zur verschränkung von
kultureller bildung und teilhabe
am beispiel des Up-and-coming festivals
Was ist das up-and-coming?
Und warum bietet es sich an, über kulturelle Bildungund / als Teilhabe nachzudenken?
Das up-and-coming ist ein Filmfestival in Hannover, bei dem junge Filmschaffende bis zum Alter von 27 Jahren ihre Filme einreichen können. Das Festival findet seit 1982 in einem Rhythmus von zwei Jahren statt und ist seit 1991 für internationale Einreichungen geöffnet. Veranstaltungsort ist das soziokulturelle Zentrum Pavillon in Hannover. Unter Einsetzung einer Fachjury verleiht das Festival Preise in unterschiedlichen Kategorien.[13] Indem sich das Festival an junge, mitunter noch nicht sehr erfahrene Filmemacher*innen richtet, und diesen so eine Plattform bietet, um sich zu vernetzen, in Austausch zu treten und mit neuen Aspekten des Filmemachens auseinanderzusetzen, kann es als Raum verstanden werden, in dem sich kulturelle Bildung und kulturelle Teilhabe abhängig voneinander vollziehen. Dieser Zusammenhang lässt sich in ähnlicher Weise auch auf die Dimension „Publikum“ übertragen.
An welchen konkreten Punkten sich diese Hypothese nun festmachen oder ggf. auch widerlegen lässt, soll hier mit folgender Fragstellung näher untersucht werden: Inwiefern wird die Verzahnung der Konzepte „Kulturelle Bildung“ und „Kulturelle Teilhabe“ in der strukturellen Ausrichtung sowie dem Begleitprogramm des up-and-coming-Festivals besonders sichtbar?
Weitergehend soll es hier auch um perspektivische Fragen gehen, die eine durchaus kritische Auseinandersetzung nahelegen können: Inwiefern eröffnet das Festival durch die beschriebene Verzahnung Möglichkeitsräume für eine „partizipative und transformative künstlerische Praxis“[14]? Beziehungsweise: Wie nachhaltig ist diese Form der Teilhabe? Gibt es Anreize zur Teilhabe / Teilnahme oder werden bloß „Türen geöffnet“? Wer entscheidet, wer teilnehmen darf? (Gestaltung der Zugänge)
wie kommen filme und
publikum zusammen?
Zur programmauswahl
Die Einladung bzw. Öffnung zur Teilhabe wird durch das Festival zunächst insofern vollzogen, als dass explizit junge Filmschaffende eingeladen werden, ihre Filme einzureichen. Denn ausschlaggebend ist, dass die Filmemacher*innen nicht älter als 27 Jahre sind und der Film nicht älter als zwei Jahre ist (für das Festival 2019 durften die Filme frühstens am 1. Januar 2018 fertiggestellt worden sein). Ansonsten gilt:
„The selection criteria do not emphasize technical perfection but originality, autonomy of the concept and how the concept has been translated into film.“[15]
Aus den 4017 Filmeinreichungen aus 122 Ländern wurden in diesem Jahr 157 Filme ausgewählt, die dann im deutschen bzw. im internationalen Wettbewerb präsentiert werden. Durch die Teilnahme am Festival bekommen die Filmemacher*innen die Möglichkeit, sich einerseits künstlerisch, andererseits oft auch mit einer bestimmten gesellschafts-politischen Haltung zu positionieren. So ist die Erfahrung kultureller Teilhabe hier eng mit der Erfahrung gesellschaftlicher Teilhabe verknüpft bzw. gar nicht losgelöst voneinander zu denke.[16]
das publikum
Da es keine thematischen und formalen Vorgaben gibt, wird dem Publikum beim up-and-comingein sehr vielfältiges Filmprogramm angeboten, das es aus kommerziellen Gründen oft nicht (bzw. noch nicht) in die großen Kinos schafft. Durch das junge Alter der Filmschaffenden spricht das Festival ein entsprechend jugendlich geprägtes Publikum an. Es besteht ein hohes Identifikationspotenzial und der Zugang zu den Inhalten ist in der Regel einfach herzustellen.
