THEATER IN CORONA-ZEITEN

 

 

Wie probt man unter Corona- Bedingungen?

Theater auf Abstand, funk­tio­niert das überhaupt? 

Chef­dra­ma­turgin Eva Veiders erzählt von ihren Erfah­rungen am 

Rhei­ni­schen Landes­theater in Neuss.

Eva, du bist Chef­dra­ma­turgin und stell­ver­tre­tende Inten­dantin am Rhei­ni­schen Landes­theater in Neuss. Am 13. Juni hattest du deine erste ‚Corona-Premiere‘ mit dem Lieder­abend ‚Out of time – Die mit Abstand besten Songs‘. Kannst du unseren Leser*innen kurz erzählen was ein Lieder­abend ist und wie es dazu kam, dass ihr euch für diesen Lieder­abend entschieden habt? 

Also, nachdem wir erfahren hatten, dass wir unter bestimmten Auflagen für eine bestimmte Anzahl an Zuschaue­rinnen und Zuschauern spielen dürfen, gab es zwei Tage, an denen wir über­legt hatten: Können wir das schaffen? Und wenn ja, unter welchen Umständen und was wollen wir dann zeigen. Dann wir haben gedacht, dass es Quatsch ist, Stücke wieder­auf­zu­nehmen und fort­zu­setzen, als ob nichts gewesen wäre. Dadurch, dass man sich in so einer beson­deren Lage befindet, sollte Theater auf diese Lage direkt reagieren. Also haben wir uns gefragt: Was haben die Leute für Bedürf­nisse, was inter­es­siert sie jetzt? Dann haben wir einen kleinen Spiel­plan mit sechs Schau­spie­le­rinnen und Schau­spieler, die wir aus der Kurz­ar­beit holen durften, gemacht. Wir haben uns zum Beispiel für Becketts ‚Glück­liche Tage‘ entschieden, also Lite­ratur, wo die Paral­lelen zur Corona Situa­tion klar sind, und dann für einen Unter­hal­tungs­zu­gang — und das war dann der Lieder­abend. Und bei einem Lieder­abend, ich weiß nicht, ob es dafür eine genaue Defi­ni­tion gibt, wird mit einer Zusam­men­stel­lung von Songs ein Thema beleuchtet oder eine Geschichte erzählt.

Portrait
Eva Veiders, Foto: Jochen Quast 
Während der Proben hattet ihr beson­dere Sicher­heits­be­stim­mungen und Abstands­re­geln. Wie seid ihr, bist du in Neuss vorge­gangen? Was waren die neuen Spielregeln? 

Wir haben zum Proben­be­ginn erst einmal von dem Corona-Beauf­tragten, der sich im Vorfeld auf allen Kanälen schlau gemacht hat, eine Sicher­heits­ein­füh­rung bekommen. Dass man sich darüber Gedanken macht und dass man vor allem eine Atmo­sphäre stiftet, in der jede und jeder sagen darf, wenn er oder sie sich unwohl fühlt. Denn es gibt Regeln, die man strenger sehen kann oder weniger streng. Mancher fühlt sich da sicherer und ein anderer nicht. Da haben alle ein unter­schied­li­ches Bedürfnis und es war wichtig, dass man darüber spricht. Dass sich keiner schämt zu sagen: Das ist mir trotzdem zu riskant. Sondern, dass man alle ernst nimmt und verant­wor­tungs­voll damit umgeht. Und ich glaube, das war eigent­lich das Wich­ti­gere im Vergleich dazu, dass man jetzt beson­dere Regeln wie Hände desin­fi­zieren, Abstand einhalten und keine Requi­siten weiter­rei­chen, einhalten muss. Und in den Proben, in denen es oft heißt: ‚Stellt euch mal zusammen in den Kreis, kommt nah zusammen, hört aufein­ander.‘ Damit umzu­gehen war wirk­lich schwer. Und das war in den Proben ein dauer­hafter Stress­faktor. Es war auch so, dass ich häufig gedacht habe, die Bühne ist zu klein. Es sind zu viele Leute. Da war viel äußerer Druck. Und trotzdem war es aber gut, es zu machen.

Ensemble RLT Neuss, Foto: Simon Hegenberg 
Der Lieder­abend, den du dann konzi­piert hast, erzählt von einem teils amüsanten, teils ernsten Wech­selbad der Gefühle, das viele Menschen während der Quaran­täne Zeit erlebt haben. Wie hast du die Konzep­tion entwi­ckelt? Und welche Auswir­kungen hatten die Abstands­re­geln auf deine künst­le­ri­sche Arbeit? 

