Ein Beitrag von Kaja Sturmfels

Direkt zu den Spielen:

Wenn du Zeit mit deinen Freund*innen verbringen willst, dir aber eigent­lich vorge­nommen hattest, noch zu schreiben, bietet dieser Beitrag dir die Lösung! Außer natür­lich, du woll­test an einem ganz bestimmten Projekt weiter­ar­beiten, dann kann ich dir auch nicht helfen.
Aber wenn du das Motto „Schreiben ist Schreiben” vertrittst, sind die hier vorge­stellten Schreib­spiele perfekt. Eine Menge Spaß machen sie außerdem, sie sind alle­samt online spielbar und für Dich­tende sind auch ein paar dabei. (Ich unter­scheide im Folgenden nur zwischen Lyrik und Prosa, gehe also davon aus, dass Erzähl­texte, Thea­ter­stücke und Dreh­bü­cher sich bei den Spielen nicht so viel nehmen.)
Los geht’s!

Schreib­spiel Nr. 1:
Figur, Ort, Ereignis

Spieler*innen-Anzahl: Ab 3
Dauer: Ohne Vorlesen mindes­tens 1/2 h
Für: Prosa

Nehmt euch alle einen Zettel und beschreibt darauf eine Figur in einem Satz oder mit ein paar Stich­wör­tern, z.B. „Elise, 77, Atten­tä­terin, liebt alles, was irgendwie mit Beet­hoven zu tun hat”. Nun gebt ihr den Zettel der Person links von euch, knickt ihn aber vorher so um, dass sie nichts mehr lesen kann.
Notiert als nächstes einen Ort, z.B. Schwimmbad, und reicht den Zettel weiter.
Zu guter Letzt folgt das Ereignis, das natür­lich weder Ort- noch Protagonist*in-gebunden sein darf, also z.B. „der Mond fällt vom Himmel”.
Jetzt wird der Zettel ein letztes Mal weiter­ge­geben. (Oder ihr mischt sie und zieht jeweils einen.) Faltet ihn auf und schreibt eine Geschichte, die die Figur als Protagonist*in hat, zumin­dest am Anfang am ange­ge­benen Ort spielt und in der das Ereignis vorkommt.
Alter­nativ könnt ihr Figur, Ort und Ereignis jeweils auf einen kleinen Zettel schreiben, in drei Boxen werfen (oder auf drei Haufen, in dem Fall eignen sich farbige Zettel­chen beson­ders gut) und daraus ziehen. Mehr Klein­kram, der verloren gehen kann, dafür müsst ihr nicht aufein­ander warten.

Vari­ante: Wenn euch das zu lang­weilig ist oder ihr zu fünft spielt und von allen ein Impuls dabei sein soll, könnt ihr auf zwei Figuren und zwei Ereig­nisse erhöhen.

Online: Möglich­keit 1. Schreibt digital, legt Sets an und kopiert die Sets in die geteilten Notizen eurer Video­kon­fe­renz oder in einen Chat. Das heißt konkret, wenn ihr zu dritt spielt, notiert Spieler*in 1 „Figur Set 1, Ort Set 2, Ereignis Set 3”, Spieler*in 2 „Figur Set 2, Ort Set 3, Ereignis Set 1” und Spieler*in 3 „Figur Set 3, Ort Set 1, Ereignis Set 2”, in eurem Chat stehen zum Schluss Set 1, Set 2, Set 3 und ihr lost aus, wer welches Set bekommt.
Bei vier Spieler*innen wäre es entspre­chend Spieler*in 1 „Figur Set 1, Ort Set 2, Ereignis Set 3”, Spieler*in 2 „Figur Set 2, Ort Set 3, Ereignis Set 4”, Spieler*in 3 „Figur Set 3, Ort Set 4, Ereignis Set 1”, Spieler*in 4 „Figur Set 4, Ort Set 1, Ereignis Set 2”, usw.
Bei mehr als drei (bzw. bei zwei Figuren und zwei Ereig­nissen mehr als fünf) Spieler*innen ist Möglich­keit 2 aber einfa­cher. Benutzt hierfür die privaten Chats, legt vorher fest, wer sich was für wen ausdenkt und schickt euch Figur, Ort und Ereignis dort.

Dieses Schreib­spiel lässt sich sehr schön mit dem nächsten kombinieren.

