Du bist (es) nicht allein – Ein Essay über das Studieren mit Depression
In der vertieften Auseinandersetzung mit der eigenen Depression steckt therapeutisches Potential. So können falsche Vorstellungen von psychischen Erkrankungen dekonstruiert und ein gesellschaftliches Verhältnis offenbart werden. Wie aber lernt man, das Problem nicht nur in eigener Dysfunktionalität zu sehen?
Collage: Jonas Galm
Im Zuge des Diskurses um die Folgen der Corona-Pandemie ist auch das Thema der psychischen Gesundheit vermehrt in den Fokus gerückt. Wie einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation zu entnehmen ist, wurde schon im ersten Jahr der Pandemie ein Anstieg von Depressionen und Angststörungen um 25 % festgestellt.[1] Auch auf die psychische Gesundheit von Studierenden hat sich die Pandemie nachweislich ausgewirkt. Eine Umfrage der Universität Mainz aus dem Jahr 2020 gibt an, dass sich ein Viertel der Studierenden in der Pandemie derart belastet fühlte, dass sie psychosoziale Hilfe wünschten.[2] Doch das Thema der psychischen Gesundheit im Kontext eines Studiums ist nicht erst seit der Pandemie relevant.
In Deutschland gibt es 422 Hochschulen mit ungefähr 2,92 Millionen immatrikulierten Student*innen.[3] Laut einer Studie der Barmer litten circa 470.000 davon schon vor der Pandemie an einer Depression oder Angststörung – somit jede*r sechste Student*in.
Ich bin einer von ihnen.
Im Folgenden will ich einen Eindruck davon geben, warum sich das Leben und Studieren mit Depression oftmals anfühlt, als würde man in einer Art komprimierten Realität leben und wie ein Umgang damit möglich ist.
Die Depression als diagnostizierbare Krankheit
Das Bundesministerium für Gesundheit gibt an, dass depressive Störungen in Deutschland zu den häufigsten Erkrankungen gehören. Zwischen 16 und 20 % der Bevölkerung leiden mindestens einmal in ihrem Leben an einer Depression oder einer chronisch depressiven Verstimmung (Dysthymie).
Für die ärztliche Diagnose von Depressionen wird zwischen drei Haupt- und sieben Nebensymptomen unterschieden. Gedrückte, depressive Stimmung in Form einer Stimmungseinengung bis zur Gefühllosigkeit, Interessenverlust und Freudlosigkeit, Antriebsmangel und erhöhte Ermüdbarkeit gelten dabei als Hauptsymptome. Als Nebensymptome werden folgende Symptome benannt: Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Minderwertigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken oder ‑handlungen, Schlafstörungen und verminderter Appetit.[4]
Liegen über zwei Wochen oder länger mindestens vier dieser zehn Symptome vor – darunter mindestens zwei Hauptsymptome und zwei Zusatzsymptome –, spricht man von einer depressiven Episode.[5] Anhand der Ausprägung der Symptome und den damit verbundenen Konsequenzen für das Leben des*der Betroffenen wird bei der Diagnose zwischen leichten, mittelgradigen und schweren Depressionen unterschieden. [6]
Depressionserfahrungen als Form einer komprimierten Realität
Komprimiert: nur das Wesentliche enthaltend[7]
Synonyme: gedrängt, gerafft, zusammengefasst[8]
Zu Beginn einer depressiven Episode treffen bei mir zumeist schon alle Haupt- und Nebensymptome außer die der Suizidgedanken zu. Dabei treten die Symptome aber in einer abgeschwächten Form auf. Symptome wie Minderwertigkeitsgefühle, Kraftlosigkeit oder Stimmungseinengungen wechseln sich genauso in Intensität ab wie Nebensymptome in Form von Schlaflosigkeit oder Appetitverlust.
Wenn es mir dann richtig schlecht geht – und es zu einer Art Peak der Episode kommt – ist es mir kaum mehr möglich, die einzelnen Merkmale kategorisch auseinanderzuhalten, geschweige denn diese sprachlich genau zu fassen. Ich bin dann nicht mehr in der Lage zwischen Haupt- und Nebensymptomen zu unterscheiden, sondern mein ganzes Empfinden ist ein einziges Hauptsymptom. Viele Betroffene erleben während einer depressiven Episode eine Art Abkehr von jeglichem Gefühl, einen Gefühlsverlust. Bei mir ist viel eher das genaue Gegenteil der Fall: Je näher ich dem Peak einer depressiven Episode komme, desto mehr fühle ich. Ich fühle alles und gleichzeitig nur noch eins. Dieses Eine ist dabei für mich lange ungreifbar geblieben, kaum in Worte zu fassen. Es gibt massenweise Metaphern für depressive Zustände: man denke an Glasglocke, Echokammer ecetera. Für mich und meine Depression finde ich keines dieser Worte passend. Schon oft habe ich versucht zu erklären, wie es sich anfühlt, depressiv zu sein und bin dabei immer an die Grenzen meiner (sprachlichen) Möglichkeiten geraten. Die genannten Symptome treffen zwar zu und dennoch verkommen sie im Vergleich zum realen Erleben zu leeren Worthülsen. Deshalb spreche ich hier über meine Depression als Form von komprimierter Realität.
Im Peak einer depressiven Episode bündeln sich die genannten Haupt- und Nebensymptome zu einem großen Ganzen, Begrifflichkeiten wie Leid, Trauer, Schmerz ecetera verdichten sich zu einer Ganzheit und nehmen mich vollkommen ein, füllen mich vollkommen aus und lassen mich handlungs- und bewegungsunfähig zurück. In diesem Sinne fühlt sich eine depressive Episode wie eine komprimierte Realität an. Die Depression wird zum Wesentlichen, meine Umwelt und ich verschmelzen zu einer einzigen Leiderfahrung. Die Leiderfahrung wird zum bestimmenden Prinzip der eigenen Realität, drängt und rafft die Realität auf diese Leiderfahrung zusammen und das reale Erleben wird darauf komprimiert. Der Peak einer depressiven Episode, dieser Form komprimierter Realität, dauert bei mir meistens einige Tage an, selten einige Wochen. In diesen Zeiten nehme ich kaum Nahrung zu mir, schlafe so gut wie gar nicht, kann nicht vor die Tür gehen, geschweige denn meine Pflichten des Alltags erledigen.
Die Pflichten des Alltags oder die zweite Ebene einer komprimierten Realität
Neben den Pflichten der allgemeinen Lebensführung ergeben sich für mich als Student noch weitere „Pflichten“ (Pflichten hier in Anführungszeichen gesetzt, da diese zwar auf einer gewissen Freiwilligkeit basieren – niemand zwingt mich zum Studieren –, aber dennoch geleistet werden müssen). Dazu gehören das Besuchen von Vorlesungen, Seminaren und Übungen, die Vor- und Nachbereitung dieser und das Erbringen von Studien- und Modulleistungen. Diese Pflichten während einer depressiven Episode zu erbringen, gestaltet sich als nahezu unmöglich. Sie während des Peaks einer depressiven Episode zu erbringen ist unmöglich. In der Konsequenz bedeutet das: gewisse Univeranstaltungen nicht besuchen zu können, nicht fähig zu sein diese vor- oder nachzubereiten, die Verkürzung von Bearbeitungszeit von Studien- und Modulleistung, Fristen für deren Abgabe zu verpassen.
