Projektsemester 2022 – Das war’s jetzt?
Die Vorlesungszeit ist vorbei. Deshalb möchte die Redaktion das Projektsemester Revue passieren lassen. Aus Sicht eines Teilnehmers: Tilman Rasmus Busch, der seinen eigenen Semesterverlauf reflektiert, und aus Sicht von zwei Außenstehenden, die das Projektsemester bereits absolviert hatten: Valentin Brendler und Alina Tonn.
»Schaut, was wir auf die Beine stellen!«
von Valentin Brendler
Wenn man sich so umhört, dann kommt mir das Feedback zum Projektsemester vertraut vor: es war zu offen, zu unklar, oder die Studierenden scheinen gar nicht zu wissen, was sie tun sollen und dann, wenn es zur Präsentationswoche kommt, prasselt die Arbeit auf sie ein. So ist es aber natürlich nicht in jedem Kurs. Manche sind zufrieden, manche sogar glücklich, neue Erfahrungen gesammelt zu haben.
Als Außenstehender blieb das Projektsemester für mich aber vor allem eines: ein Gesprächsthema unter Studierenden. Dabei war es jedoch nicht spürbar und greifbar für nicht Teilnehmende. Angefangen hat es mit den Eröffnungen des ganzen Projektsemesters und der Vorstellungswoche. An einem Tag wird ein Mikrofon aufgebaut und die zufälligerweise anwesenden Student*innen positionierten sich davor. „Willkommen, Willkommen“, wurde grob gesagt und das war alles. Warum war die Eröffnung der Präsentationswoche nicht mit der ersten Präsentation verknüpft? „Willkommen und jetzt geht es los!“, zu sagen, wäre nicht nur interessanter, könnte auch mehr außenstehende Personen zu den Veranstaltungen locken.
Jedoch bleibt die Frage, ob diese überhaupt erwünscht waren. Bei der Mittsommernacht mit Volksfeststimmung wird groß Werbung gemacht und um Gäste aus der ganzen Stadt gebeten, wenn aber 21 Kurse in zwei Wochen zahlreiche Veranstaltungen und Auftritte organisieren, wird die Öffentlichkeit nicht eingeladen. Stattdessen soll es wohl weiter im Uni-Rahmen bleiben.
Und nicht nur im Uni-Rahmen, viel eher im Projektsemesterstudierenden-Rahmen. Selbst das Bergfest, wo zwar alle vom Kulturcampus eingeladen waren, stellte die Inhalte des Projektsemester in den Hintergrund. Es gab zwar Essen und Alkohol, aber von den Projekten genau genommen keine Spur. Warum wurden keine Zwischenstände gezeigt? Warum keine ersten Entwürfe gepitcht?
Womöglich aus einer Angst vor dem Auftreten, dem aus dem Seminar Hinausgehen, was zwar verständlich ist, jedoch überwunden werden muss. Sollte das nicht viel eher das Ziel sein? Künstlerisch in die Öffentlichkeit zu treten? Nicht nur im Uni-Rahmen, nicht nur im Kulturcampus-Rahmen sondern in der breitesten Öffentlichkeit, die geht. Unter dem Motto: „Schaut her, das ist unser Projektsemester und schaut, was die Studierenden alles Großartiges auf die Beine gestellt haben!“
Denn eins bleibt unbestreitbar: die Endresultate sind groß, aufwendig, erstaunlich und wert, präsentiert zu werden.
Tolle Projekte, aber wenig Sichtbarkeit
von Alina Tonn
Nachdem mit coronabedingter Verspätung 2021 das Projektsemester "Große Erwartungen" durchgeführt wurde, stand in diesem Sommer bereits das nächste Projektsemester an, diesmal unter dem Motto "Mind the Gap". Ich persönlich habe an dem Projektsemester 2021 teilgenommen und konnte so in diesem Jahr die Perspektive einer außenstehenden Person einnehmen.
Wie hat das Projektsemester auf mich gewirkt und was habe ich davon mitbekommen, ohne selbst beteiligt gewesen zu sein? Die Antwort: leider nicht viel.
Da das diesjährige Projektsemester erfreulicherweise wieder in Präsenz durchgeführt werden konnte, gab es auch wieder Veranstaltungen wie zum Beispiel das Bergfest — allerdings wurde diese nicht sehr öffentlichkeitswirksam angekündigt, sodass ich mich das ein oder andere Mal gefragt habe, ob ich dort als außenstehende Person eigentlich richtig bin.
Auch in die Arbeitsprozesse der einzelnen Projekte gab es wenig Einblick. Das ist schade, vor allem weil mit unseren Plattformen, dem Blog und Instagram-Kanal, die Möglichkeit zur Berichterstattung besteht und viele Studierende erreicht werden können.
Die Präsentationswoche hingegen war schön: viele Veranstaltungen in Präsenz, die Möglichkeit, in Pausen zwischen Veranstaltungen spontan Projektpräsentationen am Kulturcampus anzuschauen — so soll es sein! Der einzige Dämpfer war, dass die Präsentationen der Projekte und die Aufführungen der Studierenden des Studiengangs Szenische Künste im selben Zeitraum stattfanden. So war es insgesamt wirklich sehr viel auf einmal, was organisatorisch vielleicht besser hätte gelöst werden können.