Als die Idee im Raum stand einen Lieder­abend zum Thema Corona zu machen, habe ich sofort gemerkt, dass mir zum Thema Einsam­keit und Sehn­sucht viel einfällt. Ich glaube, die Quaran­täne Zeit war für alle eine prägende Erfah­rung. Für viele auch eine schwere Zeit. Ich kenne Leute, die haben gesagt, das war für mich eine tolle Zeit. Ich konnte entschleu­nigen und das fand ich super. Und es gab Leute, die richtig gelitten haben unter der Isola­tion oder auch unter der Angst, sich anzu­ste­cken oder unter den wirt­schaft­li­chen Folgen. Also alles in allem eine kompli­zierte Situa­tion. Und wir haben von Anfang an immer gesagt: Wer weiß, ob das in zwei Wochen noch aktuell ist? Und dann muss man durch­atmen und sich denken: Ok, du stehst jetzt vor einer riesigen Aufgabe, das kannst du mit einem Lieder­abend gar nicht umfas­send reflek­tieren. Du kannst dir einen Bereich raus­su­chen und dich dafür entscheiden. Da habe ich gedacht, dass dieser emotio­nale Zugang, ‚ich erlebe ein paar Wochen der Einsam­keit‘, der Weg ist. Wie kann man aus diesen relativ schwie­rigen Gefühlen wieder Kraft schöpfen, um damit sinn­voll umzu­gehen? Was bedeutet das eigent­lich in einer Gesell­schaft, einer Gemein­schaft zu leben und was ist meine Rolle darin und was kann ich tun und bewirken? Sozu­sagen über die persön­li­chen Gefühle wieder hinaus zu kommen und sich da verant­wor­tungs­voll zu zeigen und viel­leicht sogar empa­thi­scher, als man es vorher war. Das war die Grund­idee dazu und das fand ich erzäh­lens­wert. Ich habe mich dann mit dem musi­ka­li­schen Leiter darüber verstän­digt, wie die Songs eine sinn­volle Geschichte ergeben könnten. Wie wir die angehen wollen, wie die Songs klingen sollen. Welche emotio­nale Kurve soll das Ganze noch nehmen? Ich hatte von Anfang an die Idee, dass es ein stummes Spiel geben soll von jemanden der diese Quaran­täne Zeit allein zu Hause erlebt. Dass seine Gefühls-Achter­bahn erzählt wird, und die Songs seine Stimmen im Kopf sind. Musik als Erin­ne­rung, als Kommentar oder Gedanke, der einen moti­viert etwas zu tun, der einen in eine tolle Stim­mung versetzt, traurig oder verrückt macht.

Ensemble RLT Neuss, Foto: Simon Hegenberg 
Und die Bühne hast du auch selbst konzi­piert, richtig?   Ja, das ist alles dem Umstand geschuldet, dass wir kein Personal hatten. Es gibt dieses Video von REM ‚Ever­y­body hurts‘, da sind die Leute alle in einem Stau einsam. Und deswegen kam ich auf diese kleinen Podest-Inseln. Dass sich jede und jeder auf ihrem oder seinem eigenen kleinen Planeten befindet und da nicht wegkann. Dann braucht man keine Wohnung auf der Bühne, sondern sie müssen die ganze Zeit mit diesem Abstand spielen. Es gibt nichts zu verste­cken, man sieht alle tech­ni­schen Ausstat­tungs­ge­räte, nichts ist verkleidet. Das fand ich eine gute Ästhetik dafür und es war irgendwie ein sehr bespiel­bares Konzept. 
Ensemble RLT Neuss, Foto: Simon Hegenberg 
Der Titel des Lieder­abends beinhaltet ja ein schönes Wort­spiel „‚Out of Time‘ — Die mit Abstand besten Songs“. Den Abstand musste auch das Publikum im Schau­spiel­haus wahren. Wie siehst du persön­lich die Zukunft des Thea­ters während der noch immer andau­ernden Covid-19 Pandemie? Also, es zeigt sich ja der Trend, anders als man am Anfang dachte, dass sich die meisten Theater bemühen nicht nur den Digi­ta­li­sie­rungs-Weg zu gehen, sondern dass wir versu­chen das zu tun, was wir können, nämlich analog zu spielen, auch wenn es für weniger Leute ist. Dass wir versu­chen Theater zu machen und versu­chen möglichst char­mant damit umzu­gehen, indem man viel­leicht neue Orte wählt oder mit Abstands­re­geln auch für das Publikum umgeht. Wir planen jetzt auch schon die nächste Spiel­zeit da wurde schon mit den Regie­teams gespro­chen, ob sie das Stück unter Corona Bedin­gungen verwirk­li­chen können. Für die ersten Produk­tionen haben die Regis­seu­rinnen und Regis­seure zuge­sagt und ich glaube, da können auch groß­ar­tige Sachen entstehen. Aber auf lange Sicht, ist meine persön­liche Meinung dazu, dass Theater von Nähe lebt. Das wird nicht so sein, dass man denkt: Wow, da sind so groß­ar­tige, neue Erzähl­formen entstanden. Natür­lich kann man auch mal eine Liebes­ge­schichte über Distanz spielen, aber dieser Moment, dass zwei Menschen sich berühren, ist uner­setzbar. Ich glaube eher, dass man viel mehr wert­schätzt, was man hat. Die Möglich­keiten, die wir haben und dass wir über­haupt spielen dürfen, dass über­haupt Publikum da ist. Ich finde das nicht so schlimm, wenn nicht viele Menschen im Zuschau­er­raum sitzen. Aber dass man zumin­dest spürt, es kommt etwas zurück, das ist uner­setz­lich. Das ist eben das Groß­ar­tige an Theater und ich glaube, dass wir dafür kämpfen müssen, weiterhin durch die Krise Theater verwirk­li­chen zu dürfen. Das Inter­view führte Sarit Streicher. 
Ensemble RLT Neuss, Foto: Simon Hegenberg 
Trailer zur Produktion