Diese Konsequenzen haben wiederum weitere Konsequenzen zur Folge. Hier lässt sich zwischen langfristigen und kurzfristigen Konsequenzen unterscheiden – wobei beide miteinander zusammenhängen. Als langfristige Konsequenzen lassen sich diejenigen verstehen, die nicht unmittelbar nach einer depressiven Episode zum Tragen kommen und auf die zum Ende des Textes nochmal ausführlicher eingegangen werden soll. Nur so viel schon jetzt: Ich bin durch meine Depression zum Langzeitstudent geworden, habe dadurch mein Anrecht auf BAföG verloren und muss Langzeitgebühren bezahlen (wer hätte es gedacht: die Sache mit dem Geld spielt eine erhebliche Rolle).
Als kurzfristige Konsequenzen können die Konsequenzen verstanden werden, die unmittelbar nach einer depressiven Episode zum Tragen kommen. Sie sind damit direkte Konsequenzen einer Arbeitsunfähigkeit. Sie gestalten sich so aus, dass ich jedes Mal nach einer depressiven Episode vor einem riesigen Berg an Arbeit – und somit eigentlich schon wieder vor einer nächsten Episode – stehe. Dieser Berg an Arbeit speist sich nicht nur aus der tatsächlichen Arbeit des Nachholens, sondern ebenso aus emotionaler Arbeit. Emotionale Arbeit in Form von Umgang und Verarbeitung der vorangegangenen depressiven Episode und in Form von Bearbeitung des Schamgefühls, schon wieder nicht genug geleistet zu haben. Denn obwohl ich mittlerweile weiß, dass ich nichts dafür kann, depressiv zu sein, wohnt jeder depressiven Episode auch immer eine Spur Versagensgefühl inne. Der Berg an Arbeit hat somit eine doppelte Wirkung auf mich: Er zeigt auf, wie viel vor mir liegt und, wie viel ich während meiner depressiven Episode vernachlässigt habe.
Ständig das Gefühl zu haben, die Konsequenzen für die eigene Depression ausbaden zu müssen, bildet somit – neben der Ebene eines realen Erlebens von expliziten Leiderfahrungen – eine zweite Ebene komprimierter Realität. Da, wo das explizite Leid in einer depressiven Episode meine Realität auf die Depression komprimiert, komprimieren die kurzfristigen wie langfristigen Konsequenzen der depressiven Episode in der Phase nach einer depressiven Episode (und darüber hinaus) meine Realität auf die Depression.
Ich befinde mich also in einem Teufelskreis aus Depression und Konsequenz der Depression. In den nachfolgenden Abschnitten werde ich nachzeichnen, dass dieser Teufelskreis von vielen Student*innen geteilt wird, warum er systemisch bedingt ist und mich der Frage widmen, ob man diesen durchbrechen kann.
Nicht allein im Teufelskreis
Die Zahl depressionserkrankter Menschen in Deutschland steigt seit Jahren und wird wohl auch weiterhin steigen. Dabei sind vermehrt junge Menschen betroffen. Besonders unter Studierenden sind Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen weit verbreitet. So ist aus einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) von 2017 zu entnehmen: Eine*r von vier Studierenden gibt an, unter einem hohen Stresserleben und Erschöpfung zu leiden. Auch die Anzeichen depressiver Syndrome sind keine Seltenheit mehr.
Die eingangs angebrachte Studie der Barmer zeigt die Auswirkungen davon auf: Jeder vierte Mensch zwischen 18 und 25 leidet an Depressionen oder Angststörungen. Selbst bei Studierenden, die lange als „gesunde“ Gruppe galten, ist jede*r sechste betroffen (ca. 470.000 Personen). Wenn man die Zahlen mit denen von vor einigen Jahren vergleicht, so lässt sich konstatieren, dass es von 2005 bis 2018 einen Anstieg von 72 % der depressiven Episoden unter Student*innen gab. Demnach ist die Betroffenenanzahl stark gestiegen.[9]
Aus der zitierten Barmer-Studie lässt sich schließen, dass die Erkrankungsrate von psychischen Erkrankungen, insbesondere von Depressionen, im Laufe eines Studiums deutlich ansteigt. In einem Artikels des freitag berichtet ein Betroffener: „Mit einer damals weniger präsenten Vorbelastung ging ich ins Studium. Dort stieß ich auf Probleme; meine Vorbelastung trat deutlicher hervor, erschwerte das Studium – und dies wiederum verschlimmerte die Symptome.“[10]
Im Zuge der Corona-Pandemie hat sich die Lage weiter verschlechtert. In Deutschland haben 43 der 57 Studentenwerke eine psychologische Beratungsstelle. Mit Beginn der Pandemie kam es zu einer derartig erhöhten Inanspruchnahme, dass diese an vielen Standorten zur Überlastung der Beratungsstrukturen geführt hat.[11]
Schon 2020 kam es zu einer deutlich gesteigerten Nachfrage. So ließen sich während des ersten Corona-Jahres 34.000 Studierende beraten und es kam zu mehr als 105.000 Beratungskontakten. Mitter der Nullerjahre lag die Zahl noch deutlich darunter und betrug 66.0000 Kontakte.[12] Laut Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, habe es im Laufe der Pandemie an einigen Hochschulen Nachfragezuwachs für psychosoziale Beratungen um 85 Prozent gegeben.[13]
Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie zu Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit Studierender liefert folgendes Ergebnis: „39 Prozent der Befragten gaben an, unter depressiven Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen oder dem Verlust von Interessen und Freude zu leiden – ein Zuwachs um zehn Prozent gegenüber 2019.“[14] Die Corona-Pandemie hat somit ernsthafte Auswirkungen auf die ohnehin schon besorgniserregende Lage psychischer Gesundheit unter Studierenden genommen. Auch die Ergebnisse einer Umfrage der Universität Hildesheim vom Jahr 2021 untermauern diese Erkenntnis. Zwei Drittel der 2500 befragten Studierenden gaben an, unter verstärkten seelischen Beschwerden zu leiden.[15]
In vielen Erfahrungsberichten von Studierenden mit Depression – auch schon vor der Pandemie – fallen immer wieder ähnliche Stichworte als Auslöser für die Depression: Leistungsdruck, Konkurrenzkampf, Versagensängste, finanzielle Sorgen und Zukunftsängste. In der Pandemie kamen hierzu Isolation und Einsamkeit bei anhaltendem Druck und Stress. Die Auswirkungen davon sieht man in den angeführten Zahlen. Lohnend ist nun zu schauen, wodurch Auslöser wie ein derartig ausgeprägter Leistungsdruck entstehen, die unzählige Menschen krankzumachen scheinen.
Einen ersten Denkanstoß bietet der Soziologe Hartmut Rosa: „Die Zahl der Erwartungen, die die Studierenden auf sich gerichtet fühlen, nimmt zu. Wir erwarten von jungen Leuten, dass sie, bevor sie einen Schritt abgeschlossen haben, immer schon wissen, was sie als Nächstes machen. Wir haben alle Nischen erodiert.“[16]
Das Erodieren der Nischen oder die Neoliberalisierung der Hochschulen
Um mögliche Ursachen für stark ausgeprägte Formen von Leistungsdruck, erhöhtem Stressempfinden, Konkurrenzkampf oder finanzieller Sorgen unter Studierenden auszumachen, hilft es, die Perspektive zu weiten.
