Also, fast. Abgesehen davon, dass wir uns inmitten einer weltweiten Pandemie befinden, die alle Bereiche öffentlichen Lebens lahmlegt und der von mir gesuchte Raum deshalb nur virtuell existiert. Wäre ich jetzt auf dem Campus, würde ich einfach die nächste Person, die vorbeiläuft, um Rat fragen. Stattdessen sitze ich – wie alle anderen auch – alleine in meinem Zimmer vor dem Laptop. Erneut durchforste ich meine diversen Nachrichtenkanäle nach dem Zugangslink für das Online-Meeting per Webcam, doch auch diesmal vergebens. Ich bin völlig ratlos. So viel also zum Thema Schwerpunktfach Medien. Ohne allzu große Hoffnung schicke ich einen letzten Hilferuf via Instagram Story an meine digitale Community, über die ich gerade mehr denn je mit Menschen in Kontakt stehe. Es ist schon verrückt, wie wichtig soziale Medien als Tor zur Außenwelt plötzlich geworden sind. Doch auch dort weiß niemand etwas. Ich schaue ein Katzenvideo.
Studieren während Corona ist etwas völlig anderes. Zoom, Jitsi oder Big Blue Button lauten die verheißungsvollen Namen der Plattformen, die den Unterricht trotz Social Distancing ermöglichen sollen. Für uns Studierende am Kulturcampus Domäne Marienburg der Universität Hildesheim hat die Lehre auf Distanz einen besonders bitteren Beigeschmack. Diesen Sommer hätte das Projektsemester stattfinden sollen, in dem das praktische Arbeiten innerhalb der Künste und Medien noch einmal mehr als sonst im Fokus steht. Das alles ist jetzt auf den Sommer 2021 verschoben worden. Auch private Theater- oder Filmprojekte von Studierenden wurden Hals über Kopf auf Eis gelegt. Der Frust ist riesig.
Zum Haare raufen: Ganz so einfach wie gehofft, ist der Wechsel zur digitalen Lehre leider nicht. (© Foto: Nora Fischer)
Obwohl das Semester gerade erst begonnen hat, wird schon seit Wochen im Freundeskreis und im Netz diskutiert: Von Präsenz- zu Fernlehre – geht das überhaupt? Darf das als vollwertiges Semester gelten? Im Netz befindet sich eine Petition in Umlauf, die ein „Nicht-Semester“ oder „Fleximester“ fordert, damit gerade Studierenden in prekären Arbeitsverhältnissen, mit Kindern oder in Care-Berufen keine Nachteile entstehen. Auch in puncto technischer Umsetzung gibt es kritische Stimmen. Werden unsere Daten ausreichend geschützt? Können die erforderlichen Zugänge zu einem Computer und zum Internet als Bestandteil einer digitalisierten Gesellschaft einfach so vorausgesetzt werden? Wen schließen wir von akademischer Bildung aus? Warum werden diese Fragen erst jetzt gestellt? Parallel dazu kursieren panische Gesuche nach Literatur, um die letzten Hausarbeiten trotz der geschlossenen Bibliotheken noch fertigzustellen. Der Kampf um Ressourcen geht auch unter Akademiker*innen weiter. Nicht nur auf Netflix benehmen sich einige, als wären sie im Raubtiergehege.
Nach einer halben Stunde habe ich den Link zum Seminar tatsächlich gefunden. Aber sich jetzt mittendrin dazu schalten? Zu spät kommen ist online noch unangenehmer als offline. Schließlich richten sich etwa zwanzig Augenpaare permanent auf das Browserfenster, in dem man plötzlich erscheint. Das bis zur Perfektion eingeübte In-den-Raum-schleichen ist ab jetzt keine Option mehr. Dann lieber hoffen, dass man in der nächsten Woche noch Anschluss findet.
Bei dem Gedanken daran, was mir nun alles entgehen könnte, werde ich unruhig. Im Laufe des Tages besuche ich zwei weitere Seminare und kann mir endlich selbst einen Eindruck verschaffen. Zugegeben, ich habe Bademäntel und Menschen in Betten erwartet. Jemand liegt in einer Hängematte, ansonsten sehen aber alle sehr normal und aufnahmebereit aus. Es tut gut, in diese vertrauten Gesichter zu schauen.
