PARVIN ARDALAN

- Wie die irani­sche Frau­en­recht­lerin Kunst mit Akti­vismus verbindet

Eine Multi­me­di­a­re­por­tage von Valeska Rediger & Char­lotte Rauth

Nach einer langen Nacht­fahrt von Brücke zu Brücke und schließ­lich über den Öresund hinweg kommen wir in Malmö an. Gerade geht die Sonne auf, erste Möwen begrüßen uns mit ihrem Geschrei. Früher als triste Indus­trie­stadt bekannt, fällt Malmö durch die Sauber­keit der Straßen, die breiten Fahr­rad­wege und die zahl­rei­chen Cafés auf, in denen man gemüt­lich „fika“ machen (die schwe­di­sche Version einer Kaffee­pause) und den Tag verstrei­chen lassen kann. Inmitten dieser fried­vollen Atmo­sphäre warten wir an der verein­barten Bahn­hal­te­stelle auf eine Person, die wir bisher nur von Bildern und Youtube Videos kennen. Strah­lend kommt Parvin Ardalan auf uns zu, ihre Wärme und Herz­lich­keit schlägt uns gleich entgegen.

Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu ihrem Büro im Malmö’er Stadt­ar­chiv und erfahren dabei von ihrem letzten Projekt. Die aus Teheran stam­mende Jour­na­listin, Schrift­stel­lerin und Frau­en­rechts­ak­ti­vistin arbei­tete bis Ende 2018 für Migra­tion Memory Encoun­ters (MME), das sie 2016 gemeinsam mit Fredrik Elg, Leiter der Inter­na­tional Rela­tions, Malmö Stad, Kultur­ab­tei­lung, und Jude Dibia, Schrift­steller, sozialer Akti­vist und ehema­liger Gast­schrift­steller in Malmö, entwi­ckelte. Durch diverse Projekte förderte MME den Dialog zwischen der zivilen Gesell­schaft in Malmö und bisher nicht sicht­baren Künstler*innen und brachte so deren Geschichten der Migra­tion, der Iden­ti­täts­fin­dung zwischen Erin­ne­rung und neuer Umge­bung und insbe­son­dere die Auswir­kungen der Migra­tion auf ihre Kunst ans Licht.

In diesem Projekt ist auch Ardalans persön­liche Geschichte erkennbar, als Frau und Künstler*in, die selbst aufgrund poli­ti­scher Repres­sionen ihr Heimat­land verlassen musste.

Die Auswir­kungen der Isla­mi­schen Revo­lu­tion auf Ardalan

Während wir an kleinen Gale­rien und einer alten Scho­ko­la­den­fa­brik vorbei­kommen, erzählt sie, wie sich das Leben als irani­sche Frau nach der so genannten Isla­mi­schen Revo­lu­tion 1979 verän­dert hat.

Sie war elf Jahre alt, als Frauen und Männer auf die Straße gingen, um gegen die auto­ri­täre Regie­rung des Shahs Mohammad Reza Shah Pahlavi zu demons­trieren. Die Proteste waren zunächst erfolg­reich und bewirkten sein Abdanken, sein Nach­folger wurde Ayatollah Khomeini. Doch dass unter dessen Herr­schaft die Frau­en­rechte im Zuge der neuen isla­mi­schen theo­kra­ti­schen Konsti­tu­tion einge­schränkt würden, war laut Ardalan nicht absehbar.

Inzwi­schen in ihrem Büro ange­kommen, setzt sie sich vor zwei riesige Gemälde aus einer früheren, von ihr orga­ni­sierten Ausstel­lung. Auch der Rest ihres Büros ist nahezu chao­tisch mit Bildern, Doku­menten und Zetteln ihrer Projekte voll­ge­stopft und wirkt dadurch erfri­schend lebendig. Sie betont noch einmal die Über­ra­schung über die Folgen der Macht­über­nahme durch Khomeini: Die Geschlech­ter­tren­nung im öffent­li­chen Raum wurde einge­führt, Frauen mussten von nun an den Hijab tragen und das Fami­li­en­recht wurde zum Nach­teil der Frauen verändert.