Folgt man kritisch-gesellschaftlichen Analysen, dann lässt sich erkennen: „Das ökonomische Denken hat sich nicht nur in der Wirtschaft als herrschende Maxime etabliert.“[17] Die Philosophin Nancy Fraser plädiert dafür, die großen zeitgenössischen Probleme als miteinander verwoben zu verstehen. Nach ihrer Auffassung finden sie ihre Ursache in unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung: Dem Kapitalismus.[18]
Eine besondere Form der Umsetzung der kapitalistischen Ordnung sieht die Soziologin Eva Illouz im Neoliberalismus. Lange nur als volkswirtschaftliche Theorie verstanden, müsse man ihn mittlerweile als neues Stadium des Kapitalismus begreifen, das sich u.a. durch seine unaufhaltsame Ausdehnung der Wirtschaft auf alle Bereiche der Gesellschaft auszeichnet.[19]
Diese Ausdehnung macht auch vor dem Feld der Bildung nicht halt. Eine Auswirkung davon lässt sich in der Umsetzung der Bologna-Deklaration erkennen – im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Bologna-Reform[20] bekannt. In dieser auf das Jahr 1999 zurückgehenden Deklaration ist eine internationale Vereinheitlichung von Studienabschlüssen festgehalten. 29 europäische Staaten verständigten sich hier auf einen gemeinsamen Hochschulrahmen, um die Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen zu garantieren.[21] Drei Jahre später – als Folge der Bologna-Erklärung – trat in Deutschland ein neues Hochschulrahmengesetz in Kraft. In Zuge dessen wurden die alten Diplom- und Magisterabschlüsse abgeschafft und durch die international anerkannten Bachelor- und Masterabschlüsse ersetzt.[22]
Die Umgestaltung der Hochschullandschaft wurde nach außen unter positiv-konnotierten Globalisierungsargumenten kommuniziert. So soll die internationale Vergleichbarkeit den Studierenden erleichtern, im Ausland zu studieren oder nach dem Studium in einem anderen Land zu arbeiten.[23] Wenn man sich die Bologna-Erklärung im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen anschaut, lässt sich diese aber gut als das dechiffrieren, was sie ist: eine Anordnung zur Neoliberalisierung der Hochschulen.
Mit der Ausgestaltung des als Lissabon-Strategie bezeichneten Programms der Europäischen Union zur Etablierung eines „Markteuropas[24], wurden die europäischen Staaten um die Jahrtausendwende wirtschaftspolitisch, aber auch staats- und hochschulpolitisch umgestaltet. Durch die Umgestaltung zu „nationalen Wettbewerbsstaaten“ sollte die europäische Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt erhöht werden.[25]
Die Bologna-Erklärung kann als Konsequenz des Geistes der „Lissabon-Ziele“ verstanden werden. Ganz im Sinne eines Markteuropas werden Hochschulreformen demnach vordergründig „an den wissenschaftsexternen Zielen der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Universitäten, der „Arbeitsmarktrelevanz“ der Studien und der „Beschäftigungsfähigkeit“ („employability“) der Studierenden orientiert.“[26]
Um dies zu ermöglichen, wurden gewisse technische Voraussetzungen geschaffen. So zum Beispiel: eine Vereinheitlichung von Studienabschlüssen im europäischen Raum, verkürzte Studienzeiträume, Förderung der „europäischen Dimension“ qua Curricula und eine Art gemeinsamer Währung, um den work-load vergleichbar zu machen – das European Credit Transfer System (ECTS).[27]
Zwar gab es mit der Bologna-Erklärung eine Reihe an weiteren Neuerungen, aber hier sollen vor allem die Einführung des Leistungspunktesystem (ECTS), die Modularisierung von Inhalten und die Regelstudienzeit in den Blick genommen werden.
Weniger Zeit bei anhaltendem Stress
Die Regelstudienzeit für die konsekutiven Bachelor- und Masterstudiengänge wurde insgesamt auf 10 Semester festgesetzt. Damit ist für Bachelorstudiengänge eine Studiendauer von 6 Semestern vorgesehen, für ein Masterstudium von 4 Semestern. In einem Artikel von buten un binnen wird die BAföG- und Sozialarbeiterin beim ASTA der Uni Bremen dazu mit folgenden Worten zitiert: "Alles, was nach meiner Ansicht wissenschaftliches Arbeiten ausgemacht hat, ist total zusammengekürzt worden." Die Inhalte, die vor der Bologna-Erklärung in einem mehrjährigen Grundstudium und einem mehrjährigen Hauptstudium vermittelt wurden, sind jetzt in ein "Schmalspurstudium" gepresst. Im buten un binnen-Artikel wird resümiert: „Weniger Zeit bei anhaltendem Stress.“[28]
Zudem sind die meisten Finanzierungshilfen für Studierende an die Regelstudienzeit gebunden. Im Bundesausbildungsförderungsgesetz steht: „Ausbildungsförderung wird für die Dauer der Ausbildung – einschließlich der unterrichts- und vorlesungsfreien Zeit – geleistet. […] jedoch grundsätzlich nur bis zum Ende der Förderungshöchstdauer nach § 15a […].“[29] Bei der Förderungshöchstdauer handelt es sich um die Regelstudienzeit.
Auch wer sich aufgrund überdurchschnittlich guter Noten oder herausragendem sozialen Engagement tendenziell für ein Stipendium bewerben möchte, aber die Regelstudienzeit überschritten hat, wird bei den meisten Stipendien per se ausgeschlossen.[30]
Hinzu kommt noch, dass in einigen Bundesländern – und Niedersachsen zählt dazu – sogenannte Langzeitstudiengebühren anfallen können. In Niedersachsen werden diese nach 12 Semestern erhoben und belaufen sich auf 500 Euro pro Semester.[31]
Den Auswirkungen all dieser Regelungen soll noch ausführlicher nachgegangen werden. Um hier aber ein erstes Fazit zu ziehen: Viele Studierende sind auch finanziell darauf angewiesen, ihr Studium in der angegeben Regelstudienzeit abzuschließen, damit zum grundsätzlichen Druck des Studiums nicht auch noch der mögliche Stressor einer ungesicherten Finanzierung dazukommt (dabei wird sich im Folgenden zeigen, dass selbst das Studieren in Regelstudienzeit und die damit verbundenen Finanzierungshilfen nicht grundlegend vor finanzieller Notlage schützen).
Weniger Inhalt bei anhaltendem Stress
Neben der Regelstudienzeit ist die Modularisierung ein weiteres Kernelement des zweigliedrigen Studiums von Bachelor und Master. Lehrveranstaltungen und Prüfungsleistungen werden in Module auf Basis einer entsprechenden Strukturierung und Gliederung des gesamten Studienganges eingeteilt. Das bedeutet: Das gesamte Studium wird in Blöcke von Veranstaltungen rund um jeweils ein Kernthema gegliedert. Dabei werden die Inhalte auf „unverzichtbare Kernelemente“ zusammengestaucht. Zeitgleich wird die Prüfungslast erhöht, da nun, für jedes Modul, das man abschließen möchte, eine Prüfungsleistung zu erbringen ist. Der Soziologe Peter Samol sieht darin eine Inhaltsverarmung, die dennoch den Druck auf die Studierenden erhöht. Er stellt fest: „Der Bildungspolitik ist damit das Kunststück gelungen, die Studienqualität zu verschlechtern und zugleich die Studierenden zu überfordern.“[32]
Ein Vollzeitjob ohne Bezahlung
Auch die sogenannten Leistungspunkte bringen eine kritikwürdige Konsequenz mit sich. Sie wurden eingeführt, um zu bemessen, wie viel Arbeitsaufwand eine Studieneinheit mit Vor- und Nachbereitung erfordert.[33] Für einen Bachelorabschluss braucht es 180 Leistungspunkte, für einen Masterabschluss 120 Leistungspunkte. Bei einer Regelstudienzeit von sechs Semestern für den Bachelor und vier Semestern für den Master bedarf es einer Erbringung von 30 Leistungspunkten pro Semester. Ein Leistungspunkt ist dabei mit einem Arbeitsaufwand von 25 bis 30 Stunden bemessen. Bei 30 Leistungspunkten pro Semester entspricht das in etwa einer 40-Stunden-Woche, also dem Umfang eines Vollzeitjobs – nur hier eben ohne Bezahlung.