Trotzdem wird schnell deutlich, dass unser Arbeiten hier auf Sparflamme läuft. Die Gespräche kommen nicht recht in Schwung, mal reden alle, mal niemand. Dabei habe ich unsere Gesprächskultur immer als sehr ausgereift empfunden. Die allgemeine Verunsicherung ist spürbar. Gerade in praxisbezogenen Veranstaltungen fühle ich mich ausgebremst. Räumlich getrennt einen Podcast zu produzieren und dabei frei auch über private Themen zu sprechen, mit Kommiliton*innen, die ich nie zuvor gesehen habe? Ich stelle mir das alles schwierig vor. Vieles an unserem Campus lernen wir durch wildes Ausprobieren. Wild ist hier gar nichts. Doch nicht nur wir Studierenden, auch die Dozierenden kämpfen mit der neuen Situation. Schließlich kennt Technik keine Hierarchien und macht allen das Leben schwer. Ständig sind Bild und Ton gestört, die Verbindung bricht ab oder man wird gar nicht erst zugeschaltet. Bereits an Tag eins ist der Server überlastet. Einige Dozierende schmeißen schon nach der ersten Sitzung das Handtuch und verteilen Aufgaben wieder ganz „oldschool“ per Mail.
Daneben gibt es noch weitere Störquellen: Kinder, Haustiere und Mitbewohner*innen laufen durchs Bild und erinnern uns daran, warum Arbeit und Freizeit in unserer Gesellschaft normalerweise räumlich getrennt stattfinden. Aber auch daran, dass wir alle nur Menschen sind, die noch weitere Aufgaben im Leben haben und oft unterschiedliche Rollen erfüllen müssen. Dass wir gezwungen sind, unsere Privaträume – zumindest einen Ausschnitt davon – miteinander zu teilen, ist unangenehm. In der Großaufnahme erscheinen mir die Gesichter der anderen, wenn auch nur auf dem Bildschirm, näher als sonst. Es ist beinahe intim. Ich muss an die Abhandlungen des Filmkritikers Béla Balázs denken, in der er die Großaufnahme als revolutionäre Dimension der Filmkunst beschreibt. Laut Balázs eröffnet diese Einstellung einen Zugang zur Physiognomie des Menschen, die sogar die unbewussten inneren Dialoge und Facetten des menschlichen Wesens widerspiegelt. Also doch was gelernt, denke ich.
Am Ende des ersten Tages bin ich erschöpft. Meinem Umfeld ergeht es ähnlich. Alle haben den Eindruck, dass das Pensum an Hausaufgaben und zu lesenden Texten eher noch erhöht wurde, obwohl wir ja nicht weniger, nur eben anders präsent sind. Es mangelt an Motivation aufgrund des fehlenden Kontaktes zueinander. Das Wort „Selbststudium“ bekommt jetzt eine ganz neue Dimension und auch für mich ist dieser Einzelkämpfer*innenmodus nur zu ertragen, weil er eine Ausnahme ist. Denn das ist er, und es wird auch wieder anders sein: kollektiver, wilder, handgemachter.
Vielleicht ist die Situation nicht so, wie wir uns diesen Sommer vorgestellt haben und für einige bedeutet die Isolation eine immense psychische Belastung. Für mich selbst ist sie zumindest erträglich. Angesichts vieler Menschen, deren wirtschaftliche Existenz gerade auf dem Spiel steht, die sich in Flüchtlingslagern aufgrund der katastrophalen Hygienebedingungen nicht vor einer Ansteckung schützen können oder die an allen Fronten von früh bis spät im Dauereinsatz sind, empfinde ich Demut als unerlässlich. Ich bin mir dessen bewusst, wie privilegiert meine Lage ist.
Obwohl hier gerade kein Unterricht stattfindet, zieht es die Studierenden der Domäne Marienburg bei gutem Wetter zu „ihrem“ Campus. (© Foto: Clara Wiese)
…und bei euch so?
Wie sieht euer Home-Office aus?
"Aufstehen, Frühstücken, an den Schreibtisch setzen…"
"Aufstehen, Frühstücken, an den Schreibtisch setzen, oh, die Straße vor meinem Haus ist ja gerade busy, ach, schau mal, mein Nachbar ist da, ich wink mal, vielleicht sieht er mich, ach, wenn ich jetzt schon im Fenster sitze, kann ich auch rauchen, hey, willst du mitrauchen, plötzlicher Deep Talk am Vormittag, ach, who are kidding, am späten Mittag, stimmt, ist ja schon Mittag, ich könnte eigentlich was essen, ich meine, man muss sich ja stärken, also erst mal kochen, noch eine Folge 'Riverdale' zum Essen, okay, ab zurück an den Schreibtisch, Buch aufklappen, feststellen, dass ich eigentlich ein anderes Buch aus der Bib brauche, okay, dann bis morgen warten, kann ich dann jetzt überhaupt was machen, hmm, erst mal rauchen, lange das Dokument anstarren, vielleicht hilft es, die Position zu wechseln, also aufs Sofa, ah, meine Pflanzen brauchen Wasser, wenn ich das nicht jetzt mache, vergess ich es, und ein Snack geht eigentlich auch, okay, zurück, im Liegen schreiben ist irgendwie unbequem, vielleicht gehts besser auf dem Sessel, ah, ja, top, könnte mal meine Mails zum dreißigsten Mal heute checken, was geht auf Twitter, Facebook, Instagram, das ist ja auch spannend, okay, back to work, hundert Wörter schreiben, puh, erst mal dieses 100 Wörter drei Mal überarbeiten, Mitbewohnerin kommt zum sechsten Mal random in mein Zimmer, wir waren heute noch nicht draußen, na, das ist wichtig, Laptop zu, denk an die Maske, erst Mal ne Runde spazieren gehen, plötzlicher Deep Talk am frühen Abend, nach zwei Stunden nach Hause weil wir richtig doll Hunger haben, also kochen, eine Folge 'Riverdale' noch, komm, noch eine, ach, ich schaff heute eh nichts mehr, mach ruhig den Wein auf, noch eine Folge 'Riverdale', okay, ich versuch jetzt noch mal was zu machen, aber ich setz mich schon mal ins Bett, ist beqeum, also, ach, naja, ich glaube, ich schlaf jetzt einfach eine Nacht drüber."