Die Teilnahme von Schüler*innen am Festival wird durch Angebote wie Filmgespräche direkt nach den Filmblöcken besonders gefördert (dieses Format trägt den Titel „BASE CAMP SCHULE“). Die Zuschauer*innen werden hier als Expert*innen ernst genommen, indem sie eine Plattform zum Austausch ihrer Eindrücke erhalten.[17] Das beinhaltet natürlich auch, dass das Publikum mit verschiedenen jungen künstlerischen Positionen konfrontiert wird und sich mit diesen auseinandersetzen muss. So können – zwar ausgehend von der Institution Schule, aber dennoch außerhalb der festen institutionellen Strukturen und Curricula – Selbstbildungsprozesse angeregt werden, die zu der Erfahrung einladen, „dass auch alles ganz anders sein könnte“.[18]
das begleitprogramm
Mit seinen Begleitveranstaltungen schafft das up-and-coming, ergänzend zum eigentlichen Filmprogramm, Zugänge verschiedener Art, zum einen zur „Filmwelt“ im Allgemeinen, zum anderen zum Festival selbst. So gibt es unterschiedliche Formate, die zunächst dazu ermutigen / befähigen, (filmische) Erfahrungen zu machen, die jenseits des gewohnten Wahrnehmungsspektrums liegen. Darüber hinaus stellen sie aber auch Plattformen dar, um diese besonderen Erfahrungen zu thematisieren und zu vertiefen, indem sie ernst genommen werden.
Durch die Tätigkeit des sogenannten „Social Media-Camps“ werden die (potenziellen) Besucher*innen schon vor Beginn des Festivals aus ihrem eigenen, oftmals maßgeblich durch das Smartphone geprägten Lebensalltag abgeholt. So bespielt das Festival eigene Kanäle auf Instagram, Facebook und Youtube und hat einen eigenen Blog. Das up-and-coming passt sich mit diesem breiten Social Media-Auftritt seiner jugendlichen Zielgruppe an und schafft so eine geringschwellige Zugänglichkeit, die bei jedem einzelnen / jeder einzelnen auf dem eigenen Smartphone beginnt. Die Besonderheit beim „Social Media-Camp“ besteht darin, dass die Social Media-Redaktion während der Festivaltage aus einem Team aus 11 Jugendlichen besteht, die ihre persönlichen Eindrücke auf den verschiedenen Plattformen teilen können und gleichzeitig im professionellen Umgang mit den sozialen Netzwerken durch das eigene Ausprobieren geschult werden. Insofern besteht der bisher beschriebene Teilhabe-Impetus auch hinter den Kulissen des Festivals und nicht nur in Bezug auf die Filmemacher*innen und Besucher*innen.
Zur Einladung / Aktivierung der jungen Besucher*innen-Gruppen macht sich das up-and-comingüber die sozialen Netzwerke hinaus auch die etablierten Strukturen der Institution Schule zunutze. So können Schulklassen, die das Festival besuchen, im BASE CAMP SCHULE – begleitet durch Studierende – über ihre Erfahrungen mit den verschiedenen Filmen sprechen.[19] Darüber hinaus unterstützt das up-and-coming über das Programm „Taschengeldkino“ Fortbildungen für Lehrer*innen im Bereich der praktischen Filmarbeit. Natürlich stellt sich bei dieser engen Verknüpfung zur Schule immer die Frage, inwiefern das Prinzip der Freiwilligkeit, das in der Regel als Prämisse für kulturelle Bildung verstanden wird, noch erfüllt werden kann. Dementgegen kann argumentiert werden, dass das Ziel der Teilhabe in diesem Zusammenhang stärker zu gewichten ist, da durch die Ansprache der Jugendlichen über die Institution Schule gewährleistet werden kann, dass möglichst viele erreicht werden und dass es für den Festivalbesuch einen organisierten und betreuten Rahmen gibt. Gleichzeitig öffnet sich das Festival über das Fortbildungsprogramm auch für die zunächst eigentlich fachfremde Gruppe der Lehrer*innen und schafft damit aber auch die Grundlagen für eine nachhaltige Wirkung des Projekts, indem das Thema „Film“ mit all seinen Facetten über die schulischen Strukturen weiter in den Alltag der Jugendlichen hineinwirken kann.[20]
Andere Begleitangebote wie die Talks, die Ideenchecks oder die Melting Pots (Gesprächspanels zu ausgewählten Themen) richten sich explizit an die jungen Filmschaffenden selbst bzw. sind offen für alle Interessierten. Insgesamt geht es hier darum, Austausch- und Begegnungsplattformen zwischen erfahrenen Expert*innen aus der Filmbranche und dem Nachwuchs zu schaffen. Für die Ideenchecks (hier kann man in kleinen Runden eigene Filmideen vorstellen und sich dazu beraten lassen) ist eine vorherige Anmeldung notwendig; die anderen Angebote sind ohne Anmeldung und kostenfrei zugänglich.
