PARTI­ZI­PA­TIve künste
im rahmen 
kultu­reller bildung

 

Der Begriff Parti­zi­pa­tion ist im Gespräch um kultu­relle Bildung mitt­ler­weile unum­gäng­lich. Nach Jörg Zirfas verfolgt sie gene­rell das Ziel, durch das gemein­same Mitwirken das Leben einer Gesell­schaft und ihrer Mitglieder zu gestalten. Als demo­kra­ti­sches Prinzip ist sie auf ein grund­le­gendes Inter­esse ange­wiesen, durch bürger­liche Betei­li­gung Verant­wor­tung für das Gemein­wesen zu übernehmen.[25]
Illustration aus dem Reader Grundbegriffe für kulturelle Bildung Kapitel Partizipative Künste im Rahmen kultureller Bildung

In der kultu­rellen Bildung bedeutet Parti­zi­pa­tion vor allem Ermög­li­chung und Teil­habe an Kultur. Das wird meis­tens auf Artikel 27 der Menschen­rechte gestützt:

„Jeder Mensch hat das Recht am kultu­rellen Leben der Gemein­schaft frei teil­zu­nehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissen­schaft­li­chen Fort­schritt und dessen Errun­gen­schaften teil zu haben.“[26]

In Bezug auf eine Defi­ni­tion nach Vanessa-Isabelle Rein­wand-Weiss bedeutet dies explizit auch, zur eigenen Praktik ange­regt zu werden. „Als Künst­le­ri­sche Bildung oder Erzie­hung wird haupt­säch­lich eine Erzie­hung oder Bildung in den Künsten verstanden, die aller­dings immer auch eine Bildung durch die Künste an sich zieht. Es geht darum eine bestimmte Kunst­fer­tig­keit, ein Hand­werk eine Technik d.h. Grund­kennt­nisse einer bestimmten Kunst­form beherr­schen zu lernen.“[27]

Eine andere Form der Parti­zi­pa­tion und die Möglich­keit der kultu­rellen Bildung durch diese soll im Folgenden beleuchtet werden.

In der zeit­ge­nös­si­schen Kunst tauchen seit den 1960er und 70er Jahren viel­fäl­tige Stra­te­gien von Parti­zi­pa­tion und Inter­ven­tion auf. Künstler*innen berück­sich­tigen die Öffent­lich­keit nicht nur, sondern planen ihre Teil­habe von Anfang an ein und machen sie zur künst­le­ri­schen Praxis selbst. Die Rezipient*innen des Werkes gestalten durch ihre Parti­zi­pa­tion das letzt­liche Kunst­werk, die Perfor­mance oder das Stück mit. Bezogen auf Rein­wand-Weiss findet die Bildung „durch die Künste an sich“ hier in gewisser Weise im höchsten Maße statt.

Diese Wech­sel­be­zie­hung zwischen Rezipient*innen und Werk macht sich parti­zi­pa­to­ri­sche Kunst­werke zu Nutze und zum Gegen­stand ihres Inter­esses. Elke Zobl beschreibt solche, im Sinne kultu­reller Inter­ven­tionen, als „viel­fäl­tige, impuls­ge­bende Stra­te­gien, die kultu­relle Akte des Eingrei­fens in gesell­schaft­liche Prozesse und des kultu­rellen Gestal­tens und Mitbe­stim­mens sind, um sozialen Wandel zu initi­ieren.“[28] Ob dabei auch ein Mehr­wert für die Parti­zi­pie­renden im Sinne einer kultu­rellen Bildung besteht, wollen wir anhand des folgenden Beispiels untersuchen.

die ausstel­lung "Der berg oder wer um wen weint und wer davon nass wird" von Aliénor im Kunst­verein hildes­heim

Der Kunst­verein Hildes­heim hat ein eigen­stän­diges Vermitt­lungs­team, welches für jedes Jahr ein umfang­rei­ches Programm aufstellt. Im Herbst 2018 fand auf Ebene der kultu­rellen Bildung durch Parti­zi­pa­tion aber noch ein anderer inter­es­santer Programm­punkt statt. Die fran­zö­si­sche Künst­lerin Aliénor Dauchez hat, aufgrund der spezi­ellen Archi­tektur des Kehr­wie­der­turms, in dem der Kunst­verein ansässig ist, eine eigen­stän­dige Arbeit vor Ort konzi­piert. Dadurch waren die Kura­torin und ihr Team über ihre kura­to­ri­sche Arbeit hinaus in den Prozess der Ausstel­lung mit einge­bunden. Außerdem fand eine andau­ernde Perfor­mance statt, welche im Vorfeld gemeinsam mit der Künst­lerin erar­beitet wurde.

In einem Inter­view mit der Kura­torin Luzi Gross geht es explizit um die Teil­habe aller Mitwir­kenden, um die Autor*innenschaft des entstan­denen Werkes und die Bedeu­tung der Rezipient*innen als Teil der Begeg­nung zwischen Perfor­menden und Besu­chenden. Dauchez beschreibt, wie sie mit Studie­renden einen erheb­li­chen Teil der Arbeit entwi­ckelt hat und wie deren Persön­lich­keiten zu der Arbeit beigetragen haben.