Die Anfänge ihrer künst­le­ri­schen und poli­ti­schen Aktivitäten

Mit leuch­tenden Augen erzählt sie, dass sie bereits als Kind die Gescheh­nisse um sie herum im Schreiben und Malen verar­beitet habe. So ist es nicht verwun­der­lich, dass sie bis heute die großen gesell­schaft­lich und auto­bio­gra­fisch bedingten Themen Schreiben, Foto­grafie und Femi­nismus vereint: Um über die dama­ligen Lebens­um­stände berichten und sie beein­flussen zu können, studierte Ardalan bis 1993 Mass Commu­ni­ca­tion Science an der Allame Taba­ta­baee Univer­sity, Teheran, und arbei­tete für mehrere femi­nis­ti­sche Zeitungen, darunter False Zanan, Iranian Femi­nists Tribune und Zane­stan. Doch der Einfluss auf das poli­ti­sche Leben des Iran durch ihr Schreiben war ihr nicht genug und sie studierte zusätz­lich Femi­nist Studies, um ihr künst­le­ri­sches Schaffen mit dem Poli­ti­schen zu verbinden:

„Über Frauen- und soziale Fragen nur zu schreiben ist nicht genug. Du musst etwas außer­halb haben, du musst im öffent­li­chen Sektor arbeiten.”

Ardalan erzählt, wie sie gemeinsam mit Gleich­ge­sinnten in den 1990ern das Women’s Cultural Center und die Women’s Library grün­dete, beide heute durch die theo­kra­ti­sche Regie­rung geschlossen. Kunst spielte hier eine beson­dere Rolle, insbe­son­dere in den Work­shops. Ardalan schil­dert eindring­lich, wie sie mittels öffent­li­chen Thea­ter­spielen, Foto­grafie und der Verbrei­tung von Infor­ma­tionen in News­let­tern und auf der Webseite auf die Themen Gewalt und fehlende Gleich­be­rech­ti­gung von Frauen und Männern aufmerksam machten. Zusätz­lich boten sie private Thea­ter­work­shops an, um Frauen die Möglich­keit zu geben, sich selbst auszudrücken.

Kunst als Mittel zum Zweck

Auch in der 2006 von Ardalan mitor­ga­ni­sierten One Million Signa­tures Campaign for the Repeal of Discri­mi­na­tory Laws verwen­dete sie Formen der Kunst, wie Foto­grafie und Stra­ßen­theater, um die Stimme der Frauen stärker zum Ausdruck zu bringen. Das Bild­hafte und Perfor­ma­tive hält Ardalan für sehr wichtig, um Botschaften schnell und eingängig einem großen Publikum zu vermit­teln: „Manchmal ist es für Personen einfa­cher, Bilder zu verstehen, als einen geschrie­benen Artikel.“

Sie zeigt uns Video-Ausschnitte von der Kampa­gnen­or­ga­ni­sa­tion, Räume, in denen sich Frauen versam­meln, Tee trinken und äußerst enga­giert weitere Aktionen planen. Inner­halb von zwei Jahren sollte die Kampagne eine Million Unter­schriften für die recht­liche Gleich­stel­lung von Mann und Frau im Iran sammeln. „Sollte“, weil sie während einer fried­li­chen Protest­ak­tion abge­bro­chen und über 70 Frauen fest­ge­nommen wurden.

1979

2017

Die Rolle von Musik und Social Media in den irani­schen Protesten

Ardalan lebt in Malmö zusammen mit ihrer ebenso herz­li­chen Schwester Shirin. Sie lernen wir abends in ihrer Wohnung kennen – eine gemüt­liche Vier-Zimmer-Wohnung, in der früher auch noch eine Freundin der beiden gewohnt hat. Der große Wohn­raum ist oran­ge­farben gestri­chen, neben der offenen Küche ist eine Sitz­ecke mit einla­dendem Sofa und knar­zigem Schau­kel­stuhl. Im Fern­seher läuft eine schwe­di­sche Talk­show, in der eine irani­sche Frau von den Miss­hand­lungen durch ihren Ehemann berichtet.

