Die Pose für das fremde Auge
Wir posen ständig. Dabei ist die Pose kulturhistorisch betrachtet eher ein jüngeres Phänomen. Denn Menschen, die posieren, inszenieren sich mit dem Zweck, von einem fremden Auge angesehen zu werden. Die Plattformen allerdings, welchen Möglichkeiten der Inszenierung innewohnen, waren lange nur einer kleinen elitären Gruppe an Menschen verfügbar. Durch den technischen Fortschritt, der es einer breiten Masse ermöglichte, sich ohne großen Aufwand in medialen Kontexten mittels der Pose zu inszenieren, scheint es fast wie ein intuitiver und natürlicher Akt zu posieren, sobald eine Kamera auf Menschen gerichtet ist.
Trotzdem wird die Pose in der Regel nicht mit Attributen wie Natürlichkeit oder Intuition in Verbindung gebracht. Eher wird von einer gesellschaftlichen Modellierung einzelner Subjekte ausgegangen, die sich in vorgefertigte Formen begeben, welche nicht ihr authentisches Selbst widerspiegeln. Der Pose heftet daher ein Ruf des Künstlichen, Kommerziellen und Unauthentischen an. Die Annahme, dass Verhaltensweisen als Repräsentation der eigenen Identität gelesen werden können und diese intentional verfälscht werden kann, manifestierte sich vor allem in der Aufklärung. Hand in Hand mit dieser Überlegung geriet auch die Erkenntnis in den Fokus, dass Personen überhaupt von einem fremden Auge mit anderer Perspektive angeblickt werden. Die Pose ist also ein Phänomen der Neuzeit, welches elementarer Bestandteil der Popkultur geworden ist. Die Frage, wo die unterschiedlichen Posen ihren Ursprung haben, lässt sich inmitten der unendlichen Schleifen zwischen Zitaten und Entwicklungen kaum beantworten.
Mit Roland Barthes‘ Erkenntnis, dass »die Pose dem Medium entgegen geht« thematisiert er das höchst ambivalente Verhältnis zwischen der ästhetischen Praxis der Pose und ihren jeweiligen medialen Bedingungen. Obwohl der Akt, vor einer Kamera zu posieren heutzutage vielen Menschen vertraut ist, und somit auch das miteinander verzahnte Dreiergefüge Betrachter*in, Fotograf*in und posierendes Subjekt allgegenwärtig sein sollte, wird in der Analyse von Bildern mit posierenden Menschen der Blick der fotografierenden Person häufig außer Acht gelassen. Die Pose bezeugt allerdings nicht nur, dass sich ein Subjekt zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Haltung an einem bestimmten Ort befunden hat, sondern auch, dass das Subjekt dabei von einer fotografierenden Person gesehen worden ist. Sie ist also ein durchaus komplexes und wenig erforschtes Phänomen, das mit Hinblick ihrer Bedeutung in der Popkultur genauerer Betrachtung bedarf.
Embrace the pose
von Anne Abrahams
I. Ich stehe für Lockdown-Verhältnisse überdurchschnittlich stark geschminkt vor einem See und versuche so auszusehen, als ob ich hier hingehöre. Vor mir: Mein Freund, mit einer Kamera und viel Ambition. Mein Nicht-Posing soll natürlich wirken, aber das klappt nicht. Wie auch Nicht-Posen, wenn jede Faser meines Körpers weiß, dass ich gerade angesehen werde und gut aussehen muss, aber gar nicht weiß, wie das geht. Und mit gut mein ich „Ernst-gut“. „Lächeln-gut“ beherrsche ich halbwegs, da ich das schon mein Leben lang praktiziere, sobald ich merke, dass ich fotografiert werde. Aber jetzt brauche ich ein Foto, das als Titelbild eines Podcast fungieren soll, in den ich eingeladen wurde, um über die Darstellung von sexueller Gewalt in Filmen zu sprechen. Da finde ich es nicht unbedingt angemessen, freudestrahlend in die Welt zu lachen, als wäre alles Friede-Freude-Eierkuchen. Ich will ernst gucken. Ich will sagen: „Hey nimm mich ernst, ich habe wichtige Dinge zu erzählen.“ Also raus aus der Komfortzone und ab zum See.
