durch enge Verwandte verbunden mit gravierenden Einschränkungen in den Senioreneinrichtungen mit äußerst hohen Fallzahlen und Herausforderungen, der dazu noch in die besinnliche Advents- und Vorweihnachtszeit fällt, wird für die älteren Menschen in Einrichtungen sowie für das Pflege- und Betreuungspersonal in besonderer Weise einschneidend. Aus diesem Grund hat Rink nicht lange gezögert und das Projekt direkt und quasi über Nacht in ihre Lehre implementiert: Von der Betreuungsfachkraft hat sie alle notwendigen Informationen über die BewohnerInnen und das Betreuungsprogramm erhalten, bei dem verschiedene Funktionen regelmäßig trainiert werden, darunter:

  • Erinnerungspflege
  • Wahrnehmung
  • Gedächtnispflege
  • Lesenachmittage
  • Sportliche Spiele

 

Die Studierenden, die zunächst die Regeln Leichter Sprache erlernt haben, sollten sich dann Themen entlang dieses Betreuungsprogramms ausdenken und jeweils im Team einen Text mit verschiedenen Aufgaben erarbeiten. Die erstellten Texte samt Begleitaufgaben wurden dann im Rahmen des Kurses besprochen, reflektiert und überarbeitet und in der Folge wöchentlich an die Betreuungsfachkraft übersandt. Die Betreuungsfachkraft hat das erarbeitete Material gesichtet und vor jedem Einsatz mit Isabel Rink besprochen: Dabei ging es auch um Aspekte wie Bilder und Musik, oder die Beschaffung von Backerbsen, die für Konzentrations- und Gleichgewichtsübungen auf Teelöffeln balanciert werden sollten.

Die jeweiligen Arbeitspakete wurden dann im Rahmen der Betreuungsrunden erprobt. Diese konnten aufgrund der Pandemie manchmal sogar nur zu zweit stattfinden, weil die BewohnerInnen ihre Zimmer nicht mehr verlassen durften, und die Betreuungsfachkraft die SeniorInnen einzeln aufsuchen musste. Und die Betreuungsfachkraft hat dem Kurs nach den Betreuungsrunden rückgemeldet, wie es gelaufen ist. So haben die Studierenden immer ein direktes Feedback zu ihrer Ausarbeitung erhalten und zugleich echte Texte für echte Menschen produziert.

Thematisch ging es in den Texten etwa um Weihnachtsbräuche und ihren Ursprung, Musik der 1950er Jahre, Stadt und Stadtgeschichte am Standort der Einrichtung, eine Geschichte über das Glück oder die wohltuende Wirkung von Zimmerpflanzen. Dabei wurden die Texte in Leichter Sprache entweder vorgelesen oder sie dienten der Betreuungsfachkraft als Orientierungsgrundlage für die jeweilige Betreuungsstunde. Außerdem haben die Betreuungsfachkraft und die BewohnerInnen entlang der Themen und Texte verschiedene Aufgaben ausgeführt: So war es in der Stunde zu den Zimmerpflanzen zum Beispiel so, dass zunächst der informative Text in Leichter Sprache vorgelesen wurde, daran schloss sich ein Austausch über Pflanzen, das Gärtnern sowie Lieblingsblumen an und es gab dann noch eine Langzeitaufgabe. Diese bestand darin, dass die BewohnerInnen zunächst selbst kleine Behälter mit Muttererde und Bartnelkensamen zu bepflanzen hatten (Motorik). Im Anschluss daran wurde es zu ihrer Aufgabe, die Samen zu gießen und gut darauf zu achten (Erinnerung- und Gedächtnispflege, Wahrnehmung).

Um Ihnen, liebe Leser und Leserinnen, hier einmal einen Einblick in die hohe Wirksamkeit dieser Leichte-Sprache-Texte in situierter Kommunikation zu geben, zeigen wir Ihnen einen Ausschnitt aus den Unterlagen und Transkripten von Dr. Isabel Rink. Alle Namen sind geändert bzw. anonymisiert, sodass keine Rückschlüsse auf involvierte Personen möglich sind:

In der Einrichtung: Die Betreuungsfachkraft kommt zum Dienst, Tage nachdem sie die Samen für die Bartnelken zusammen mit den BewohnerInnen eingepflanzt hat. Sie geht auf die Station, da ruft ihr schon eine Bewohnerin der Einrichtung aufgeregt entgegen:

Zitat Bewohnerin: „Ilona, Ilona, komm mal schnell mit, ich muss dir etwas zeigen! Ich habe ganz wunderbare Neuigkeiten!“

[Die Bewohnerin zeigt der Betreuungsfachkraft ihr Schälchen mit den Keimlingen und ist dabei sehr stolz und glücklich.]

 

***

 

Dr. Isabel Rink: Das Projekt war ein echter Erfolg, trotz all der Herausforderungen und Unwegsamkeiten. Auch deshalb, weil die Erwartungen und Vorstellungen der Studierenden über SeniorInnen nicht immer mit der Realität übereinstimmten. Da ich selbst die Schnittstelle zwischen Studierenden, Betreuungsfachkraft und BewohnerInnen war, wurde mir auch die Beobachterrolle zuteil. Das war sehr lehrreich, spannend, interessant, aber auch emotional anrührend aufgrund der besonderen Umstände und Einzelschicksale.

FLS: Und wie geht es nun weiter?

Dr. Isabel Rink möchte die Texte und Aufgaben in einem Material zusammenstellen, das, mit den Namen der ÜbersetzerInnen versehen, frei zugänglich und zum Download für Einrichtungen verfügbar steht. Außerdem möchte sie weiter in diesem Feld forschen, denn in Bereichen, in denen die Ressourcen knapp sind, lohnt es sich besonders zu investieren, damit möglichst viele profitieren:

  • Die Studierenden machen echte Texte für echte Menschen,
  • die Betreuungsfachkraft hat eine ideale Stundenvorbereitung, auf die sie künftig zurückgreifen kann und muss dies nicht in der Freizeit erarbeiten,
  • die BewohnerInnen haben eine tolle Betreuungsstunde mit jeder Menge Spaß und regen Unterhaltungen.