Spieler*innen-Anzahl: Ab 2
Dauer: Ohne Vorlesen mindes­tens 1h, je mehr mitspielen, desto länger
Für: Prosa und Lyrik

Online: Benutzt für jeden Text ein sepa­rates Google-Doc und legt am Anfang eine Spieler*innen-Reihenfolge fest.

Schreib­spiel Nr. 2: Kettentexte

Stellt euch einen Timer auf 5 bis 10 Minuten und schreibt einen Anfang. Gebt diesen dann der Person links von euch. Stellt den Timer für die nächste Schreib­phase etwas länger, sodass alle Zeit zum Lesen haben und schreibt die Geschichte/ das Gedicht weiter. Fahrt so lange fort, bis der Text wieder bei der Person, die ihn ange­fangen hat, ange­kommen ist. Die kann ihn nun fertig­schreiben oder ihr gebt den Text noch ein zweites Mal herum (bietet sich vor allem bei drei Spie­lenden an) und sie schreibt ihn erst dann zu Ende.
Gerade bei mehr als fünf Spieler*innen könnt ihr aber auch entscheiden, dass der Text während des Rumge­bens (also bei der Person vor der Person, die ihn ange­fangen hat — oder auch schon früher, wenn ihr mit 20 Leuten spielt) fertig sein muss. In dem Fall empfiehlt es sich (jeden­falls bei Prosa) den Timer etwas länger zu stellen, damit der*die letzte nicht sämt­liche losen Fäden allein verknüpfen muss.
Bei zwei Spieler*innen könnt ihr die Texte mehr­fach hin und her tauschen oder auch nur einen schreiben, den Timer also sehr kurz stellen oder ganz weglassen und nach Gefühl (oder nach einem Satz/ einer Zeile) weiter­geben. Das ist insbe­son­dere lustig, wenn ihr Google Docs verwendet, dann könnt ihr der anderen Person beim Schreiben zuschauen.
Wenn Schreibanfänger*innen mitspielen, empfiehlt es sich bei Erzähl­texten, bevor es losgeht, für alle Geschichten 1. Person oder 3. Person und Präsens oder Präter­itum fest­zu­legen, das geht sonst gerne mal durch­ein­ander.
Die Kombi­na­tion mit Schreib­spiel Nr. 1 ist vor allem als Impuls für den Anfang gedacht, aber wenn der*die erste es nicht schafft, alles einzu­bringen, ist es an den anderen, das nachzuholen.

Dialog-Vari­ante für zwei Spie­lende: Nehmt euch zu Anfang etwas Zeit, um euch eine Figur auszu­denken. Einen Namen und ein Alter sollte sie haben, am wich­tigsten ist hier aber ein innerer Konflikt oder eine Moti­va­tion, die sie antreibt, also z.B. „arbeitet für den Teufel und muss Seelen eintreiben, versucht also mit allen, denen sie begegnet, entspre­chende Verträge abzu­schließen”. Verratet euch gegen­seitig keine eurer Über­le­gungen.
Die beiden Figuren wachen nun zu zweit alleine an einem Ort auf. Den könnt ihr am Anfang fest­legen oder im Dialog ergründen. Die Figuren werden viel­leicht versu­chen, heraus­zu­finden, wie sie dort gelandet sind, vor allem aber werden ihre ganz persön­li­chen Moti­va­tionen aufein­an­der­prallen.
Ihr schreibt nun grund­sätz­lich das, was eure Figur sagt, aber wenn ihr wollt, könnt ihr auch kurze Hand­lungs­be­schrei­bungen wie „geht zur anderen Ecke des Raums” hinzufügen.

Schreib­spiel Nr. 3:
Wörter (nicht) verwenden

Spieler*innen-Anzahl: Ab 1
Dauer: Ohne Vorlesen mindes­tens 1/2 h
Für: Prosa und Lyrik