perspektiven /
nach dem festival
Beim up-and-coming steht eine breite Auseinandersetzung mit dem Medium Film und der Produktion von eben diesem im Mittelpunkt. Jedoch ist das Festival auch ein Wettbewerb, sodass den verschiedenen Preisen und dem Prozess der Preisträger*innen-Findung ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit zu schenken ist, wenn man sich mit dem Festival insgesamt auseinandersetzt. Die Preise beim up-and-coming werden durch Fachjurys vergeben. Entsprechend gibt es keinen Publikums-Preis, was die Partizipationsmöglichkeiten der Zuschauer*innen in diesem Kontext zunächst einschränkt. Außerdem manifestiert sich über dieses Prinzip erneut die hierarchische Anordnung zwischen den erfahrenen, älteren Filmemacher*innen auf der einen und dem Nachwuchsbereich, über den geurteilt wird, auf der anderen Seite.
Um diese Dynamik aufzubrechen und den Gedanken der Teilhabe noch konsequenter zu vollziehen, wäre z.B. über den Einsatz einer Jugendjury nachzudenken. Dieses Format ist bei anderen Filmfestivals, wie z.B. den Kurzfilmtagen Oberhausen im Nachwuchsprogramm gängige Praxis.[21] Erklären ließe sich die Vorgehensweise des up-and-coming-Festivals jedoch dadurch, dass es hier um die Förderung von Nachwuchsfilmemacher*innen bzw. den Einstieg in die professionelle Branche geht und insofern der Einsatz von Expert*innen-Gremien als Voraussetzung dafür angesehen werden kann.
Die Jurys sichten die Wettbewerbsfilme gemeinsam mit dem Publikum, was für eine gewisse Transparenz der Jury-Arbeit sorgt und zum anderen die Zuschauer*innen als Mitschauende ernst nimmt. Die verschiedenen Preise sind unterschiedlich dotiert. Es gibt in allen Preiskategorien Geldsummen, aber z.B. beim Deutschen Nachwuchsfilmpreis auch Produzentenpatenschaften zu gewinnen. Das bedeutet konkret, dass die drei Preisträger*innen[22] Paten aus der Praxis erhalten, von denen sie bei der Planung und Realisierung ihres nächsten Projekts unterstützt werden. Die Gewinner*innen des International Young Film Makers Award werden in die masterclassfilm, ein internationales Netzwerk für junge Filmschaffende aufgenommen, was eine zusätzliche Sichtbarkeit ihrer Arbeit verschafft. Mit dieser Gestaltung der Preise bemüht sich das Festival um eine nachhaltige Wirkung. Denn durch ihren Event-Charakter ziehen Film-Festivals zwar Zuschauer*innen an, laufen aber dadurch auch Gefahr, langfristig wenig impulsgebend zu sein. Dass das up-and-coming dieser Tendenz konstruktiv entgegenläuft, lässt sich u.a. an den Erfolgsgeschichten von ehemaligen Teilnehmer*innen festmachen.[23]
Abschließend bleibt in Bezug auf das Filmschaffen die Frage, inwiefern das up-and-coming-Festival als reine Förder- und Vernetzungsmöglichkeit (einer Teilhabemöglichkeit) einer bereits bestehenden Nachwuchselite verstanden werden kann oder / und ob das Festival junge Menschen generell zum Filmemachen ermutigen / befähigen kann. Aus der bisherigen Analyse lässt sich diesbezüglich ableiten, dass die Motivation zum Filmemachen zwar durch den Besuch des Festivals angestoßen werden kann, die Befähigung, diesem Interesse nachzugehen, kann und sollte darüber hinaus aber auch in zentraler Weise in der Schule stattfinden. Dieses Potenzial versucht das up-and-coming u.a. durch die oben beschriebenen Lehrer*innen-Fortbildung auszubauen und zu nutzen.