Shirin Ardalan sitzt auf dem Sofa und lauscht den Unter­hal­tungen. Sie wirft leise ein, dass sie die Stimme des dama­ligen Protest-Liedes während der One Million Signa­ture Campagin ist. So haben sie ein Lied während der ersten Proteste gegen den Hijab kurz nach 1979 aufge­nommen, welches eine große Rolle für die Formie­rung der Protest­be­we­gung gespielt hat und heute noch spielt. Das zeigen Parvin Ardalan und Shirin Ardalan sogleich mit einem Video von 2017, in dem drei junge Mädchen Shirin Ardalans Protest-Lied in einer U‑Bahn öffent­lich singen. Mädchen, die die 1979er Proteste noch nicht miter­lebt haben und trotzdem deren Spirit über das Lied in die Gegen­wart trans­por­tieren können.

„Den Hijab abzu­nehmen ist per Gesetz immer noch verboten. Aber die Menschen haben aufge­hört, einfach nur zu gehorchen.”

So gab es im Dezember 2017 erneut verstärkte Proteste gegen den Hijab. Eine bis dahin unbe­kannte Frau im Iran stellte sich zum ersten Mal auf eine befah­rene Kreu­zung, nahm ihr Kopf­tuch ab, band es auf einen Stock und hielt still. Als Stand­bild, als perfor­ma­tiver Akt des Protestes. „Die Protest­ak­tion dieses Mädchen war anders als jene zuvor. Sie stand still, gab damit aber sehr viel Energie für Veränderung.“

Ardalan wirft ein, dass neben zahl­rei­chen Nach­ei­fe­rinnen von dieser Frau ebenso die White Wednesday Aktion über Twitter ins Leben gerufen wurde. Alle Frauen im Iran seien durch sie aufge­for­dert, sich an Mitt­wo­chen ohne Hijab auf der Straße zu zeigen – eine Aktion, die gegen die Sitten der Isla­mi­schen Konsti­tu­tion und gegen die öffent­liche Meinung verstößt.

Ardalan sieht man ihre Erleich­te­rung an, als sie meint, es wäre schön zu sehen, dass die Proteste auch ohne orga­ni­sierte und formie­rende Gruppe weiter­gehen würden. Im Gegen­satz zu den von Ardalan mitor­ga­ni­sierten Demons­tra­tionen seien die heutigen Proteste eher Aktionen einzelner Frauen, die real nicht mitein­ander in Verbin­dung ständen. Während früher die Frauen des Women’s Cultural Center und der Women’s Library Proteste als Gruppe orga­ni­siert hätten, würde heute Social Media Einzel­pro­test­ak­tionen und deren Verbrei­tung zuneh­mend möglich machen. Ardalan meint, dass sich auf virtu­eller Platt­form Frauen eher trauen würden, gegen die  Verfas­sung zu verstoßen, bevor sie den Schritt in die Öffent­lich­keit wagten.

Women Making HERstory

Die Themen Femi­nismus und Kunst finden sich auch in den Projekten der Frau­en­rechts­ak­ti­vistin und Schrift­stel­lerin in Schweden wieder; ergänzt durch einen weiteren Themen­block, der auch auto­bio­gra­fisch begründet sein dürfte: Migra­tion. 2007 sollte sie den Olof Palme Preis in Schweden für ihr Enga­ge­ment und ihre akti­vis­ti­sche Arbeit im Iran erhalten. Weil das Regime die Ausreise verwei­gerte, holte Shirin Ardalan ihn stell­ver­tre­tend ab, während Parvin Ardalan die erste Video­bot­schaft für die Preis­ver­lei­hung aufnahm.