Einige vorge­ge­bene Wörter in einen Text einbauen, Klas­siker. Aber habt ihr auch schonmal vorab Wörter fest­ge­legt, die im Text nicht vorkommen dürfen? Diese Vari­ante des Spiels ist am meisten für Erzähl­texte geeignet und natür­lich dürft ihr es euch nicht zu einfach machen. Schöne Wörter, auf die verzichtet werden kann, sind z.B. „und” oder „nicht” oder alle Konju­ga­tionen von „sagen”. Wenn ihr es noch schwerer machen wollt, könnt ihr auch mal alle Adjek­tive weglassen…
Fürs Gegen­teil ist erstmal die Frage, wie ihr an Wörter kommt. Bei mehreren Spieler*innen können natür­lich alle einfach ein paar aufschreiben. Oder ihr benutzt einen Zufalls­ge­nerator, wie diesen hier. Aber solltet ihr vor einer Graf­fiti-Wand oder in einem voll­ge­krit­zelten Schul-Pavillon schreiben, lassen sich auch dort jede Menge Wörter finden. Spielt ihr in eurem Zimmer, bieten sich Bücher an, die ihr an einer Stelle aufschlagt, um dann mit geschlos­senen Augen irgendwo auf die Seite zu tippen. Oder ihr nutzt die „zufäl­liger Artikel”-Funktion von Wiki­pedia und nehmt die Titel der Artikel. (Bei einem belie­bigen Artikel auf der linken Seite, s.u.) Oder ihr spielt erstmal eine Partie Scrabble und müsst dann sämt­liche gelegten Wörter verwenden (oder nur ein paar, aber ich bin defi­nitiv für die „alle Wörter, exakt in der Konjugation/ Dekli­na­tion, in der sie da liegen”-Variante).
Nun könnt ihr jeweils ein paar Wörter ziehen oder ihr verwendet alle die glei­chen, es ist sehr inter­es­sant, wie unter­schied­lich die Kombi­na­tionen gelöst werden können. Wenn ihr wollt, könnt ihr auch die Reihen­folge fest­legen, in der ihr die Wörter verwenden müsst (dann würde ich aber für jede*n eine unter­schied­liche nehmen).

Online: Wenn ihr ein paar Wörter aus einer größeren Auswahl ziehen oder eine Reihen­folge fest­legen wollt, ohne alles nochmal hand­schrift­lich aufzu­schreiben, könnt ihr diesen Gene­rator benutzen. Einfach das Beispiel löschen, eure Wörter eintragen, „Ziehung von Liste entfernen” akti­vieren und auf „Zufällig ermit­teln” klicken.

Online: Wenn ihr keine Lust habt, einen Anruf zu starten, obwohl ihr die meiste Zeit nichts sagt, könnt ihr den Schreib­im­puls auch immer in einen gemein­samen Chat schreiben.

Schreib­spiel Nr. 4:
Ständig neue Schreibimpulse

Spieler*innen-Anzahl: Ab 1, mit mehr Spieler*innen aber abwechs­lungs­rei­cher
Dauer: Ohne Vorlesen mindes­tens 1/2 h
Für: Prosa und Lyrik

Für zwei oder mehr Spieler*innen bestimmt ihr eine Spieler*innen-Reihenfolge. Fangt dann einfach so oder mit einem Schreib­im­puls, z.B. einem Zitat oder einem Song, den sich alle vorher anhören, an zu schreiben. Stellt einen Timer auf 5 bis 15 Minuten oder guckt auf die Uhr. Wenn die Zeit abge­laufen ist, ruft die Person, die gerade an der Reihe ist, einen unspe­zi­fi­schen Schreib­im­puls in die Runde, z.B. „etwas wird gefunden”, „ein Geruch wird wichtig” oder „etwas fällt herunter”. Während der folgenden Zeit­spanne müssen alle den Schreib­im­puls verar­beiten — und dann kommt auch schon der nächste.
5 Minuten sind für Prosa sehr knapp bemessen, es entstehen so recht rasante Geschichten, was für den Anfang durchaus cool ist. Irgend­wann sollten die Schreib­im­pulse aber ausge­setzt werden, damit alle ihre Geschichten zu einem halb­wegs logi­schen Ende bringen können. Vergeht mehr Zeit zwischen den Schreib­im­pulsen, können sie auch bis zum Ende weiter­laufen.
Wenn du allein spielst, denkst du dir am Anfang eine Reihe von unspe­zi­fi­schen Schreib­im­pulsen aus und ziehst nach Ablaufen der Zeit immer einen davon (mit Zetteln oder dem Zufalls­ge­nerator, entscheide selbst, ob du „Ziehung von Liste entfernen” akti­vierst oder deak­ti­vierst) — oder du bastelst dir eine Drehscheibe.