© Foto & Text: Janina Laßmann (BA Szenische Künste)
„Konzentration be like…“
„Konzentration be like…“
© Foto & Text: Carina Isabelle Kluge (MA Inszenierung der Künste und Medien)
„Home Office / Uni. Das ist, wenn…"
„Home Office / Uni. Das ist, wenn die Versuchung viel zu groß ist im Schlafanzug vor dem PC zu sitzen und statt zuzuhören lieber Mandala-Malen passiert. Oder in der mündlichen Prüfung über Zoom mit den Dozierenden über die schönen alten Altbautüren im Hintergrund philosophieren. Oder die Mitbewohnerin in der Küche vor PC und Webcam sitzen sehen, während sie nebenher nen Teig in der Schüssel knetet. Oder wenn die beiden Mitbewohnerinnen im Nebenzimmer zusammen an einem Blockseminar teilnehmen und ein komisches, anderes räumliches Gefühl aufkommt. Physisch zu zweit im virtuellen Raum mit anderen. Nicht allein — vielleicht eine gute Strategie gegen die Einsamkeit vor dem eigenen PC.“
© Foto & Text: Marlene Richert (BA Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis)
"Vor der allerersten online-Sitzung…"
Vor der allerersten online-Sitzung habe ich meinen Schreibtisch so vor eine weiße Wand platziert, dass niemand mein Zimmer sehen kann. Dann hatte ich auch mehr Platz für Yoga. Die meisten Seminare sind aber ohne Kamera, ich liege also in meiner Hängematte und höre einfach zu.
© Foto & Text: Thomas Schmale (BA Szenische Künste)
Ich starre auf den Bildschirm
Ich vermisse den Weg zur Uni. Ich vermisse das zufällige Treffen von Personen auf dem Unigelände. Ich vermisse es Blicke im Seminar auszutauschen. Ich vermisse es spät dran zu sein. Ich vermisse das gemeinsame Warten auf dem Boden vor einer Bürotür. Ich vermisse es den tuschelnden Kommiliton*innen im Seminar einen Blick zuzuwerfen. Ich vermisse es zur Uni zu fahren um dann zu merken, dass die Übung nur alle zwei Wochen stattfindet. Ich vermisse die kleine Wiese wo ganz selten mal eine kleine Maus zu sehen ist. Aber vor allem, wenn sich dort immer neue kleine Gruppen bilden um zusammen zu essen, zu quatschen und sich gegenseitig zu erzählen, dass sie noch schnell in den einen oder anderen Text rein schauen müssen. Ich vermisse es, wenn ich zum Essenswagen sprinte und als eine der ersten Essen 2 von Conni bekomme. Ich vermisse auch wenn im Hofcafé die Person vor mir den letzten Studierendenteller bekommt und ich deshalb mit einem Laugencroissant und einem Schokoriegel ganz langsam zum Seminarraum spaziere. Ich vermisse das immer wieder sagen müssen, dass ich jetzt eigentlich schnell weiter zur Sprechstunde muss. Ich vermisse zu fragen, ob die Institutsküche für dieses oder jenes mitgenutzt werden könnte.
Ich vermisse das Gemeinsame. Einmal gemeinsam in 101 oder im Kartoffelwaschhaus sitzen und gemeinsam lachen. Nur ganz kurz. Das wäre es eigentlich. Das wäre perfekt.
© Foto & Text: Sonja Schütte (MA Inszenierung der Künste und Medien)
"Studieren im digitalen Semester…"
© Collage & Text: Julia Zalewski (MA Kulturvermittlung) & Philipp Rösler