Insgesamt gab es aber tolle Projekte, die spannende Denkanstöße gegeben haben.
Für das nächste Projektsemester wäre es aber meiner Ansicht nach wünschenswert, die uniinterne Öffentlichkeit oder vielleicht sogar alle Hildesheimer*innen stärker einzubeziehen. Denn das Projektsemester ist im Prinzip ein Sinnbild für das, was das Besondere an den Hildesheimer Studiengängen ist: die Kombination von Theorie und künstlerischer Praxis. Die Ergebnisse der Projekte könnten hier stärker als Repräsentation genutzt werden, denn das Interesse der Hildesheimer*innen an studentischen Veranstaltungen besteht ja, wie bei der Mittsommernacht deutlich zu sehen war.
Eine ich-bezogene Projektsemester-Reflexion über mein eigenes Schreiben
von Tilman Rasmus Busch
Von Schreibschulen und Schreibschülern, die nicht schreiben
Seit ich in Hildesheim bin, fühlt sich meine Laptoptastatur vernachlässigt und meine Finger steigen mit Unterforderungs-Wehklagen ein, aber das Gehirn sagt: „Habt ihr schonmal über die Ästhetik von Blanko-Papier nachgedacht?“
Von einem Projektsemester als Projektionsfläche
Ein ganzes Semester (als Stadtkind) in einem Dorf verbringen und darüber schreiben? Eine bessere Inspirationsquelle könnte ich mir nicht vorstellen (das ist gelogen). Ich weiß zwar noch nicht, worüber ich schreiben werde, aber ich weiß, wo ich darüber schreiben werde (das ist ein Anfang).
Von der ersten Sitzung
Wir sitzen im Kreis, sagen unsere Namen, warum wir uns für dieses Projekt entschieden haben und was uns mit Dorf verbindet (oder nicht verbindet). In Gedanken formuliere ich schlaue Sätze vor, aber als ich an der Reihe bin, stottere ich: „Ich wollte schon immer über Dorf schreiben“ (das ist gelogen (fremde Menschen machen mir Angst)).
Vom ersten Besuch im Dorf und Ideenlosigkeit
Als wir das erste Mal ins Dorf kommen, ist mir ein bisschen übel (wieder das mit den fremden Menschen (außerdem ist der Weg ins Dorf sehr kurvenreich)). Die Gäste sagen: „Hallo“ — Die Gastgeber*innen sagen „Hallo“ — Die Gastgeber*innen sagen: „Schön, dass ihr hier seid!“ – Die Gäste sagen: „Schön, dass wir hier sein dürfen“, dann bekommen wir eine Führung durch das Dorf, schauen uns den Friedhof an und das Feuerwehrhaus und alte Fachwerkhäuser und ich habe Schwierigkeiten zuzuhören, weil die ganze Zeit jemand neben mir steht (der aussieht wie ich), der sagt: Ich habe keine Ahnung, worüber ich schreiben soll.
Von der ersten Redaktionssitzung und einer Idee
Wir treffen uns im sogenannten Internet, nennen das Redaktionssitzung und sprechen über mögliche Projektideen (letzte Nacht habe ich kaum geschlafen, weil ich über die Dorf-Feuerwehr nachgedacht habe (eigentlich finde ich Feuerwehr nicht besonders interessant, aber Dorf-Feuerwehr finde ich interessant, weil die machen das freiwillig)). Als ich an der Reihe bin, sage ich mit zittriger Stimme (ich bin mir nicht hundert-prozentig sicher, ob ich Dorf-Feuerwehr wirklich interessant finde, weil ich letzte Nacht kaum geschlafen habe; außerdem: fremde Menschen): „Dorf-Feuerwehr“, und alle brechen in Jubel aus. Die fremden Menschen sind plötzlich gar nicht mehr so fremd.
Vom Scheitern
Ich konzipiere eine Projektidee, die sich mit dörflichen Vereinsstrukturen auseinandersetzt und scheitere an der Umsetzung (meine Idee ist zu verkopft). Ich konzipiere einen Text, der sich mit dem Scheitern an einer Projektidee auseinandersetzt, die sich mit dörflichen Vereinsstrukturen auseinandersetzt und scheitere an der Technik (mein Laptop geht kaputt). Ich lerne eine Menge: zum Beispiel die Ästhetik von weißem Blanko-Papier wertzuschätzen.
Von fremden Menschen, die plötzlich gar nicht mehr so fremd sind
Ich lerne junge, mittlere und alte Menschen kennen (manche leben auf dem Dorf, manche in der Stadt, einige studieren, andere sind in der freiwilligen Feuerwehr engagiert), darf etlichen Geschichten zuhören, Archive durchstöbern, Dorffeste erleben, mich drei Monate mit einer mir fremden Welt auseinandersetzen und mein eigenes Schreiben ist mir plötzlich gar nicht mehr so wichtig.
Auf unserer Projektsemester-Seite findet ihr alle weiteren Infos zu den Projekten sowie Terminen und Veranstaltungen.