Die Sache mit dem Geld
Einen Vollzeitjob ohne Bezahlung können sich aber nur die wenigstens leisten. Denn obwohl 86% der Studierenden von ihren Eltern unterstützt werden, decken die elterlichen Zuschüsse die Lebenshaltungskosten oft nicht ab. Im Schnitt beläuft sich der Betrag einer elterlichen Finanzierung auf 541 Euro.[34] Laut dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) liegt der Geldbedarf von Studierenden zwischen 800 und 900 Euro – und das vor Inflation und Energiekrise.[35] Noch schwieriger ist die finanzielle Situation für Menschen, deren Eltern sie nicht unterstützen können. Die Einführung von BAföG sollte zwar auch denjenigen, die nicht von ihren Eltern mitfinanziert werden, ermöglichen, ein Studium aufzunehmen, meist reicht das BAföG aber bei weitem nicht aus. Zudem bekommen nur die wenigsten Student*innen den Höchstfördersatz. Somit lässt sich oftmals nur ein gewisser Teil der Lebenshaltungskosten finanzieren.[36] Hinzu kommt noch, dass die Studierenden, die BAföG beziehen, nach ihrem Studium mit Schulden ins Berufsleben starten, da es sich beim BAföG für Studierende um ein Teildarlehen handelt.[37]
Elterliche Finanzierung und/oder Bezuschussung durch BAföG reicht demnach für viele Studierende nicht aus, um über die Runden zu kommen. Laut der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes gehen knapp zwei Drittel aller Studierenden neben dem Vollzeitstudium einem Nebenjob nach. Die Hälfte dieser gaben an, ohne Nebeneinkünfte durch einen Nebenjob, ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten zu können.[38] Mit elterlicher Finanzierung, BAföG und/oder potenziellen Nebenjobs lassen sich somit zwar gerade so die Lebenshaltungskosten bezahlen, trotzdem lebt eine Vielzahl von Studierenden armutsgefährdet.
„Eine Person gilt […] als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt.“[39] Das mittlere Einkommen von armen Studierenden liegt 463 Euro unterhalb der Armutsschwelle und somit bei 802 Euro.[40] Die stetige Teuerung der Preise für Lebensmittel, Strom, Gas (und so weiter) verschärft die Situation.
Doch nicht erst seit den enormen Preisanstiegen durch Inflation und Energiekrise ist eine Vielzahl von Studierenden armutsgefährdet. Schon 2020 lebten 30 % von ihnen in Armut, so der Paritätische Wohlfahrtsverband.[41] Laut statistischem Bundesamt stieg diese Zahl im Jahr 2021 auf 37,9%. Bei Studierenden, die zusammen mit Kommilton:innen oder allein leben, verdoppelt sich der Wert auf 76,1%.[42]
Da selbst 45 % der Studierenden, die BAföG beziehen, von Armut betroffen sind, ist die Situation für Menschen, die kein BAföG beziehen dementsprechend nochmal prekärer.[43] Zurzeit bekommt nur ein Drittel von den Studierenden, die akut von Armut betroffen sind BAföG und nur 11% aller Studierenden. „Die neuesten BAföG-Erhöhungen ändern daran nichts: Sie decken nicht einmal die aktuelle Inflationsrate.“[44]
Über der Regelstudienzeit aufgrund von psychischen Erkrankungen
Anhand der Zahlen der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks lässt sich erkennen, dass 11% aller Studierenden in Deutschland von einer studienerschwerenden gesundheitlichen Beeinträchtigung betroffen sind. „Bei 47 Prozent der studienerschwerend Beeinträchtigten ist eine psychische Erkrankung entweder die einzige Beeinträchtigung oder diejenige, die sich am stärksten auf das Studium auswirkt.“
Diese Beeinträchtigung nehmen erheblichen Einfluss auf den Studienverlauf, sodass sich die Studiendauer bei mehr als einem Drittel der Betroffenen auf über zehn Hochschulsemester streckt.[45] Das führt dazu, dass viele der Betroffenen ihr Anrecht auf BAföG verlieren und/oder Langzeitgebühren zahlen müssen.
Es gibt für Menschen mit psychischen Erkrankungen sowohl für BAföG als auch für Langzeitstudiengebühren zwar die Möglichkeit einen Nachteilsausgleich zu beantragen, wobei dieser aber mit einem enorm bürokratischen und stigmatisierenden Prozess verbunden ist – und keine Garantie auf Bewilligung gibt.[46] Ein Prozess, dem man sich in schlechter psychischer Verfasstheit oftmals nicht aussetzen kann.
Die langfristigen Konsequenzen der Depression oder ein Rückgriff auf den Begriff der komprimierten Realität
Selbst wenn man theoretisch in der Lage dazu ist, sich diesem Prozess auszusetzen, braucht es dafür aber erstmal das Wissen um die eigene Erkrankung und die diagnostizierte Bestätigung dieser. Ich für meinen Teil musste Jahre der Selbstgeißelung durchleben, um überhaupt anzuerkennen, dass ich depressiv bin und noch weitere, bis ich damit nach außen treten konnte. Jahre, in denen ich der festen Überzeugung gewesen bin, dass die Depression – ohne sie zu Beginn als solche zu erkennen – ein Teil von mir ist, für den ich selbst verantwortlich bin. Ein Teil, für den ich mich schämen muss, über den ich nicht sprechen darf. Ich habe geglaubt, „schwach“ zu sein, wertlos zu sein, habe Trauer und Wut auf mich selbst, in mich selbst hineingefressen. Der Kulturwissenschaftler Mark Fisher, selbst depressiv und mittlerweile durch Suizid verstorben, findet für diese Selbstgeißelung die folgenden Worte: „Depression is partly constituted by a sneering ‘inner’ voice which accuses you of self-indulgence – you aren’t depressed, you’re just feeling sorry for yourself, pull yourself together“.[47]
Um einen Rekurs zum Begriff der komprimierten Realität zu finden, auch um die benannten langfristigen Konsequenzen, die nicht unmittelbar nach einer depressiven Episode zum Tragen kommen, aufzugreifen, hier eine kleine Ausführung:
Der als komprimierte Realität beschriebene Zustand, setzt sich für mich wie bereits beschrieben aus zwei Ebenen zusammen. Auf der ersten Ebene steht die explizite Leiderfahrung, welche die Realität auf diese komprimiert. Auf der zweiten Ebene stehen die Konsequenzen, die aus der ersten Ebene komprimierter Realität folgen. Diese Konsequenzen habe ich in kurzfristige und langfristige Konsequenzen unterteilt, wobei beide miteinander zusammenhängen.