2009 emigrierte sie nach Schweden und entwarf nach ihrer zwei­jäh­rigen Zeit als erste Gast-Schrift­stel­lerin in der ICORN-Stadt Malmö das Projekt Women Making Herstory. Oder besser: Prozess. Denn laut Ardalan wird dieses Projekt nie abge­schlossen sein – einmal ange­stoßen, nimmt die Entwick­lung ihren Lauf.

Wir sind an dem Prozess inter­es­siert und begeben uns mit Ardalan in das Malmö Museum, wo Women Making Herstory dauer­haft ausge­stellt ist. Mit dem Ziel, ihre Geschichte in die indus­tri­elle Stadt­ge­schichte von Malmö einzu­bringen, inter­viewte Ardalan zahl­reiche Frauen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund und sammelte Fotos von deren Arbeits­alltag in den Fabriken. An einer ausla­denden Wand hängen diese in chro­no­lo­gi­scher Reihen­folge, zusammen mit den dazu­ge­hö­rigen Geschichten.

Ein zweiter Zeit­strahl erläu­tert parallel die Landes- und Migra­ti­ons­ge­schichte von Schweden und setzt die Geschichten somit in einen größeren Kontext. Wir fragen sie nach ihrer Moti­va­tion nach diesem Prozess. Laut Ardalan werden meist nur die Fami­li­en­väter der immi­grierten Fami­lien erwähnt, die zusammen mit ihrer Familie nach Schweden kommen. Das würde bereits die ungleiche Behand­lung in der Geschichts­er­zäh­lung verdeut­li­chen, die daher umge­schrieben werden müsse. Darauf weist auch der Titel der Ausstel­lung hin: Women Making Herstory, nicht History.

Während wir den hinter­grün­digen Farb­ver­lauf der Ausstel­lungs­wand betrachten, erklärt die irani­sche Künst­lerin und Akti­vistin, dass die Farben einen Kreis symbo­li­sieren sollen. Damit möchte sie verdeut­li­chen, dass Geschichte nicht linear, sondern zirkulär ist. Eben ein Prozess! Gesell­schaft­liche Strö­mungen und Ereig­nisse wieder­holten sich, wie heute im Iran sichtbar würde:

„Die Situa­tion der Frauen im Iran ist wie die Fabel der Leiter und der Schlange; du klet­terst hoch, irgend­etwas passiert und du fällst herunter. Du klet­terst wieder hoch, und so weiter. Letzten Endes mussten wir viele Male hoch­klet­tern und herun­ter­fallen, wir hatten viele Rück­schläge und Neuan­fänge. Wenn man über ein Land wie den Iran nach­denkt, passiert dieser Kreis­lauf jeder­zeit und deswegen müssen wir uns immer wieder selbst erneuern und fort­fahren, für unsere Rechte zu kämpfen.”

Wie bereits in ihren Projekten im Iran, der One Million Signa­ture Campaign, dem Women's Cultural Center und der Women’s Library, verband Parvin Ardalan bei Women Making Herstory soziale Fragen der Migra­tion und des Femi­nismus mit künst­le­ri­schen Ausdrucks­weisen, mit Foto­grafie, Malerei und dem Schreiben. Mit ihrem Schaffen zeigt sie, dass Kunst und Politik, Kunst und Akti­vismus wunderbar mitein­ander verwoben werden können, um unsicht­bare Stimmen sichtbar und drin­gende Botschaften in die Gesell­schaft zu kommu­ni­zieren. Nachdem sie ihr Projekt Migra­tion Memory Encoun­ters abge­schlossen hat, sind wir auf die folgenden Projekte gespannt. Während­dessen wird der Prozess von Women Making Herstory fort­laufen, indem die Arti­vistin Ardalan weiterhin den in der schwe­di­schen Geschichts­schrei­bung verbor­genen Frauen mithilfe von Foto­grafie und Geschrie­benem Sicht­bar­keit verleiht. Ein Prozess, dessen Rele­vanz weiter andauern wird.