Projekt­se­mester 2022 – Das war’s jetzt?

von | Aug 2, 2022

Die Vorle­sungs­zeit ist vorbei. Deshalb möchte die Redak­tion das Projekt­se­mester Revue passieren lassen. Aus Sicht eines Teil­neh­mers: Tilman Rasmus Busch, der seinen eigenen Semes­ter­ver­lauf reflek­tiert, und aus Sicht von zwei Außen­ste­henden, die das Projekt­se­mester bereits absol­viert hatten: Valentin Brendler und Alina Tonn.

»Schaut, was wir auf die Beine stellen!«

von Valentin Brendler

Wenn man sich so umhört, dann kommt mir das Feed­back zum Projekt­se­mester vertraut vor: es war zu offen, zu unklar, oder die Studie­renden scheinen gar nicht zu wissen, was sie tun sollen und dann, wenn es zur Präsen­ta­ti­ons­woche kommt, pras­selt die Arbeit auf sie ein. So ist es aber natür­lich nicht in jedem Kurs. Manche sind zufrieden, manche sogar glück­lich, neue Erfah­rungen gesam­melt zu haben.

Als Außen­ste­hender blieb das Projekt­se­mester für mich aber vor allem eines: ein Gesprächs­thema unter Studie­renden. Dabei war es jedoch nicht spürbar und greifbar für nicht Teil­neh­mende. Ange­fangen hat es mit den Eröff­nungen des ganzen Projekt­se­mes­ters und der Vorstel­lungs­woche. An einem Tag wird ein Mikrofon aufge­baut und die zufäl­li­ger­weise anwe­senden Student*innen posi­tio­nierten sich davor. „Will­kommen, Will­kommen“, wurde grob gesagt und das war alles. Warum war die Eröff­nung der Präsen­ta­ti­ons­woche nicht mit der ersten Präsen­ta­tion verknüpft? „Will­kommen und jetzt geht es los!“, zu sagen, wäre nicht nur inter­es­santer, könnte auch mehr außen­ste­hende Personen zu den Veran­stal­tungen locken.

Jedoch bleibt die Frage, ob diese über­haupt erwünscht waren. Bei der Mitt­som­mer­nacht mit Volks­fest­stim­mung wird groß Werbung gemacht und um Gäste aus der ganzen Stadt gebeten, wenn aber 21 Kurse in zwei Wochen zahl­reiche Veran­stal­tungen und Auftritte orga­ni­sieren, wird die Öffent­lich­keit nicht einge­laden. Statt­dessen soll es wohl weiter im Uni-Rahmen bleiben.

Und nicht nur im Uni-Rahmen, viel eher im Projekt­se­mes­ter­stu­die­renden-Rahmen. Selbst das Berg­fest, wo zwar alle vom Kultur­campus einge­laden waren, stellte die Inhalte des Projekt­se­mester in den Hinter­grund. Es gab zwar Essen und Alkohol, aber von den Projekten genau genommen keine Spur. Warum wurden keine Zwischen­stände gezeigt? Warum keine ersten Entwürfe gepitcht?

Womög­lich aus einer Angst vor dem Auftreten, dem aus dem Seminar Hinaus­gehen, was zwar verständ­lich ist, jedoch über­wunden werden muss. Sollte das nicht viel eher das Ziel sein? Künst­le­risch in die Öffent­lich­keit zu treten? Nicht nur im Uni-Rahmen, nicht nur im Kultur­campus-Rahmen sondern in der brei­testen Öffent­lich­keit, die geht. Unter dem Motto: „Schaut her, das ist unser Projekt­se­mester und schaut, was die Studie­renden alles Groß­ar­tiges auf die Beine gestellt haben!“

Denn eins bleibt unbe­streitbar: die Endre­sul­tate sind groß, aufwendig, erstaun­lich und wert, präsen­tiert zu werden.

Tolle Projekte, aber wenig Sichtbarkeit

von Alina Tonn

Nachdem mit coro­nabe­dingter Verspä­tung 2021 das Projekt­se­mester "Große Erwar­tungen" durch­ge­führt wurde, stand in diesem Sommer bereits das nächste Projekt­se­mester an, diesmal unter dem Motto "Mind the Gap". Ich persön­lich habe an dem Projekt­se­mester 2021 teil­ge­nommen und konnte so in diesem Jahr die Perspek­tive einer außen­ste­henden Person einnehmen.

Wie hat das Projekt­se­mester auf mich gewirkt und was habe ich davon mitbe­kommen, ohne selbst betei­ligt gewesen zu sein? Die Antwort: leider nicht viel.
Da das dies­jäh­rige Projekt­se­mester erfreu­li­cher­weise wieder in Präsenz durch­ge­führt werden konnte, gab es auch wieder Veran­stal­tungen wie zum Beispiel das Berg­fest — aller­dings wurde diese nicht sehr öffent­lich­keits­wirksam ange­kün­digt, sodass ich mich das ein oder andere Mal gefragt habe, ob ich dort als außen­ste­hende Person eigent­lich richtig bin.
Auch in die Arbeits­pro­zesse der einzelnen Projekte gab es wenig Einblick. Das ist schade, vor allem weil mit unseren Platt­formen, dem Blog und Insta­gram-Kanal, die Möglich­keit zur Bericht­erstat­tung besteht und viele Studie­rende erreicht werden können.
Die Präsen­ta­ti­ons­woche hingegen war schön: viele Veran­stal­tungen in Präsenz, die Möglich­keit, in Pausen zwischen Veran­stal­tungen spontan Projekt­prä­sen­ta­tionen am Kultur­campus anzu­schauen — so soll es sein! Der einzige Dämpfer war, dass die Präsen­ta­tionen der Projekte und die Auffüh­rungen der Studie­renden des Studi­en­gangs Szeni­sche Künste im selben Zeit­raum statt­fanden. So war es insge­samt wirk­lich sehr viel auf einmal, was orga­ni­sa­to­risch viel­leicht besser hätte gelöst werden können.
Insge­samt gab es aber tolle Projekte, die span­nende Denk­an­stöße gegeben haben.