Sie hängen in der Art miteinander zusammen, dass sie sich gegenseitig bedingen, verstetigen und reproduzieren. Als kurzfristige Konsequenzen habe ich diejenigen gesetzt, welche als direkte Konsequenz einer Arbeitsunfähigkeit verstanden werden können. Als langfristige Konsequenzen sind solche zu begreifen, die als indirekte Folge einer Arbeitsunfähigkeit zu deuten sind.
Eine depressive Episode bringt zwangsläufig einen Mehraufwand nach der depressiven Episode mit sich. Dieser Mehraufwand führt zum einen zu den schon beschriebenen Effekten einer Überforderung und des Versagensgefühls. Zum anderen ist in ihm aber ebenso ein verstetigter Mehraufwand inbegriffen. Das bedeutet:
aus einer Woche, die grundsätzlich schon mit einem Arbeitsaufwand von 40 Stunden bemessen ist, wird schnell eine 50–60-Stundenwoche, allein um den liegengebliebenen Stoff nachzuholen. Dieser Arbeitsaufwand ist für gesunde Menschen schon ein derartig hohes Belastungsrisiko, dass dieser nur schwer zu bewältigen ist. Für eine depressive Person, die gerade eine depressive Episode hinter sich hat, ist er faktisch nicht zu bewältigen.
So stehe ich in jeder Phase nach einer Depression vor einem Berg aus Arbeit, von der immer etwas liegen bleibt, weil ich sie nicht zu bewältigen weiß. Daran anschließend bildet sich aus einem Berg aus Arbeit, von dem immer etwas liegen bleibt, ein verstetigter Berg aus Arbeit, an dessen Wachstum ständig durch die Depression gearbeitet wird – ein Berg aus Arbeit, an dessen Abbau ich ständig versuche zu arbeiten, der aber stetig weiterwächst.
Wie man sich schon denken kann, lässt dieser Teufelskreis kaum zu, 30 Leistungspunkte pro Semester zu bewerkstelligen. Wer aber keine 30 Leistungspunkte pro Semester erbringt, verliert nach einer gewissen Zeit seinen Anspruch auf BAföG . So bei mir der Fall:
nach dem vierten Semester ist gegenüber dem BAföG-Amt ein Leistungsnachweis zu erbringen. 30 Leistungspunkte pro Semester bei vier Semestern Studienlaufzeit bedeuten 120 Leistungspunkte. Diese konnte ich nicht nachweisen. Somit ist meine finanzielle Absicherung (in Form des Höchstsatzes) ab dem vierten Semester weggefallen und ich musste mir einen Nebenjob suchen, um Miete, Essen ecetera zu bezahlen. Ich denke es ist nachzuvollziehen, dass diese Entwicklung meine Situation enorm verschärft und nicht dazu beigetragen hat, dass ich die an mich gestellten Anforderungen durch mein Studium erbringen konnte.
Infolgedessen sehe ich den Verlust meines Anrechts auf BAföG, meinen Status als Langzeitstudent und die damit zusammenhängende Pflicht Langzeitgebühren zahlen zu müssen als indirekte Auswirkung aus meiner Depression und als eine direkte Auswirkung auf meine Depression.
Der stetig wachsende Berg aus Arbeit, der sich selbst reproduziert, der Teufelskreis aus Depression und Konsequenzen der Depression hat also eine kurzfristige als auch eine langfristige Komponente. Diese beiden Komponenten haben mich dabei immer wieder auf das Gefühl zurückgestoßen, Schuld an meinem eigenen Schicksal zu sein und nicht genug geleistet zu haben.
Versagensgefühle als Mär von der eigenen Schuldigkeit oder die einverleibte Meritokratie
Der im Sprachgebrauch westlicher Industrienationen fest verankerte Begriff der Leistungsgesellschaft lässt sich auf eine sogenannte meritokratische Ideologie zurückführen. Diese besagt, dass jeder Mensch die gesellschaftliche Position innehat, die er sich „verdient.“ Die „verdiente“ Position hat sich die jeweilige Person dabei durch ihre eigene Arbeit und aus eigener Kraft, also anhand ihres individuellen Verdienstes „verdient.“ Damit ist das einzelne Schicksal einzelner Individuen und deren gesellschaftliche Stellung als Folge eigener Verantwortlichkeit und nicht als Folge struktureller Prozesse zu verstehen. Obwohl vielfach kritisiert, ist diese Vorstellung in nahezu allen westlichen Staaten kulturell eingeschrieben.[48]
Wenn man nach einer Begründung für diese Einschreibung sucht, dann lässt sich zumindest ein Teil dafür in der sogenannten Positiven Psychologie finden. Der Positiven Psychologie zufolge ist das Streben nach Glück der höchste Ausdruck menschlicher Erfüllung. Jedes Individuum hat demnach natürlicherweise den Drang glücklich zu sein.[49] Allein diese Behauptung lässt sich kaum wissenschaftlich belegen, da sie von einem objektiven und messbaren Glücksbegriff ausgeht. Man könnte sich fragen: Was ist Glück überhaupt? Ist Glück messbar? Und wenn Glück messbar wäre, wie würde man Glück messen?
Der Psychologe Martin Seligman, der als Begründer der Positiven Psychologie gelten kann, behauptet auf all diese Fragen die passenden Antworten gefunden zu haben. Nach seinem Dafürhalten lässt sich Glück nämlich wie folgt bemessen: H = S+C+V oder auch happiness = genetic set + circumstances + voluntary control. Aufgeschlüsselt bedeutet dies, dass sich das persönliche Glück aus der Genetik, den persönlichen Umständen und der willentlichen Kontrolle eines Menschen zusammensetzt. Die einzelnen Kategorien sind dabei mit einer unterschiedlichen Wirkkraft ausgestattet: Glück ist demnach zu 50 % auf die eigene Genetik zurückzuführen, zu 10% auf die individuellen Lebensumstände und zu 40% auf den eigenen Willen. Seligman lieferte damit die passende Theorie zur Legitimation der meritokratischen Idee: Du bist deines eigenes Glückes Schmied.
Sowohl die einzelnen Kategorien als auch die jeweilig bemessenen Werte sind in keinster Weise haltbar und wurden mittlerweile vielfach widerlegt. Trotz der Tatsache, dass diese „Glückformel“ nachweislich falsch ist, konnte sie großen Einfluss auf psychologische wie auch gesamtgesellschaftliche Diskurse nehmen.[50] Zu erklären ist das unter anderem durch die aggressive Lobbyarbeit multinationaler Konzerne und konservativ-neoliberaler Stiftungen. So wurde Seligmans Forschung unter anderem von der John Templeton Foundation – gegründet durch John Templeton, einem US-amerikanischen Investor, Banker und Fund Manager[51] – und der Coca-Cola Company finanziert.[52]
Sowohl die Positive Psychologie als auch die Geldgeber profitierten von ihrer Geschäftsbeziehung. Durch enorme Finanzmittel ausgestattet, schaffte es die Positive Psychologie, sich im öffentlichen Bewusstsein festzusetzen und Glück als ein messbares Konzept zu etablieren. Den multinationalen Konzernen und einer milliardenschweren Industrie wurde somit wiederum zu vermeintlich wissenschaftlicher Legitimität verholfen. Die vermarktete Idee: „Jeder und jede Einzelne kann sein Leben neu erfinden und das Beste aus sich machen, wenn er oder sie nur positiv auf sich selbst und das eigene Umfeld blickt.“[53] Die Positive Psychologie liefert damit den Unterbau zur meritokratischen Idee: Die eigene Leistung ist entscheidend!