Schreib­spiel Nr. 5: Zutatengeschichten

Ihr kennt doch alle diese Klap­pen­texte, die mit kurzen Phrasen um sich werfen, oder? Also z.B. „zwei Schwes­tern, eine uralte Villa und ein verschol­lenes Buch”. Die werden bei diesem Schreib­spiel von euch gene­riert. Schreibt alle einige solcher Phrasen auf, schmeißt sie in einen Topf (oder gebt sie in den Zufalls­ge­nerator ein) mischt sie und zieht ein paar davon. Je mehr mitspielen, desto besser, dann werden die Kombi­na­tionen tenden­ziell noch verrückter.
Und jetzt, ihr ahnt es bereits, müsst ihr eine Geschichte schreiben, auf die dieser Klap­pen­text passt. Das heißt, die Dinge müssen nicht nur vorkommen, sie müssen so wichtig sein, dass sie im Klap­pen­text erwähnt werden würden.
Als Beispiel hier der Klap­pen­text der Geschichte, die ich geschrieben habe, als ich das Spiel zum ersten Mal spielte:
- Ein spre­chendes Handy
- Ein wild­ge­wor­dener Feuer­lö­scher
- Eine Zeit­schleife
- Niemals endender Regen
Und das alles an einem Tag?! Epische Sprüche helfen da leider auch nicht viel weiter. Statt­dessen solltet ihr euch Folgendes merken: Vernunft ist Ohren­schmalz.
Was das zu bedeuten hat? Tja. Da fragt ihr am besten meine Schwester…
Natür­lich habe ich den zweiten Teil erst, nachdem die Geschichte fertig war, so ausfor­mu­liert. Die ersten vier Stich­punkte sind hervor­ra­gende Beispiele dafür, was aufge­schrieben werden kann. Zwei Personen hatten es hingegen nicht ganz verstanden, weswegen ich irgendwie auch „ein epischer Spruch” und „Vernunft ist Ohren­schmalz” verar­beiten musste. Hat aber trotzdem sehr gut geklappt.
Aller­dings hatte die Geschichte am Ende 30 DinA4-Seiten. Also zwei Stunden oder mehr.

Spieler*innen-Anzahl: Mindes­tens 2, besser mehr
Dauer: Ohne Vorlesen mindes­tens 1h, eher 2 oder mehr
Für: Prosa

Schreib­spiel Nr. 6: Das Schreibspiel

Spieler*innen-Anzahl: Ab 1
Dauer: Mindes­tens 3h (kann aber jeder­zeit unter­bro­chen und später fort­ge­setzt werden)
Für: Prosa, am besten Fantasy

Kommen wir zu guter Letzt zu dem Spiel, das für mich immer das Schreib­spiel sein wird. Eine Freundin von mir und ich haben es vor einigen Jahren erfunden. Okay, um ehrlich zu sein, hat sie wohl etwas mehr erfunden als ich. Aber die Anlei­tung, die ich euch hier verlinke, ist von mir. Nicht erschre­cken, sie hat 25 Seiten, aber 10 davon müsst ihr nicht wirk­lich lesen, das ist nur das Spiel­ma­te­rial, das ihr einfach direkt verwenden könnt. Weitere vier Seiten spart ihr euch, wenn ihr erstmal ohne Sonder­zonen spielt.
Ich füge euch hier mal den Abschnitt „Die Idee” aus der Anlei­tung ein:
Du erwachst auf kaltem Stein, der sich unan­ge­nehm an deinen Rücken drückt. Als du die Augen aufschlägst, erkennst du nichts, es ist stock­finster. In deinem Kopf umkreisen sich zwei Fragen: Wo bist du? Und wie bist du hier­her­ge­kommen?
Wahr­schein­lich kennst auch du ein Aben­teu­er­spiel, das so oder so ähnlich beginnt. Im Verlauf des Spiels musst du kämpfen, Rätsel lösen, Gegen­stände zusam­men­puz­zeln und wenn du nicht wüss­test, dass es ein Spiel ist, würdest du dich wahr­schein­lich alle fünf Minuten fragen, welche durch­ge­knallte Gott­heit da gerade in dein Schicksal einge­griffen hat.
Dieses Spiel ist so ähnlich. Nur sind die Abenteurer*innen deine Figuren, sie wissen (i.d.R.) wirk­lich nicht, dass es ein Spiel ist und wer sich das alles ausdenkt, bist du.
Klingt nach Spaß? Ist es auch.
Wem das noch nicht reicht: Du kannst mithilfe des Schreib­spiels außerdem deine Figuren besser kennen­lernen, üben, die innere kriti­sche Stimme abzu­schalten und even­tuell sogar eine Schreib­blo­ckade über­winden.
Also worauf wartest du noch? Such dir so viele Mitspieler*innen zusammen, wie du willst, oder mach es dir allein gemüt­lich und ran an den Stift, bzw. an die Tastatur!