Inter­view
mit Prof. Dr. Simon Roloff

Könnten Sie sich den Studie­renden bitte kurz vorstellen?

Ich bin jetzt seit genau drei Jahren Juni­or­pro­fessor am Institut für Lite­ra­ri­sches Schreiben und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft. Ich lehre hier sowohl Schreib­praxis als auch die wissen­schaft­liche und reflek­tie­rende Arbeit von Texten. Nach Hildes­heim hat es mich wegen einer künst­le­risch-akade­mi­schen Doppel­vita verschlagen: Studium der Philo­so­phie, Kultur­wis­sen­schaft und Neueren deut­schen Lite­ratur, danach eine Zeit am Deut­schen Lite­ra­tur­in­stitut Leipzig und anschlie­ßend eine Promo­tion in Medi­en­wis­sen­schaften. Ein gewisses biogra­fi­sches Schlin­gern also, was wohl auch daran liegt, dass ich mich nie auf den akade­mi­schen Betrieb oder den Lite­ra­tur­be­trieb fest­legen lassen wollte.

Hildes­heim wirbt damit, dass die Verknüp­fung aus Theorie und Praxis stark im Fokus stehe, was bedeutet das konkret?

Am Lite­ra­tur­in­stitut bedeutet das, wir schreiben nicht nur, sondern lernen das Schreiben auch analy­sieren. Das kann in Lehre und Forschung sehr verschie­dene Formen annehmen: z. B. bieten wir Semi­nare zur Kultur­ge­schichte und Gegen­wart der Schrift an, in denen dann auch über die digi­talen Trans­for­ma­tion des Schrei­bens disku­tiert wird. Oder man lernt aktu­elle Strö­mungen der Gegen­warts­li­te­ratur einordnen. Theorie und Praxis verbinden sich im besten Fall dann in einem einzigen Seminar. Ich habe etwa im Winter eine Veran­stal­tung über Auto­fik­tion ange­boten, in der die beson­deren Regeln und Insze­nie­rungs­formen von aktu­ellen auto­bio­gra­fi­schen Texten erlernt wurden, die wahre oder angeb­lich wahre Bege­ben­heiten erzählen, und darauf konnten wir dann in den Werk­statt­ge­sprä­chen immer wieder zurückgreifen.

Wie wichtig ist Ihnen die eigene künst­le­ri­sche Praxis für die Lehre?

Man kann sich lite­ra­tur­kri­tisch und ‑wissen­schaft­lich viel über­legen, was das Schreiben ist oder wie Lite­ratur sein sollte. Aber erst, wenn man mal eine Kurz­ge­schichte geschrieben hat oder an einem Roman verzwei­felt ist, kann man, glaube ich, anderen prak­ti­sche Ratschläge geben. Es ist aber auch umge­kehrt, manchmal bekommt man durch die Lehre am Institut auch neue Ideen für eigene Texte.

Sind Sie außer­halb der Univer­sität selbst künst­le­risch aktiv?

Ich veröf­fent­liche Essays und Kurz­ge­schichten in Antho­lo­gien und Zeitschriften.

Mit welchen Projekten sind Sie aktuell künst­le­risch aktiv?

Im Augen­blick muss ich leider mein zweites wissen­schaft­li­ches Buch über Empa­thie und Erzählen in Windes­eile schreiben und heraus­bringen. Deswegen liegt der Roman wieder mal brach, aber ich habe aktuell einen Text über Fußball in der Antho­logie "Das Spiel meines Lebens", die im Juli bei Rowohlt erscheint.

Sind aktu­elle Themen für Ihre Projekt­ar­beit relevant?

Grund­sätz­lich schon. Ich halte Recherche für sehr wichtig, gebe deshalb in diesem Sommer­se­mester auch ein Seminar über ethno­gra­fi­sches Schreiben und da geht es dann natür­lich in den Texten ganz auto­ma­tisch um aktu­elle Themen, z. B. die Arbeit mit geflüch­teten Kindern, um Liebe, Sex und Leiden­schaft auf Tinder und unseren Umgang mit dem Tod. Aber gleich­zeitig ist es so, dass sich ein Text nie nur über sein Thema defi­nieren sollte. Man merkt schnell, wenn etwas nur geschrieben wurde, weil das Thema gerade zieht. Ich mache mir keine Illu­sionen über die Aufmerk­sam­keits­öko­nomie des Lite­ra­tur­be­triebs, aber zumin­dest beim Schreiben sollte man doch mehr im Kopf haben als ein fiktional notdürftig verbrämtes Sach­buch oder eine Repor­tage. Rest­lose Diskur­si­vier­bar­keit ist immer lang­weilig. Ein guter Text muss auch mal den Über­blick verlieren, sich einen Rest Rätsel­haf­tig­keit bewahren oder formale Risiken eingehen.

Was ist für Sie das Beson­dere am Studium an der Domäne aus Sicht des Dozenten?

Die Studie­renden selbst. Wer nach Hildes­heim zieht, macht das, glaube ich, zu 100% wegen der Univer­sität, es sei denn, die Stadt hat für Mille­nials einen beson­deren Attrak­ti­vi­täts­wert, der sich mir bisher nicht erschließen will. Und dieses frei­wil­lige Exil erzeugt eine beson­dere Moti­va­tion in den Semi­naren und Projekten.

Wie empfinden Sie die Atmo­sphäre zwischen Studie­renden und Dozent_innen?

Ich kann natür­lich nur für mich und die Kolle­ginnen und Kollegen am Institut spre­chen, aber ich erlebe das Verhältnis zwischen Studie­renden und Lehrenden immer als infor­mell, herz­lich und produktiv. Das ist sicher etwas, das uns von anderen Einrich­tungen ähnli­cher Art abhebt. Zumin­dest habe ich es anderswo noch nie erlebt.

Das heißt, Sie fühlen sich hier wohl?

Na klar! Viel­leicht werde ich irgend­wann sogar Bücher in meinem Büro­regal aufstellen.

Gibt es für Sie einen beson­deren Ort an der Domäne?

Das Büro unseres Mitar­bei­ters Thomas Klupp. Es kann in Windes­eile für Spon­tan­partys umfunk­tio­niert werden und hat einen eigenen Keller für Leergut. Ich bin zu wenig dort, wenn ich jetzt so darüber rede.

Haben Sie selbst einmal eine Eignungs­prü­fung machen müssen?

Ja, am Deut­schen Literaturinstitut.

Haben Sie noch einen Rat für die Bewerber_innen für die Eignungsprüfung?

Nicht zu sehr darauf schielen, was viel­leicht erwartet wird. Und wenn's nicht klappt: Weiter­schreiben und nochmal versuchen.

Vielen Dank.

 

Dieses Inter­view entstand 2017 im Rahmen eines News­let­ters des Fach­be­reichs 2 – Kultur­wis­sen­schaften und Ästhe­ti­sche Kommu­ni­ka­tion – an der Stif­tung Univer­sität Hildes­heim mit Infor­ma­tionen rund um die Eignungs­prü­fungen und die Bewer­bung in den Bachelorstudiengängen.

Simon Roloff Institut für Lite­ra­ri­sches Schreiben & Literaturwissenschaft

Forschungs­schwer­punkte
◣ Lite­ratur als Kultur­technik
◣ Poeto­lo­gien des Wissens
◣ Empa­thie und Lite­ratur
◣ Konzep­tu­elles Schreiben und digi­tale Avant­garde
◣ Digi­tale Literaturvermittlung