Die Lehre vom Individuum oder der Versuch eines Zwischenfazits
In den vorherigen Abschnitten habe ich nachgezeichnet, warum Leistungsdruck, Konkurrenzkampf, finanzielle Sorgen, Versagens- und Zukunftsängste – die von vielen Studierenden als Auslöser für ihre Depression angegeben werden – durch die Bedingungen, unter denen ein Studium abläuft, zu finden sind. Zudem wurde aufgezeigt, dass diese Bedingungen systematisch durch die vorherrschende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hervorgebracht werden.
Im öffentlichen Diskurs wird dieser Zusammenhang gekonnt ignoriert. Die Verantwortung (vor allem für eine mögliche Behandlung) wird oft auf das einzelne Individuum abgewälzt und jegliche Frage nach gesellschaftlichen Ursachen wird ausgeschlossen. Dabei ist sich die Forschung bis heute uneins, wie Depressionen entstehen. Es wird zwar seit knapp mehr als einem Jahrhundert Ursachenforschung betrieben, aber noch immer fehlen verlässliche Ergebnisse – vor allem, was die (neuro-)biologischen Ursachen einer Depression angeht.
Schon 1980 wurde die sogenannte Ätiologie – die Lehre von den Ursachen für das Entstehen von Erkrankungen – aus dem damaligen psychiatrischen Diagnosehandbuch gestrichen. Aus einem einfachen Grund, so Stephan Schleim, Psychologe, Philosoph und Professor für Geschichte und Theorie der Psychologie an der Universität Groningen: „Weil man einräumen musste, dass man die Ursachen der psychischen Störungen nicht kannte; oder dass das Wissen hypothetisch und umstritten war.“[54]
Obwohl sich daran bis heute kaum etwas geändert hat, gibt es immer wieder Stimmen, welche um die biologischen Ursachen für Depressionen wissen wollen. So werden Depressionen oft über ein chemisches Ungleichgewicht im neuronalen System oder eine genetische Veranlagung erklärt.
Es gibt zwar psychische Erkrankungen – wie zum Beispiel Alzheimer –, bei denen tatsächliche Veränderungen im Gehirn als Ursache zu deuten sind, für psychische Erkrankungen wie Depressionen gibt es jedoch keine eindeutigen neurobiologischen Anzeichen. Zwar existieren Studien, die auf markante Auffälligkeiten hinweisen, dabei könnten diese aber auch als Auswirkung der Depression und nicht als deren Ursache zu verstehen sein. „Wenn ich auf einem MRT-Bild Hirnveränderungen sehe, heißt das nicht, dass diese die Ursache für eine psychische Störung sind“, so Herta Flor, wissenschaftliche Direktorin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.[55]
Daneben ist die Bedeutung psychosozialer Faktoren mittlerweile gut erforscht. So wurde vielfach herausgestellt und bestätigt, dass einschneidende Lebensereignisse wie der Tod einer nahestehenden Person oder der Jobverlust eine erhebliche Auswirkung auf die psychische Verfasstheit von Menschen nehmen.
Im Vergleich zu Auswirkungen möglicher genetischer Dispositionen, stellt sich heraus, dass psychosoziale Faktoren einen knapp viermal größeren Einfluss als genetische Faktoren haben. Psychische Erkrankungen wie Depressionen alleinig oder hauptsächlich über die Genetik eines Menschen zu erklären, ist demnach mehr als umstritten.[56] Stephan Schleim stellt fest: „Allenfalls erklären diese [die Gene] kleine Unterschiede zwischen den Menschen, die schlimme Dinge und viel Stress erleben. […] Mit anderen Worten: Es gibt keine Depressions- oder Schizophrenie-Gene, sondern nur eine leicht veränderte genetische Anfälligkeit für die Störungen.“[57]
Aus der anhalten Suche nach möglichen Ursachen für Depressionen und den bis dato generierten Erkenntnissen aus dieser, haben sich mittlerweile verschiedene Erklärungsmodelle für Depression ergeben. Ein gängiges Erklärungsmodell ist das biopsychosoziale Erklärungsmodell für Depressionen. Hier nach erhöhen biologische, psychologische und soziale Faktoren die Vulnerabilität (Verletzlichkeit) für die Entstehung einer Depression. Folgt man diesem Modell, dann wird eine Depression erst durch das Zusammentreffen von möglichen Stressoren wie anhaltendem Stress und psychobiologischer Vulnerabilität ausgelöst.[58]
Nicht umsonst wird die Psychologie also auch als die Lehre vom Individuum bezeichnet, denn sowohl das biopsychosoziale Modell als auch alle weiteren haben eines gemein: Die strukturelle, gesellschaftliche Rahmung wird komplett außer Acht gelassen.
Die Verantwortung für Leistungsdruck, Konkurrenzkampf, finanzielle Sorgen Versagensängste und Zukunftsängste trägt damit der*die Einzelne. Zwar werden mögliche Stressoren miteinbezogen – in Teilen sogar als Auslöser anerkannt – doch die Ursächlichkeit dieser wird ausgeblendet. Statt strukturelle Problemlagen miteinzubeziehen, bleibt Betroffenen nichts anders übrig als ihre (mögliche) Veranlagung und die äußere Realität zu akzeptieren, um somit einen persönlichen Umgang damit zu finden. Infolgedessen werden Depressionen internalisiert und individualisiert und eine kollektive Verantwortung für psychische Erkrankungen in Bezug auf Ursachen, Verständnis und Behandlung verunmöglicht.
Die Politisierung von Depressionen oder der Versuch eines Fazits
„I offer up my own experiences of mental distress not because I think there’s anything special or unique about them, but in support of the claim that many forms of depression are best understood – and best combatted – through frames that are impersonal and political rather than individual and ‘psychological’.“[59]
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Depression ist zunächst eine Auseinandersetzung darum, wie der eigene Leidensdruck reduziert und die eigene Handlungsfähigkeit wiederhergestellt werden kann.[60] Im öffentlichen, wie im therapeutischen Diskurs ist die Wiederherstellung und Sicherung der eigenen Handlungsfähigkeit zumeist an die Anerkennung der Herrschaftsverhältnisse gekoppelt. „Das geht – konkurrenzbezogen – meistens auf Kosten anderer, sodass meine Handlungsfähigkeit zwar zunächst gesichert, gleichzeitig aber auch untergraben werden kann, da ich davon ausgehen muss, dass andere ihre Handlungsfähigkeit auch auf meine Kosten ausbauen, wenn sie dazu die Möglichkeit haben.“[61]
Hier setzt meine Kritik an und plädiert dafür, dem Diskurs um Depressionen eine strukturelle, gesamtgesellschaftliche Ebene hinzuzufügen. Mir geht es demnach nicht darum, die bestehenden psychologischen Erkenntnisse zu negieren, sondern diese zu erweitern.
Wenn wir psychische Erkrankungen in Bezug auf Ursachen, Verständnis und Behandlung nur bezüglich ihrer individuellen Ebene hin untersuchen, verkennen wir damit, dass wir als Individuen in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet sind, die auf uns wirken – auf die wir als Individuen aber ebenso wirken (können).