Gabriele Brandstetter schreibt in ihrem Text Pose-Posa-Posing ebenfalls von einer Pose-des-Nicht-Posierens. Bei ihr steht das Ganze im Zusammenhang mit Lässigkeit und Authentizität, zwei Begriffen, denen ich mich gerade nicht weiter entfernt fühlen könnte. „Der lässig, gelassen sich haltende Körper, der sich scheinbar ganz natürlich bewegt, obgleich er die Regeln der Pose befolgt, nur dieser ist ansprechend“ schreibt Brandstetter. Aha. Dann mal andersherum gefragt: Was sind denn die Regeln der Pose? Angesehen werden, Haltung einnehmen, Erstarren. Und zwar am besten so, dass die Haltung etwas kontextabhängiges Positives betont. Irgendwann wieder aufhören und das eigene Leben weiterleben, als hätte es die Pose nie gegeben. Das Irgendwann sollte allerdings nicht zu lange dauern, weil die ansehende Person ansonsten wegsieht. Aufmerksamkeit ist Macht und Macht will man* sich nicht nehmen lassen. Der Weg heraus: Mehr Posing! Schöner, aufregender, auffälliger! Und dann bin da noch ich am See, die das zumindest in diesem Moment nicht performen kann.
II. Ich stehe für alle denkbaren Verhältnisse exorbitant stark geschminkt vor einem Schrank und versuche so auszusehen, als ob ich hier hingehöre. Vor mir: Meine Mitbewohnerin mit einer Kamera und viel Ambition. Sie sagt mir, was ich tun soll und ich versuche es umzusetzen. Ich habe den gelochten Kunststoffstreifen eines Schnellhefters im Mund, Lockenwickler in den Haaren und meine Haut ist Lila. Ich bin Marilyn Monroe. Um genau zu sein, das Abbild von Marilyn Monroe, dass Andy Warhol im Nachhinein eingefärbt hat. Ich bekomme genaue Anweisungen, an denen ich mich festhalten kann, wie dass ich den Kopf gerade halten soll, oder den Mund leicht geöffnet. An alle Anweisungen gleichzeitig zu denken ist nicht leicht, aber an keine zu denken wäre noch weniger leicht. Eigentlich so wie Brandstetter gesagt hat: Die Pose braucht Regeln, also sag mir was ich tun soll.
Im Seminar „Praxis der Pose“ haben wir viel über die Pose gesprochen. Besonders zu Beginn waren die Konnotationen eher negativ behaftet. Die Pose nehme die Individualität, sei künstlich, unauthentisch und anbiedernd. Aber wenn die Pose wegfällt, was bleibt dann? Eine verlorene Anne am See, die nicht weiß, was sie tun soll. Diese Fotos sollen nun mein individuelles, natürliches und authentisches Wesen darstellen? Warum sehen die Bilder dann so scheiße aus? Ich kenne mein individuelles, natürliches, authentisches Wesen seit nun mehr 25 Jahren und finde es bildschön. Daher halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Nicht-Posing-Bilder irgendetwas von meinem Wesen zeigen. Ich sehe eine unsichere Person, die lieber Marilyn Monroe sein will, als sie selbst. Weil sie Mittel hat, Marilyn Monroe zu performen, aber keine Methoden, sich selbst zu zeigen.
Also brauche ich Methoden. Und damit meine ich: Methoden des Posierens. Ich werde jetzt richtig aufdrehen: Eine Woche lang täglich Bilder von mir machen, jeden Tag mit neuer Pose. Künstlich aufgedonnert, in Schale geworfen, und in Posen, die ich nicht erfunden hab. Warum denn nicht?! Ich habe eigentlich so ziemlich gar nichts an mir selbst erfunden. Warum sollte dies Posierenden angekreidet werden, nur weil sich in der Pose die Imitation am deutlichsten manifestiert? Ich werde die nächsten sieben Tage Imitieren bis zum geht nicht mehr! Offensichtlich unauthentisch, offensichtlich künstlich, offensichtlich gestellt, offensichtlich over the top. I’m gonna embrace the fuck out of the Pose! Ich finde, ich sollte gesehen werden, und ich finde, ich sollte mich dabei wohlfühlen. Das leistet für mich die Pose. Ich wünsche euch Leser*innen viel Spaß dabei den Unterschied zu erkunden, zwischen einer fotografierten Anne, die eine Posing-Aufgabe hat, die ihr Halt und Sicherheit gibt, und einer fotografierten Anne, die in einer Hülle von Fleisch, Blut, Nerven und Fasern auf die Welt gekommen ist und keine Ahnung hat, wo sie die selbigen platzieren soll. Gib mir eine Vorlage und ich quetsch mich rein. Zeig mir ein Bild und ich stelle es nach. Nenne mir eine Pose und ich setze sie um. In der Enge finde ich es gemütlicher als im undefinierten Orbit.
weitere Fotos, die in dem Seminar entstanden sind:
Bilder‑, Video- und Textmaterial gesammelt von: Anna Abrahams,
Ein Beitrag des Seminars Praxis der Pose