Wenn Dauchez von der „Einbin­dung des Menschen als künst­le­ri­sche Geste“ spricht bezieht sie sich auf Nicolas Bour­riaud und seinen Begriff der „rela­tional Art“, die er wie folgt erklärt:

„A set of artistic prac­tices which take as their theo­re­tical and prac­tical point of depar­ture the whole of human rela­tions and their social context, rather than an inde­pen­dent and private space.“[29]

Die Künstler*innen stehen dabei weniger im Zentrum eines Schaf­fens­pro­zesses, als dass sie viel mehr alle betei­ligten Situa­tionen, Räume, sowie Personen kata­ly­sieren. Das Kunst­werk schafft so ein soziales Umfeld, in dem Begeg­nungen erzeugt werden und das Publikum Teil eines kollek­tiven Kunst­pro­zesses ist. Dauchez formu­liert diesen Bezug zu den Rezipient*innen als eine Situa­tion, die im Dialog gleich­zeitig kreiert und reflek­tiert wird.[30]

 

Illustration aus dem Reader Grundbegriffe für kulturelle Bildung Kapitel Partizipative Künste im Rahmen kultureller Bildung

 

fazit

Dauchezs parti­zi­pa­tive Perfor­mance wird zum inter­sub­jek­tiven Ereignis zwischen den Teil­neh­menden. Die Bezie­hung zwischen den betei­ligten Subjekten unter­ein­ander wird zum Zentrum des Kunst­er­eig­nisses. Dadurch werden zwei Aspekte deut­lich, die positiv zu einer Diskus­sion um kultu­relle Bildung beitragen können:

a) Einer­seits taucht die Co-Abhän­gig­keit von Subjekten als elemen­tare Konstel­la­tion für künst­le­ri­sche Praxis auf. Parti­zi­pa­tive Kunst kann nur durch handelnden Austausch zwischen Teil­neh­menden erzeugt werden. Dadurch wird die Autor*innenschaft des künst­le­ri­schen Gesche­hens unter Künstler*in und Besucher*innen verteilt und eine Enthier­ar­chi­sie­rung zwischen diesen Akteur*innen wird ermög­licht. Dieser hori­zon­tale Ansatz kann im Bereich der kultu­rellen Bildung ange­wendet werden, wenn wir diesen auch als eine Instanz jenseits einer bloßen Über­tra­gung von Wissen betrachten. Eine tradi­tio­nelle Rollen­ver­tei­lung von Erzie­henden und Lernenden unter­stützt nicht den viel­fäl­tigen Austausch von Wissen in der kultu­rellen Bildung. Die Betei­ligten als (Mit-)Akteur*innen zu betrachten, ermög­licht eine viel­fäl­ti­gere und dyna­mi­schere Vertei­lung von Hand­lungen, um eine pater­na­lis­ti­sche Unidi­rek­tio­na­lität zu vermeiden.

b) Ander­seits offen­bart Kunst, die sich der Ausein­an­der­set­zung von inter­sub­jek­tiven Verhält­nissen widmet, soziale Verflech­tungen. Die Aufgabe von parti­zi­pa­tiver Kunst ist nicht, gesell­schaft­liche Schwie­rig­keiten wie Apathie, Into­le­ranz oder Vorur­teile zu lösen, sondern diese sichtbar zu machen und ein Verständnis über die Komple­xität dieser zu schaffen. Parti­zi­pa­tion in der Kunst verschafft Subjekten die nötige Distanz für die eigene Ausein­an­der­set­zung mit diesen.

Wenn Aliénor Dauchez also davon spricht, Kunst als ein Mittel zu betrachten, die Art des Denkens einer Gesell­schaft zu formen[31], erin­nert das an Elke Zobl, laut der es bei künst­le­ri­scher Inter­ven­tion darum geht, in gesell­schaft­liche Prozesse einzu­greifen und sozialen Wandel mitzu­ge­stalten. Parti­zi­pa­tive Kunst geht demnach von einem posi­tiven Auswirken auf eine Gesell­schaft aus, während die Parti­zi­pa­tion in der kultu­rellen Bildung sich auf das Indi­vi­duum und dessen Zugangs­mög­lich­keiten bezieht. Gesell­schaft­li­cher Wandel kann im Hinblick auf das Indi­vi­duum aber natür­lich eben­falls einen erwünschten Mehr­wert darstellen. ◀

Von Simón Lobos Hino­josa & Char­lotte Rosengarth

 

[25] Zirfas Jörg (2015): “Kultu­relle Bildung und Parti­zi­pa­tion: Seman­ti­sche Unschärfen, regu­la­tive Programme und empi­ri­sche Löcher”. In: Kultu­relle Bildung Online.
[26] Allge­meine Erklä­rung der Menschen­rechte: Art. 27.
[27] Rein­wand-Weiss 2012
[28] Zobl, Elke (2017): “Künst­le­ri­sche Inter­ven­tionen und gesell­schaft­liche Aushand­lungs­pro­zesse: Das Drei-Ebenen-Modell von Öffent­lich­keit in künst­le­risch-eduka­tiven Kontexten”. In: Elisa­beth Klaus; Ricarda Drüeke (Hg.): Öffent­lich­keiten und gesell­schaft­liche Aushand­lungs­pro­zesse. Biele­feld: tran­script Verlag, S. 265–318.
[29] Vgl. Chayaka, Kyle (2001): WTF… Rela­tional Aesthe­tics? über Nicolas Bour­riaud.
[30] Dauchez, Aliénor; Gross, Luzi (2019): Ausufern, Hildes­heim. Hildes­heim: Univer­si­täts­verlag Hildes­heim: “Im Dialog wird die Situa­tion gleich­zeitig kreiert und reflek­tiert. (…) Ich möchte mit meiner Kunst keine Botschaften formu­lieren, sondern Fragen stellen, eher eine Spie­ge­lung für die Betrach­tenden schaffen.“
[31] „Wenn man Kunst als ein Mittel betrachtet, die Art des Denkens einer Gesell­schaft zu formen, ist es sehr produktiv, dass diese Arbeit nicht nur von einer Person geschaffen wurde.“– Inter­view Dauchez/Gross (2019).

Ein Beitrag von Julia Andreyeva und Julia Valerie Zalewski