Explizit zum Kontext eines Studiums bedeutet das: Wenn wir als Studierende erkennen, dass Stressoren wie Leistungsdruck oder eigene Versagensängste in unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung angelegt sind, dann bietet das emanzipatorisches wie therapeutisches Potential. Das Einbeziehen einer strukturellen Komponente ermöglicht es eine gewisse Distanz zu benannten Stressoren zu entwickeln und sie nicht aus eigener Schwäche und/oder Wertlosigkeit zu erklären. Aus dieser Erkenntnis heraus lässt sich ein kollektives Bewusstsein für problematische Zustände und deren mögliche Verbesserung entwickeln.
Ich hoffe dieser Text konnte einen Teil dazu beitragen.
Endnoten
[1] Vgl. tagesschau (2022): WHO-Bericht. Mehr psychische Krankheiten durch Corona. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/who-corona-anstieg-psychische-krankheiten-101.html. (Abfrage: 10.02.2023).
[2] Vgl. Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. (2021): Auswirkungen der Pandemie: Studierende leiden stark unter Einsamkeit und Depression. https://www.dgpm.de/de/presse/presse-informationen/presse-information/auswirkungen-der-pandemie-studierende-leiden-stark-unter-einsamkeit-und-depression/. (Abfrage: 09.02.2023).
[3] Anzahl Studierende: Vgl. Statista (2023): Anzahl der Studierenden an Hochschulen in Deutschland in den Wintersemestern von 2002/2003 bis 2022/2023. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/221/umfrage/anzahl-der-studenten-an-deutschen-hochschulen/. (Abfrage: 07.02.2023). (Abfrage: 07.02.203).
Anzahl Hochschulen: Vgl. Statista (2022): Anzahl der Hochschulen in Deutschland in den Wintersemestern 2016/2017 bis 2021/2022. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/247238/umfrage/hochschulen-in-deutschland-nach-hochschulart/. (Abfrage: 07.02.2023).
[4] Vgl. Wikipedia: Depression. https://de.wikipedia.org/wiki/Depression#cite_note-DGPPN-14. (Abfrage: 06.02.2023).
[5] Vgl. Gelitz, Christiane (2021): Eine neue Ordnung für psychische Störungen. In: Spektrum: https://www.spektrum.de/news/eine-neue-ordnung-fuer-psychische-stoerungen/1923280. (Abfrage: 03.02.2023).
[6] Vgl. Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suidzidprävention: Daignose der Depression. https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/was-ist-eine-depression/diagnose-der-depression. (Abfrage: 02.02.2023).
[7] Duden: komprimiert. https://www.duden.de/rechtschreibung/komprimiert. (Abfrage: 29.01.2023).
[8] Duden: Synonyme zu komprimiert. https://www.duden.de/synonyme/komprimiert. (Abfrage: 29.01.2023).
[9] Vgl. Hochschulinitiative Deutschland (2021): Depression im Studium: Was sind die Warnsignale & wie kann ich Hilfe bekommen?. https://hochschulinitiative-deutschland.de/blog/depression-im-studium. (Abfrage: 04.02.2023).
[10] Simon, Johannes (2019): Jung und depressiv. Viele Studierende kämpfen mit psychischen Erkrankungen. Druck, Zweifel und Zukunftsangst tragen dazu bei. In: der Freitag: https://www.freitag.de/autoren/josimon/jung-und-depressiv. (Abfrage: 06.02.2023).
[11] Vgl. Baumann, Moritz (2022): Corona und Psyche im Studium. In: zdf heute: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-studierende-psyche-belastung-universitaet-100.html. (Abfrage: 06.02.2023).
[12] Vgl. RedaktionsnetzwerkNetzwerk Deutchland (2020): Studenten in der Corona-Krise: Bei Depressionen „nicht zögern, sich Hilfe suchen“. https://www.rnd.de/gesundheit/studenten-in-der-corona-krise-bei-depressionen-nicht-zogern-sich-hilfe-zu-suchen-B7E27XSH66BMCSPC2O5X2JL4C4.html. (Abfrage: 05.02.2023).
[13] Vgl. Baumann 2022
[14] Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. 2021
[15] Vgl. Baumann 2022
[16] Simon 2019
[17] Breuer, Ingeborg (2014): Unser optimiertes Leben. In: Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunk.de/soziologie-unser-optimiertes-leben-100.html. (Abfrage: 09.02.2023).
[18] Vgl. Deutschlandfunk Kultur (2022): „Wir leben in einer Zeit morbider Symptome“. https://www.deutschlandfunkkultur.de/nancy-fraser-kapitalismus-arbeit-ausbeutung-100.html. (Abfrage 09.02.2023).
[19] Vgl. Cabanas, Edgar/Illouz, Eva (2021): Das Glücksdiktat, 2. Auflage. Berlin: Suhrkamp Verlag. 65.
[20] Der Begriff der Reform ist irreführend, da es sich bei der Bologna-Deklaration nicht um völkerrechtlich bindende Verträge handelt. Viel eher ist sie als nicht-bindende politische Willenserklärung zu verstehen. Dieser Tatbestand darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die europäischen Mitgliedsstaaten einem enormen Druck ausgesetzt sahen, die Bologna-Deklaration umzusetzen. Eine ausführliche Analyse dazu bei:
Pongratz, Ludwig (2019): Falsche Fährten. Illusionen der Bildungsreform. Darmstadt: tuprints.
[21] Vgl. Samol, Peter (2022): Bildung in Zeiten des Neoliberalismus. In: neues deutschland: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1163710.neoliberale-bildungspolitik-bildung-in-zeiten-des-neoliberalismus.html. (Abfrage: 08.02.2023).
[22] Vgl. Schnackenburg, Alexander/Borchert, Anna-Lena (2022): Die ewige Reform: Bremer Forscher zu 20 Jahren Bachelor und Master. In: https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/bologna-bachelor-master-reform-bremen-100.html. (Abfrage: 07.02.2023).
[23] Vgl. Süddeutsche Zeitung (2017): Was steckt hinter dem Bologna-Prozess. https://www.sueddeutsche.de/bildung/hochschulreformen-was-steckt-hinter-dem-bologna-prozess‑1.1373781. (Abfrage: 08.02.2023).
[24] Preglau, Max (2009): „Bologna“ in Theorie und Praxis − ein europäisches Projekt im Lichte lokaler Erfahrungen an der LFU Innsbruck. In: Kellermann, Paul/Meyer-Renschhausen, Manfred Boni Elisabeth (Hrsg.): Zur Kritik europäischer Hochschulpolitik. Forschung und Lehre unter Kuratel betriebswirtschaftlicher Denkmuster. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 173–188. Hier: 176.
[25] Ebd.: 176f.
[26] Ebd.: 174.
[27] Vgl. Ebd.
[28] Schnackenburg, Alexander/Borchert, Anna-Lena 2022
[29] Bundesministerium der Justiz: Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz — BAföG) § 15 Förderungsdauer. https://www.gesetze-im-internet.de/baf_g/__15.html. (Abfrage: 10.02.2023).
[30] Vgl. Bolle, Wiebke (2020): Schafft die Regelstudienzeit ab!. In: Spiegel: https://www.spiegel.de/start/regelstudienzeit-warum-sie-die-soziale-ungleichheit-zwischen-studierenden-verstaerkt-a-2168fea4-c76d-44a0-bcd9-406d5dbb2d53. (Abfrage: 07.02.2023).
[31] Vgl. Deutsches Studentenwerk: Länderregelungen bei Langzeitstudiengebühren. https://www.studentenwerke.de/de/content/l%C3%A4nderregelungen-bei-langzeit. (Abfrage: 10.02.2023).