fazit & reflektion
"Kullturelle Bildung kann als eine Form gesellschaftlicher Teilhabe erfahren werden“[24]. Diese Aussage Birgit Mandels zum Verhältnis von kultureller Bildung und Teilhabe scheint sich beim up-and-coming-Festival durch die inhaltliche und strukturelle Ausrichtung in besonderer Weise zu erfüllen. Denn durch die Öffnung des Festivals für junge Filmschaffende, die Möglichkeiten, Kontakte zu Expert*innen aus der Branche zu knüpfen, die niederschwellig gestalteten Zugänge zur Veranstaltung für die Besucher*innen, die nachhaltige Gestaltung der Wettbewerbspreise sowie durch die Kooperation mit Schulen (und gewiss noch weitere Aspekte) wird die Erfahrung von kultureller Bildung und Teilhabe (an einer Kulturveranstaltung, der professionellen Filmwelt, der Nachwuchsfilmwelt, gesellschafts-politischen Diskursen…) gleichermaßen ermöglicht. Teilhabe und kulturelle Bildung bedingen sich hier gegenseitig.
Gewiss gibt es noch andere, standardisierte Formen und Kriterien, um sich mit Teilhabe auseinanderzusetzen oder Teilhabechancen zu messen, die eine kritischere Auseinandersetzung mit Praxis-Beispielen ermöglichen als sie diese Ausarbeitung bietet. Die vorliegenden Gedanken sind hingegen eher als allgemeine Bestandsaufnahme bzw. Analyse von Tendenzen anzusehen, die Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen sein kann. Darüber hinaus bleibt die Frage offen, wo die Trennschärfe zwischen den begrifflichen Konzepten „Kulturelle Bildung“ und „(Kulturelle) Teilhabe“ liegt, wie diese zu formulieren wäre und in welchem Kontext eine Differenzierung zwischen beiden Konzepten überhaupt notwendig ist. ◀
Von Kristina Andabak & Christina Sandmeyer
[13] Folgende Preise werden verliehen: Der Deutsche Nachwuchsfilmpreis (beinhaltet Produzentenpatenschaften), der International Young Film Makers Award, der BundesSchülerFilmPreis sowie 2019 erstmals der Drehbuchpreis.
[14] Reinwand-Weiss 2012/13 – vgl. dazu auch Publikationen von Carmen Mörsch
[15] O.V. „Up-and-coming Intern. Film Festival Hannover“. In: FilmFreeway.
[16] Mandel, Birgit (2018): „Kulturvermittlung in klassischen Kultureinrichtungen: Ambivalenzen, Widersprüche und Impulse für Veränderungen“. In: Kulturelle Bildung Online.
[17] Exner, Christian (2012/13): „(Jugend-)Film in der Kulturellen Bildung“ In: Kulturelle Bildung Online.
[18] Reinwand-Weiss 2012/2013, zitiert nach: Mandel, Birgit (Hg.) (2005):
Kulturvermittlung zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft. Bielefeld: transcript.
[19] Siehe dazu auch 2.2.
[20] Im Kontext von Film(-Festival) und Schule gibt es noch die Begleitprojekte filmklasse-deutschland und ODYS SEE im Filmraum. Aufgrund der thematischen Fokussierung werden diese in der vorliegenden Auseinandersetzung jedoch nicht weiter berücksichtigt
[21] Internationale Kurzfilmtage Oberhausen. Kinder- und Jugendfilm.
[22] Bei der Vorauswahl werden die eingesendeten Filme den drei Altersgruppen bis 16, 17 bis 22 und 23 bis 27 Jahre zugeordnet. Sowohl beim Deutschen als auch beim internationalen Nachwuchsfilmpreis werden jeweils drei Filme ausgezeichnet. Dabei wird versucht, die drei Altersgruppen gleichermaßen zu berücksichtigen.
[23] O.V. „up-and-coming ist eines der erfolgreichsten Nachwuchs-Filmfestivals“. In: Das ist up-and-coming.
[24] Mandel 2018
Ein Beitrag von Julia Andreyeva und Julia Valerie Zalewski