Für das nächste Projekt­se­mester wäre es aber meiner Ansicht nach wünschens­wert, die uniin­terne Öffent­lich­keit oder viel­leicht sogar alle Hildesheimer*innen stärker einzu­be­ziehen. Denn das Projekt­se­mester ist im Prinzip ein Sinn­bild für das, was das Beson­dere an den Hildes­heimer Studi­en­gängen ist: die Kombi­na­tion von Theorie und künst­le­ri­scher Praxis. Die Ergeb­nisse der Projekte könnten hier stärker als Reprä­sen­ta­tion genutzt werden, denn das Inter­esse der Hildesheimer*innen an studen­ti­schen Veran­stal­tungen besteht ja, wie bei der Mitt­som­mer­nacht deut­lich zu sehen war.

Eine ich-bezo­gene Projekt­se­mester-Refle­xion über mein eigenes Schreiben 

von Tilman Rasmus Busch

Von Schreib­schulen und Schreib­schü­lern, die nicht schreiben

Seit ich in Hildes­heim bin, fühlt sich meine Laptop­tas­tatur vernach­läs­sigt und meine Finger steigen mit Unter­for­de­rungs-Wehklagen ein, aber das Gehirn sagt: „Habt ihr schonmal über die Ästhetik von Blanko-Papier nach­ge­dacht?“ 

Von einem Projekt­se­mester als Projek­ti­ons­fläche 

Ein ganzes Semester (als Stadt­kind) in einem Dorf verbringen und darüber schreiben? Eine bessere Inspi­ra­ti­ons­quelle könnte ich mir nicht vorstellen (das ist gelogen). Ich weiß zwar noch nicht, worüber ich schreiben werde, aber ich weiß, wo ich darüber schreiben werde (das ist ein Anfang). 

Von der ersten Sitzung

Wir sitzen im Kreis, sagen unsere Namen, warum wir uns für dieses Projekt entschieden haben und was uns mit Dorf verbindet (oder nicht verbindet). In Gedanken formu­liere ich schlaue Sätze vor, aber als ich an der Reihe bin, stot­tere ich: „Ich wollte schon immer über Dorf schreiben“ (das ist gelogen (fremde Menschen machen mir Angst)).

Vom ersten Besuch im Dorf und Ideenlosigkeit

Als wir das erste Mal ins Dorf kommen, ist mir ein biss­chen übel (wieder das mit den fremden Menschen (außerdem ist der Weg ins Dorf sehr kurven­reich)). Die Gäste sagen: „Hallo“ — Die Gastgeber*innen sagen „Hallo“ — Die Gastgeber*innen sagen: „Schön, dass ihr hier seid!“ – Die Gäste sagen: „Schön, dass wir hier sein dürfen“, dann bekommen wir eine Führung durch das Dorf, schauen uns den Friedhof an und das Feuer­wehr­haus und alte Fach­werk­häuser und ich habe Schwie­rig­keiten zuzu­hören, weil die ganze Zeit jemand neben mir steht (der aussieht wie ich), der sagt: Ich habe keine Ahnung, worüber ich schreiben soll. 

Von der ersten Redak­ti­ons­sit­zung und einer Idee

Wir treffen uns im soge­nannten Internet, nennen das Redak­ti­ons­sit­zung und spre­chen über mögliche Projekt­ideen (letzte Nacht habe ich kaum geschlafen, weil ich über die Dorf-Feuer­wehr nach­ge­dacht habe (eigent­lich finde ich Feuer­wehr nicht beson­ders inter­es­sant, aber Dorf-Feuer­wehr finde ich inter­es­sant, weil die machen das frei­willig)). Als ich an der Reihe bin, sage ich mit zitt­riger Stimme (ich bin mir nicht hundert-prozentig sicher, ob ich Dorf-Feuer­wehr wirk­lich inter­es­sant finde, weil ich letzte Nacht kaum geschlafen habe; außerdem: fremde Menschen): „Dorf-Feuer­wehr“, und alle brechen in Jubel aus. Die fremden Menschen sind plötz­lich gar nicht mehr so fremd. 

Vom Schei­tern

Ich konzi­piere eine Projekt­idee, die sich mit dörf­li­chen Vereins­struk­turen ausein­an­der­setzt und schei­tere an der Umset­zung (meine Idee ist zu verkopft). Ich konzi­piere einen Text, der sich mit dem Schei­tern an einer Projekt­idee ausein­an­der­setzt, die sich mit dörf­li­chen Vereins­struk­turen ausein­an­der­setzt und schei­tere an der Technik (mein Laptop geht kaputt). Ich lerne eine Menge: zum Beispiel die Ästhetik von weißem Blanko-Papier wertzuschätzen.

Von fremden Menschen, die plötz­lich gar nicht mehr so fremd sind

Ich lerne junge, mitt­lere und alte Menschen kennen (manche leben auf dem Dorf, manche in der Stadt, einige studieren, andere sind in der frei­wil­ligen Feuer­wehr enga­giert), darf etli­chen Geschichten zuhören, Archive durch­stö­bern, Dorf­feste erleben, mich drei Monate mit einer mir fremden Welt ausein­an­der­setzen und mein eigenes Schreiben ist mir plötz­lich gar nicht mehr so wichtig. 

Auf unserer Projekt­se­mester-Seite findet ihr alle weiteren Infos zu den Projekten sowie Terminen und Veranstaltungen.