[32] Samol 2022
[33] Vgl. Zeit Campus: Studienanfänger. So geht der Bachelor. Seite3/7: Was sind Credit Points?. https://www.zeit.de/studium/studienfuehrer-2010/studium-bachelor-leitfaden/seite‑3. (Abfrage: 09.02.2023).
[34] Vgl. studieren.de: Geld im Studium. https://studieren.de/studenten-und-geld.0.html. (Abfrage: 09.02.2023).
[35] Vgl. Burchhard, Amory (2019): Kritik an der Bafög-Reform. Experten warnen vor der Krise der Studienfinanzierung. In: Tagesspiegel: https://www.tagesspiegel.de/wissen/experten-warnen-vor-krise-der-studienfinanzierung-5036683.html. (Abfrage: 10.02.2023).
[36] Vgl. Middendorff et al. (2017): Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks – durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
[37] Vgl. bafoegakutell (2021): BAföG Förderungsarten – Zuschuss, Darlehen, Vollzuschuss. https://www.bafoeg-aktuell.de/bafoeg-foerderungsarten/. (Abfrage: 09.02.2023).
[38] Vgl. Middendorf et al. 2017.
[39] tagesschau (2022b): Viele Studierende armutsgefährdet. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/studierende-armutsgefaehrdet-101.html. (Abfrage: 09.02.2023).
[40] Vgl. Zeit Campus (2022): Fast ein Drittel der Studierenden lebt in Armut. https://www.zeit.de/campus/2022–05/studierende-armut-paritaetischer-wohlfahrtsverband. (Abfrage: 10.02.2023).
[41] Kücükvardar, Sinan (2022): Geldsorgen im Studium. https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/geldsorgen-im-studium-45-prozent-der-bafoeg-bezieher-leben-in-armut-18158542.html. (Abfrage: 10.02.2023).
[42] Vgl. tagesschau 2022b.
[43] Vgl. Zeit Campus 2022.
[44] Balzer, Lea Marlen (2023) Armut im Studium. In: Deutschlandfunk Nova: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/armut-im-studium-ich-weiss-nicht-wie-ich-von-tag-zu-tag-ueberleben-soll. (Abfrage: 10.02.2023).
[45] Vgl. Leuphana Universität Lüneburg (2022): Studieren mit psychischen Erkrankungen. https://www.leuphana.de/einrichtungen/gleichstellung/angebote-und-informationen/studium-und-beeintraechtigung/studieren-mit-psychischen-erkrankungen.html. (Abfrage: 09.02.2023).
[46] Vgl. Deutsches Studentenwerk: BAföG: Nachteilsausgleiche für beeinträchtigte Studierende. https://www.studentenwerke.de/de/content/baf%C3%B6g-nachteilsausgleiche‑f%C3%BCr-beeintr%C3%A4chtigte-studierende. (Abfrage: 09.02.2023).
[47] Fisher, Mark (2014): Good For Nothing. In: the occupied times: https://theoccupiedtimes.org/?p=12841. (Abfrage: 06.02.2023).
[48] Vgl. Cabanas/Illouz 2021: 12.
[49] Vgl. Ebd.: 15.
[50] Vgl. Schreiber, Juliane Marie (2022): Ich möchte lieber nicht. 5. Auflage. München: Piper Verlag. 51f.
[51] Vgl. Wikipedia: John Templeton. https://en.wikipedia.org/wiki/John_Templeton. (Abfrage: 10.02.2023).
[52] Vgl. Schreiber 2022: 53.
[53] Cabanas/Illouz 2021: 16.
[54] Schleim, Stephan (2017): Was sind Ursachen von Depressionen. In: Spektrum.de SciLogs: https://scilogs.spektrum.de/menschen-bilder/was-sind-ursachen-von-depressionen/. (Abfrage: 11.02.2023).
[55] Wolf, Christian (2018): Ist das Gehirn krank, wenn die Seele leidet?. In: Spektrum.de: https://www.spektrum.de/news/ist-das-gehirn-krank-wenn-die-seele-leidet/1589932. (Abfrage: 11.02.2023).
[56] Vgl. Schleim 2017
[57] Ebd.
[58] Vgl. Risch et al. (2012): Kognitive Erhaltungstherapie bei rezidivierender Depression. Berlin/Heidelberg: Springer Verlag Berlin Heidelberg. 10f.
[59] Fisher 2014
[60] Handlungsfähigkeit meint hier erstmal die Befähigung zur allgemeinen Lebensführung, ist in einer neoliberalen Gesellschaft aber zumeist auch an einen Begriff der Produktivität und/oder Arbeitsleistung geknüpft. Dahingehend kann der Zweck von Psychotherapie zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit als solcher grundlegend kritisiert werden. Eine ausführliche Analyse sprengt an dieser Stelle jedoch den Rahmen und ist auch nicht maßgeblich für den hier postulierten Kritikpunkt. Nur so viel: Ich teile viele Punkte einer Analyse, die Psychotherapie als neoliberales Instrument zur Wiedereingliederung in Verwertungslogiken ausweist – dennoch lehne ich diese nicht ab (ich bin selbst in Behandlung), sondern halte sie für reformbedürftig.
[61] Knebel, Leonie (2017): Muss Psychotherapie politisch werden? Nein, aber…. In: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie e.V.: https://www.dgvt.de/aktuelles/details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=4988&cHash=9b3269fe7c10a532ad6c458ee9b474ff. (Abfrage: 11.02.2023).
Ein Beitrag von Tilman Rasmus Busch, veröffentlicht am 20. April 2023
Ein sehr interessanter Bericht mit ausgesprochen informativen Informationen und Gedankensträngen.
Nicht zuletzt wegen der eigenen Erfahrungen, dem eigenen Leid.
Allein, mein Zweifel an wahrer Genesung von Depressivität durch explizit intellektuelle Auseinandersetzung, ohne die Frage der Übertragung, des Wiederholungszwangs, des einst verletzten Selbstwerts, der sich emotional und nicht intelektuell manifestiert… bleibt meine tiefste Überzeugung.
Es ist nicht die Schuldfrage, die mich zu den jeweiligen Eltern führt. Es ist einzig und allein die Suche nach der kindlichen Wahrnehmung von Erziehung, und hier sind nicht die Erziehungswünsche der eigenen Eltern gemeint, die allgemein sicher überwiegend positiv zu sehen sind. Nein, die unterbewussten Ängste, inneren Zerwürfnisse, das elterlich beschädigte Selbstbewusstsein, der verdrängte innerste Schmerz der Eltern, die in Zwischentönen und stereotypem Ausagieren von Wut und Trauer, in der Übertragung und deshalb verdrehten Wahrnehmung der eigenen Kinder wurzelt.
Es kann hierbei hilfreich sein wissende Zeugen in den eigenen Eltern, oder Geschwistern… zu finden. Aber auch ohne diese, kann man auf die Suche gehen nach den kindlich erlebten Traumata des erlebten Liebesenzugs, der Verwirrung auf Grund von Bestrafung durch die Personen, die einen gesunderweise vor Bestrafung schützen sollten.
Die Liste ist lang. Die Eltern sind unschuldig, aber sie sind doch in den meisten Fällen die Ursache für die eigene Anfälligkeit sich selbst nie zu genügen.
Ich hoffe du findest den Mut zum inneren kritischen Gespräch mit deinen Eltern, Tilmann.